|
von Horst Schumann |
Wenige Kilometer nördlich von Düsseldorf liegt in der niederrheinischen Ebene die einzige Karthause Deutschlands. Da leben in 32 kleinen Häuschen, die durch einen riesigen Kreuzgang verbunden sind, in völliger Abgeschlossenheit und Einsamkeit die „weißen Väter” ein Leben, das nur dem Gebet und dem Schweigen vor Gott geweiht ist. Zweimal am Tage und einmal des Nachts ruft sie die Glocke in die Kirche zu gemeinsamem Gottesdienste, der in feierlicher Langsamkeit vollzogen wird. Die übrigen Gebetsstunden hält jeder allein in seiner Zelle, allein arbeitet er an der Drehbank oder im Zellengärtchen, allein ißt er die einzige größere Mahlzeit des Tages - kein Verkehr, kein Gespräch mit den Brüdern ist ihm gestattet. Unweit des Klosters bestand bis vor wenigen Jahren eine wilde Barackensiedlung, von Erwerbslosen aufgebaut, die meist wild kommunistisch und kirchenfeindlich waren - ein Pfarrer betrat die Siedlung abends nicht ohne Gefahr. Nur merkwürdig, auf diese Patres im benachbarten Kloster ließen auch diese Wüsten Gesellen nichts kommen. Es war, als wäre ihnen eine Ahnung geblieben: Die leben ihr Leben für uns. Es blieb ein Rest Ehrfurcht und Dankbarkeit. Diese Ahnung trifft nun in der Tat die Auffassung, die der Karthäuser, wie überhaupt der kontemplative Mönch, heute von seinem Amte hat. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, daß seit der Reformation vieles anders geworden ist im Mönchtum, und daß Luthers Kritik auch dort ihre Frucht gebracht hat. Es ist nicht mehr die Rede von einem verdienstlichen Stand, sondern von einem übernommenen Amt. Die Karthäuser nennen ihren schweigenden Dienst in der Einsamkeit geradezu ein öffentliches Amt. Sie sehen ihre Berufsaufgabe darin, den Gottes-Dienst zu feiern, als Beauftragte der Kirche, als deren Glieder und Mund, das Lobopfer der Danksagung darzubringen und das Gebet der Kirche und die Fürbitte für alle ihre Glieder ohne Aufhören zu Gott emporsteigen zu lassen. Begründet wird diese Auffassung des Gebetslebens der Mönche vom Wissen um die Kirche als den Leib Christi. Es wird festgehalten, daß der Ausdruck „Leib Christi” nicht ein bloßes Bild für das Verhältnis der Kirche zu Christus sei, sondern daß er eine Wirklichkeit bezeichnet. Es gibt eine „tief organische Verbundenheit” aller Christen zu einem geheimnisvollen, aber sehr wirklichen pneumatischen Leib, der Kirche. Und wie in dem natürlichen Menschenleib alles Leben getragen ist vom pulsierenden Blut, so ist alles Leben der Kirche getragen von der Gnade, in deren Strom wir erstmalig eingetaucht werden in der Taufe. Und nun wagt es der Karthäuser, über sein Leben zu urteilen: „Je tiefer und reiner ein solches Leben vitalster Glaubens- und Liebesverbundenheit mit Christus gelebt wird, umso mehr wird es auch in übernatürlich vitaler Weise das Leben der Kirche befruchten und die überströmenden heiligen und heiligenden Kräfte eines in völliger Selbstlosigkeit tief in Christo gelebten Lebens den Gliedern der Kirche, die ja im gleichen göttlichen Leben Christi miteinander, zutiefst und zuinnigst verbunden sind, mehr und mehr zuführen” (aus dem Brief eines Karthäusers). Der Karthäuser wagt es zu glauben, daß von dem, was ihm in Fülle geschenkt wird in seinem Christenleben, etwas überströmt auf die Brüder und Schwestern in Christo. Auch er meint das Gebot zu erfüllen, daß er die Nackten kleide, aber mit dem königlichen Gewande Christi selbst; in seiner Verbundenheit mit den Gliedern des Leibes Christi hilft er, denen, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, Speise und Trank göttlichen Lebens zu reichen. Und so wagt er denn, seinen Dienst ein Apostelamt, einen „schweigenden Apostolat” zu nennen. So will er nicht in einer privaten Einsiedelei leben, im Gegenteil ist das Feld seiner Wirksamkeit die ganze Welt - ohne daß er je einen Erfolg, eine Frucht seines Tuns sehen könnte. Im Bewußtsein der Solidarität mit allen Gliedern Christi, „in erschreckender Verantwortung” will er sein Leben leben in der Hingabe an Christus und alle seine Brüder. Den letzten Sinn seines Lebens sieht er in einer tiefen Opferweihegemeinschaft mit Christus; die eigentliche Regel seines Lebens ist das Hohepriesterliche Gebet Johannes 17. Inhaltlich ist das Gebet des Karthäusers das liturgische Gebet der Kirche; auch in der Einsamkeit geht sein Beten auf den Ton „wir” und niemals „Ich”. Mit dem Gebet der Kirche soll seine Seele sich so ganz erfüllen, daß sein eigenes kleines Ich darin untergeht - nur eine ganz knappe Zeit in dem langen Tageslaufe ist für eigene, persönliche Meditation bestimmt, damit nur ja kein Egoismus aufkomme, damit nur „Betende Kirche” sei. Denn das weiß der Mönch, daß jede leise Regung der natürlichen Selbstsucht alles verfälscht, daß hier nicht von Verdienst und Werkerei geredet werden darf, daß auch dieses sicher schwere und opfervolle Leben der völligen Hingabe an Christus und seine Kirche nur Geschenk Gottes, nur Gnade ist. Aber hat uns nicht zum andern die einfache Tatsache, daß es solche Menschen gibt, die ihr Leben mit Christus in aller Einfalt so führen, viel zu sagen und manches ernstlich zu fragen? Daß es Menschen gibt, die um das eine Notwendige wissen, und bereit sind, tausend andre Dinge dafür zu lassen, die wir nun eben doch oft viel zu wichtig nehmen, von denen wir uns den Blick viel zu sehr trüben und das Herz viel zu sehr schwer machen lassen? Diese Menschen wissen noch, daß der Mensch sich der Gnade Gottes und dem Tun Gottes bereiten und hingeben muß, indem er vor Gott schweigt; sie wissen - der Tageslauf des Klosters legt Zeugnis davon ab - von dem gesunden Wechsel von Gebet und Arbeit und von der Heiterkeit und Gelassenheit, die daraus folgt. Wir können das alles so nicht nachahmen - aber können wir nicht von ihnen lernen, das Eine, was not ist, ganz anders Zentrum unseres Lebens sein zu lassen? Diese Menschen wissen noch um das Geheimnis der brüderlichen Stellvertretung. Es gibt echte Stellvertretung in, Christenleben. Übt sie nicht im Grunde jeder rechte Pfarrer, wenn ihm die Schicksale seiner Gemeindeglieder auf der Seele liegen, daß er sie mitträgt, daß sie ihm Not machen? Wieviel fremdes Leid leidet ein Pfarrhaus mit, und wie vieler Freude erlebt es mit - ganz abgesehen von dem Dienst der Fürbitte, in dem wir die Not und die Freude unserer Gemeinde vor Gottes Füßen niederlegen! Sollten wir dem Geheimnis der Stellvertretung in unserm Leben nicht viel mehr nachsinnen? Sollte es nicht eine tiefe Erkenntnis sein, die wir nicht wieder verlieren dürfen, daß von einem echten Christenleben Wirkungen ausgehen, die sich zwar nicht statistisch erweisen lassen, und die doch da sind - daß ein Überströmen und ein Weitergeben stattfindet von dem, was uns in Fülle gegeben ist durch Gottes Heiligen Geist? Was meint der Apostel anders an der Stelle Kolosser 1, 24? Der evangelische Christ muß lernen, sein Gebetsleben bewußt als Gebet der Kirche zu halten - und sein Leben als Leben für die Kirche, das ist für den Leib Christi und alle seine Glieder, zu führen. Das Gottesjahr 1938, S. 43-46 © Johannes Stauda-Verlag Kassel 1938 Ein weiterer Bericht von Horst Schumann in Quatember 1963: Eine neue Kartause in Deutschland |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-24 |