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von Arthur Graf |
Calvin ist der Systematiker unter den Reformatoren. Ihm lag daran, die christliche Lehre als Ganzes darzustellen. So schrieb er seine gewaltige Institutio, das umfassende Compendium reformierter Lehre. Durch zwanzig Jahre hindurch hat er daran immer wieder gebessert. An diesem seinem Hauptwerk wird aber sichtbar, daß man christliche Lehre nicht einfach als Lehre vortragen kann. Der Glaube ist nicht ein Wissen, wie irgend ein weltliches Wissen; man hat ihn nicht damit, daß man überirdische, unerhörte Kenntnisse in sich aufgenommen hat. Der Glaube will gelebt sein; er ist eine Haltung, die sich in Entscheidungen vor den konkreten Aufgaben des Lebens kundtut. Das III. Buch der Institutio trägt den bezeichnenden Titel: Von der Art und Weise die Gnade zu erkennen. Calvin betont: Gott hat seinen Sohn ausgerüstet mit ewigen Gütern, aber nicht zu privatem Gebrauch, sondern auf daß er die Armen und Bedürftigen reich mache. Gottes Plan in der Sendung seines Sohnes ist, im Menschen die Imago Dei, die Gottesebenbildlichkeit, wiederherzustellen, wir werden aus dem Glauben zu einer wirklichen Heiligung unseres Lebens aufgerufen (realis vitae sanctitas) Glaube bedeutet Wiedergeburt, Erneuerung, Neugestaltung. Aus dem Glauben folgt darum die Buße, die Calvin ganz im Anschluß an die Väter und durchaus schriftgemäß als mortificatio (Abtötung) und vivificatio (Lebendigmachung) versteht. Das Leben des Christen ist eine durchaus reale Gemeinschaft mit Christus; der Christ hat Anteil an Christi Sterben und Auferstehen. Dieses Geheimnis des Glaubens ist freilich durch Gott gewirkt. Es ist Gott, der an uns handelt unser Leben lang, der durch fortwährende und oft gar langsame Fortschritte in seinen Auserwählten die Verderbtheit des Fleisches aufhebt. Aber so sehr das auch als Gottes Werk von Calvin betont wird, so sehr weist er doch mit Nachdruck darauf hin, daß der Mensch dabei nicht einfach untätig und lediglich Objekt ist. Gott setzt in seiner souveränen Gnade den neuen Anfang im Menschen; aber nun wird in eben diesem Menschen der Wille beansprucht. Der Mensch wird zur Aktivität aufgerufen. Das ist die überraschende Folgerung, die aus dem Dogma von der Praedestination gezogen wird. So spricht Prof. Doumergue von den willensstarken Calvinisten, deren Charakter und Wille auf dem Amboss der Praedestination hart geschmiedet wurde. Kein Wunder, wenn uns nun in der Institutio auch der Ausdruck »Exercitium« wiederholt begegnet. Es gibt »Externa aliqua exercitia quibus privatim veluti remediis vel ad nos humilandos vel ad domandam carnem nostram utimur« (gewisse äußerliche Übungen, deren wir ein jeder für sich uns bedienen sollen als Hülfen, sei es um uns zu demütigen, sei es um die fleischlichen Lüste zu dämpfen). Diese Übungen sollen uns helfen im Streben nach der Vollkommenheit, das uns von Gott geboten ist; sie sollen die Hindernisse beseitigen, die sich solchem Streben entgegenstellen: impietas und concupiscentia (Widergöttlichkeit und fleischliche Lust). Denn im Leben des Christen soll das Bild Christi seine Ausprägung finden. Im 20. Kapitel des 3. Buches spricht Calvin vom Gebet als von dem praecipuum fidei exercitium, der vornehmsten Übung des Glaubens. Daß Gott uns in Christus seinen Reichtum anbietet, daß wir im Glauben seinen lieben Sohn schauen und unsere Hoffnung ganz auf ihn setzen dürfen, das alles sind Wahrheiten besonderer Art. Calvin sagt: das ist eine geheimnisvolle und verborgene Philosophie, die man nicht mit Syllogismen erschließen kann. Nur der Mensch, dem Gott die Augen geöffnet hat, vermag in Seinem Licht das Licht zu schauen. Auch hier finden wir wieder die bezeichnende Wendung: im Gebet wird uns klar, daß alle gute Gabe von Gott kommt, denn es ist Meditation Seiner Güte und unserer Unwürdigkeit. So verstehen wir auch die vier Regeln, die Calvin gibt, die keineswegs als Gesetz gemeint sind, als vielmehr Anleitungen darstellen zur rechten Gebetshaltung. Denn Calvin betont immer wieder, es gelte »rite probeque« beten (auf rechte Weise und in demütiger Haltung). Der Christ soll gesammelten Gemütes, in Demut, Bußfertigkeit und Vertrauen sein Herz, wie seine Hände zu Gott emporheben. Die leibliche Gebärde drückt aus, was im Innern vorgeht. Die äußeren Formen, die Beugung, das Knieen, das Falten der Hände, all das ist für den Reformator keineswegs nebensächlich, so wenig er davon abgehen möchte, gewisse Stunden ganz besonders dem Gebet vorzubehalten. Denn der Mensch ist ein Wesen, das nicht so ohne weiteres recht beten kann; seine Schwachheit und Trägheit sind groß. Er bedarf der Hilfe und des Ansporns. Darum soll er des morgens, ehe er an sein Tagewerk geht, um Mittag, vor und nach der Mahlzeit, und am Abend beim Feierabend sich zum Gebete sammeln. Calvin hat zu diesem Zwecke eigens Gebete verfaßt, in denen Reminiscenzen an die klassischen Gebete der Kirche anklingen. Es ist doch offenbar nicht nach dem Willen des Reformators geschehen, wenn in reformierten Kirchen das tägliche Gebet als regelmäßige Übung außer Gebrauch gekommen ist. Calvin würde auch nicht den Einwand haben gelten lassen, Wiederholungen seien verwerflich, oder man habe nicht immer die Bereitschaft zum Gebet. Gerade diese Bereitschaft will er durch Übung fördern, und was die Wiederholung der Gebete betrifft, so ist ihm ganz klar, daß Christus dieselbe nicht verpönt hat; er ruft vielmehr seine Jünger zum ausdauernden, beharrlichen Gebet auf. Wir dürfen gar mit Leidenschaft beten(affection véhémente, sagt der franz. Text v. 1560). Da der Mensch sein Leben lang mit der concupiscentia zu ringen hat, darf der Christ in solchem Kampf nicht müde werden. Im Anschluß an die Lehre von der Taufe, in der Calvin das Pfand der Wiedergeburt sieht, mahnt er »de batailler vertueusement«, d. h. tapfer zu kämpfen, sich zu üben in solchem Kampf; dabei will Calvin auch das Fasten nicht einfach als abgetan ansehen. Er weiß recht wohl, welchen Wert das Fasten als geistliche Übung besitzt; nur warnt er auch hier wieder davor, daraus ein Verdienst zu machen. Wir fassen zusammen: Für Calvin steht es fest, daß Gott der Schöpfer des neuen Lebens ist. Der Mensch „kann sich selbst nichts Gutes geben”. Aber, wo Gott sein Werk begonnen hat, da ist der Mensch zur Mitarbeit aufgerufen, da wird sein Wille beansprucht. Es gehört mit zu Gottes gnädigem Handeln an uns, daß er unsern Willen nicht aufhebt, sondern in seinen Dienst nimmt. Man wird Calvin niemals gerecht, wenn man ihn einseitig und exclusiv auf das sola gratia festlegen will, als hätte der Mensch gewissermaßen nachher nichts zu tun als zu warten. Nein, der Mensch wird in Dienst genommen; er ist Gottes Mitarbeiter; er kann auf dem göttlichen Grund bauen. So hat schon Paulus gelehrt. Er baut auf dem Gebiet seines eigenen Lebens, darum gibt es auch für den Frommen, wie Calvin ihn gesehen hat, geistliche Übung. Buße und Selbstverleugnung kommen zum Ausdruck in der Meditation des künftigen Lebens, der Leiden des Herrn, der Nichtigkeit des Irdischen. Calvin hat ausführlich von diesen Dingen gehandelt. Er wird mißverstanden, wenn man seine Ausführungen einfach lehrhaft versteht. Für Calvin ist das Gebet die vornehmste Übung (praecipuum fidei exercitium), und die christliche Freiheit ist nicht so gemeint, daß es in das Belieben des Menschen gestellt sei, wann und wie er betet. Gewiß ist Calvin in hohem und edlem Maße Humanist; er steht bereits in der neuen Zeit, die nach ihm mehr und mehr einseitig unter die Gewalt der Ratio geraten ist. Aber er ist nicht nur ein großer Liebhaber und Verehrer des christlichen Altertums gewesen; er war Unionsmann im besten Sinn des Wortes, ein katholisch empfindender Christ, der zehn Ozeane durchqueren wollte, wenn damit der Einheit der Kirche gedient wäre. Er wollte Gemeinschaft mit der Kirche der vergangenen Jahrhunderte, und was sie als köstliches Erbgut bewahrt, was nur römischer Mißbrauch verdorben hatte, das gedachte er in gereinigter, wiederhergestellter Gestalt seiner Kirche zu erhalten. Dazu ist auch die maßvolle geistliche Übung zu rechnen. Das Gottesjahr 1938, S. 32-35 © Johannes Stauda-Verlag Kassel 1938 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-24 |