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von Friedrich Bartels |
In den meisten Häusern unseres Volkes ist mit einer tragenden kirchlichen Sitte auch längst der Sinn der Tischgemeinschaft verloren gegangen. Die Profanisierung des Lebens hat sich damit an einem entscheidendem Punkte ausgewirkt und dem Hause eine gestaltende und spendende Mitte genommen. Aber es ist so, als ob die Menschen bei aller rationalen Überlegenheit dafür doch irgendein Gefühl hätten. Denn gerade hier im alltäglichen Geschehen des Mahles ist doch die Erinnerung am längsten erhalten geblieben, daß unser Leben aus eines Höheren Hand kommt und in Seiner Hand steht. Darum hat sich im allgemeinen das Tischgebet länger behauptet als andere Sitten der Gemeinde, wenn es auch oft genug nur den Kindern überlassen war. Selbst da, wo man es gar nicht mehr kennt, findet sich darum heute wieder das Bemühen, der Tischgemeinschaft wenigstens bei besonderen Gelegenheiten eine besondere Weihe zu geben und sie feierlich zu gestalten; und wenn es nur ein „weltlicher” Tischspruch ist, der dazu gebraucht wird, so ist darin doch das Gefühl lebendig, daß das Essen und Trinkern nicht so ganz ohne Besinnung abgemacht werden kann. Nun hat das gemeinsame Mahl von jeher eine große Bedeutung für die Gemeinschaft des Hauses, der Familie, der Sippe gehabt. Die Gemeinschaft fand darin ihren - früher kultisch geprägten - Ausdruck und empfing daraus zugleich neue Festigung und innere Kraft. Aber was sich an Resten geformter Tischgemeinschaft unter uns heute noch findet, ist doch damit allein nicht erklärt; es ist vielmehr ein Stück Erbe der christlichen Geschichte unseres Volkes. Soll die Tischgemeinschaft heute wieder sinnvoll werden und ihre sammelnde Kraft für das Leben der Familie und des Volkes entfalten, so kann das nur in einer Besinnung darauf geschehen, was sie der chrislichen Gemeinde bedeutet. Von dieser Mitte her erschließen sich erst ganz die Bilder von der Tischgemeinschaft, in denen Jesus das Himmelreich veranschaulicht. „Es werden kommen vom Morgen und vom Abend, von Mitternacht und vom Mittage, die zu Tische sitzen werden im Reiche Gottes” (Luk. 13, 29); „Ihr sollt essen und trinken an Meinem Tisch in Meinem Reich” (Luk. 22, 59). Das Himmelreich ist dem Menschen gleich, der ein großes Abendmahl machte und viele dazu lud. Und als die geladenen Gäste nicht kamen, ließ er von den Landstraßen und Zäunen hereinholen, wen seine Knechte fanden, auf daß das Haus voll würde zum Mahle (Luk. 14, 15-24). Dasselbe Bild begegnet uns in dem Gleichnis von der königlichen Hochzeit (Matth. 22, 2-14). Und das Gleichnis wurde sichtbare Gestalt in Jesu eigenem Handeln. Er setzte sich mit den Zöllnern und Sündern an einen Tisch und aß mit ihnen (Matth. 9, 10 f., Luk. 15, 2). Den Führern des Volkes war es in höchstem Maße anstößig; und es ist doch nichts anderes als der Hinweis auf das große himmlische Abendmahl: die Armen und Krüppel, und Lahmen und Blinden, die von der Landstraße und den Zäunen sind zu Seinem Mahl geladen. Er ist gekommen, sie zu suchen und selig zu machen. An Seinem Tische werden alle satt. Die Tausende, die Ihm in die Wüste gefolgt sind, läßt er sich lagern auf das grüne Gras: eine große Tischgemeinschaft, „und nahm die fünf Brote und die zwei Fische , sah auf gen Himmel und dankte und brachs und gab die Brote den Jüngern, und die Jünger gaben sie dem Volk. Und sie aßen alle und wurden satt und hoben auf, was übrigblieb von Brocken, zwölf Körbe voll” (Matth. 14, 19 ff.). Das Geheimnis des Himmelreiches leuchtet darin auf. die Fülle Seiner Gaben ist unerschöpflich. „Du schenkst mir voll ein” (Ps. 23, 5). Aber durch Ihn, der in der Tischgemeinschaft das Reich Gottes anschauen ließ, ist darum jedes gemeinsame Mahl geheiligt, d. h. unter Seine Herrschaft und unter Seine Verheißung gegeben. Sein Geheimnis ist darin verborgen und will darin geehrt sein. Darin allein hat die tägliche Tischgemeinschaft ihren tiefen Sinn, daraus spendet sie ihren Segen. Die Christenheit hat das zu allen Zeiten gewußt und bis heute behalten. Sie feiert die Tischgemeinschaft. Sie kann die Gaben, die dargereicht sind, nicht ohne Dank hinnehmen. Essen und Trinken geschieht zu Gottes Ehre. Das gibt ihm die rechte Ordnung und Würde und bewahrt vor der Entartung in sinnloses Genießen. Wir schauen auf den, der alles erfüllt mit Wohlgefallen, der mit Seiner milden Güte uns speist. Wir bitten den Herrn, bei Tische unser Gast zu sein und zu segnen, was Er beschert hat. Wir sind gewiß, daß Er in der Mitte ist. Gott deckt uns den Tisch. „Er gibet Speise reichlich und überall, nach des Vaters Weise sättigt er allzumal”. Aber weil das Mahl Gleichnis des Himmelreichs ist, können wir nie bei diesen irdischen Gaben hängen bleiben. Durch die reiche Fülle der Tischgebete und Tischlieder unserer Kirche klingt es immer wieder hindurch: Er selber ist es ja, der sich uns gibt. Im Dank für die irdische Speise bringen wir Ihm zugleich den Dank für die göttliche Speise Seines Wortes, mit dem Er unsere Seele speist. Im einen wird das andere angeschaut, mit dem einen für das andere gedankt. Wir leben von Seiner Gnade hier wie dort. Weil die Feier der Tischgemeinschaft das so eindringlich macht, strahlt sie ihren Segen aus in unseren Tag. Die Mahlzeit zu Mittag kann und sollte wirkliche Mitte des Tages sein. Die Tischgemeinschaft fügt uns, Kinder des einen Vaters, immer neu zusammen und läßt uns miteinander nehmen aus Seinem Reichtum, miteinander loben und Seiner Güte danken, miteinander bitten um das zeitliche und das ewige Brot: Wir bitten unseren lieben Herrn, Er woll auch ferner uns bescher'n. Woll speisen uns mit Seinem Wort, daß wir satt werden hier und dort. Das Gottesjahr 1937, S. 63-66 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-15 |