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von Alfred Dedo Müller |
Die biblische Sicht der Familie wird am deutlichsten, wenn wir von den Vorwürfen ausgehen, die heute gegen sie erhoben werden. Es sind vor allem zwei: die Bibel führe in höchst gefährlicher Weise zum Festhalten an veralteten Anschauungen und sie hindere uns, die neuen Erkenntnisse ernst zu nehmen, die uns über die Grundlagen und das Wesen der Familie aufgegangen seien. Dabei ist einmal an die Gemeinschaftsformen gedacht, in denen die Familie sich in der Bibel darstellt, und sodann an den sozialen, den erotisch-sexuellen und besonders den biologischen Fragenkreis unserer Tage. Man weist also darauf hin, daß die Großfamilie des Alten Testaments mit dem Mann an der Spitze, der mehrere Frauen nebeneinander hat und die absolute Gewalt über seine Hausgenossen übt, uns ebensowenig mehr angehe wie die Familienform des neutestamentlichen Zeitalters, wie sie sich uns aus den „Haustafeln” (Kol. 3, 18 - 4, 1 und Eph. 5, 21 - 6, 9) mit der scharfen Überordnung des Mannes über Frau, Kinder und - Sklaven darstellt. Namentlich der aus unerträglicher Lage aufstrebende Stand des Arbeiters und die durch den modernen Industrialismus aus der zerbrechenden patriarchalischen Form der Familie in das Erwerbsleben hinausgestoßene Frau mußten eine Festlegung auf diese biblische Form des Familienlebens als unerträglich empfinden. So ist es nicht zufällig, daß August Bebel einmal betont: „Was in der sogenannten christlichen Welt die Stellung der Frau allmählich verbesserte, war nicht das Christentum, sondern die im Kampf wider die christliche Auffassung gewonnene Kultur des Abendlandes.” Nicht minder leidenschaftlich ist aus der sexuellen und erotischen Not schon der Vorkriegs-, besonders aber der Nachkriegszeit auf die Unhaltbarkeit der biblischen Auffassung hingewiesen worden. So fand insbesondere die Jugendbewegung dort keinen Raum für die drängenden erotischen Sehnsüchte, die sie aus dem traditionellen Familienleben des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit seiner moralischen Enge und Gefühlsdürre in neue Gemeinschaftsformen hineingetrieben hatten. Und als dann die Not der Nachkriegsjahre schließlich die Fragen der biologischen Auslese immer mehr in die Mitte des völkischen Erneuerungswillens rückte, schien es wieder so, daß ein individualistisch und humanistisch gewordenes Christentum, das nur den einzelnen und sein Verhältnis zu Gott kannte, nicht die Klarheit des Blickes und die sachliche Herbheit gewinnen lasse, die unerläßlich sind, wo das Wohl von Volk und Rasse gegen die Ansprüche und Launen des einzelnen zur Geltung kommen soll. Die Bedeutung dieser Sicht der Familie mag an drei Gesichtspunkten deutlich werden: sie ist streng realistisch, streng kritisch und streng konkret; sie ist in radikaler Weise auf Wirklichkeit, auf Scheidung und auf Gestaltung gerichtet. Die Familie von Gott her sehen heißt also zunächst, all die irdischen Tatbestände sehen, auf denen sie ruht, mögen sie soziologischer, sexueller, erotischer oder biologischer Art sein. Es kann keine Weltinhalt geben, der von Christus her nicht gesehen und bis zum letzten ernst genommen werden müßte. Es geht ja eben darum, durch all die Vernebelungen durchzustoßen, in denen sich uns die Schöpfung Gottes und ihr tiefster Sinn immer wieder verhüllt. Zweierlei wird von da aus verständlich: einmal die unerhörte Nüchternheit und innere Freiheit, in der in der Bibel, besonders im Alten Testament, die Nauptgrundlagen der Familie, die wirtschaftlichen und die geschlechtlichen und erotischen - man denke an das Hohelied! - gesehen und dargestellt sind. Es wird jeder Art von Prüderie und Moralismus immer unverständlich sein, wie so etwas in „Heiliger Schrift” Raum finden kann. Zugleich aber macht der theologische Realismus, aus dem heraus dies alles gesehen ist, deutlich, daß uns die ewig unausschöpfbare Aufgabe gestellt ist, hinter aller irdischen Gestalt der Familie immer von neuem nach ihrem ewigen Sinn zu fragen. Von Gott her über die Welt denken heißt eben, um eine letzte Tiefe der Wirklichkeit wissen, die sich in keinem irdischen Sachverhalt erschöpft. Wer die wirtschaftliche, die gesellschaftliche, die sexuelle, die erotische, die biologische Gestalt der Ehe absolutsetzt, zerstört ihren ewigen Wert ebenso wie der, der gegen sie blind ist. Von da aus erklären sich die eigentümlichen Worte über die geschlechtliche Seite des Familienlebens, die das moralistische Mißverständnis der Bibel immer wieder als die Proklamation eines schrankenlosen Asketismus aufgefaßt hat. Aber man sehe doch, daß im Evangelium beides nebeneinander steht: die Erkenntnis, daß es letzte Lebenserfüllung auch ohne Sexualität gibt - „in der Auferstehung freien sie weder, noch lassen sie sich freien” (Matth. 19, 30 dazu 19, 12 und Matth. 5, 28 f.) - „ein Mann tut gut, keine Frau zu begehren” (1. Kor. 7, 1) „das Wesen dieser Welt vergeht” (1. Kor. 7, 31), und zugleich das andere, daß Gott „der im Anfang den Menschen gemacht hat, machte, daß ein Mann und ein Weib sein sollte” und daß „ein Mensch Vater und Mutter verlassen und an seine Weibe hangen wird”, sodaß nun die leibliche Einigung die letzte Würde gewinnt, die möglich ist: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden” (Matth. 19, 4 ff.). Unschwer läßt sich diese Einstellung zu dem geschlechtlichen Element des Familienlebens auf alle anderen irdischen Sachverhalte übertragen, die familienwichtig sind. Ihnen allen gegenüber ist wie die radikale Nähe der radikale Abstand gefordert, der Schöpfer und Geschöpf unerbittlich voneinander scheidet. So allein wird das unerhörte Wort Jesu verständlich: „So jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein” (Luk. 14, 26). Auch dies wird bloßer Moralismus nie verstehen. Es kann nur dem Radikalismus lebendig werden, der weiß, daß die Beziehung zu Gott die Voraussetzung aller Sinnerfüllung und Ordnung des Familienlebens ist. Das ist auch der sehr lebendige Sinn der Haustafeln im Epheser- und Kolosserbrief, in denen alle natürlichen Abhängigkeitsverhältnisse des Familienlebens als Abbild der Abhängigkeit von Christus verstanden werden. Das hebt die natürliche Abhängigkeitsordnung nicht ohne weiteres auf, aber es nimmt ihr jede absolute Bedeutung. Es macht jede Verkrampfung in ihr unmöglich. Das gilt auch von der viel angefochtenen Unterordnung der Frau unter den Mann. Gewiß spiegelt sich hier die patriarchalische Überordnung des Mannes über die Frau. die Paulus vorfand. Es hängt mit der unbedingten Konkretheit der biblische Sicht der Familie zusammen, daß Paulus darüber nicht einfach hinwegsieht. Aber wenn es nun heißt: „Seid einander untertan, wie es die Furcht Christi verlangt” und wenn der Mann in demselben Sinn als das Haupt der Frau bezeichnet wird, wie Christus das Haupt der Kirche ist, so ist darin ebensowohl Sinn wie Grenze der soziologischen Abhängigkeit bezeichnet (Eph. 5, 21 ff.). Es ist ebenso ein radikales Ja wie ein radikales Nein zur besonderen Verantwortung des Mannes gesagt. Das kommt unmißverständlich darin zum Ausdruck, daß dem Hinweis auf Christus das Wort hinzugefügt ist. „er freilich als Erlöser seines Leibes” (Eph. 5, 23). Und auch dies ist deutlich, daß die Ausrichtung aller Glieder der Familie auf Christus zugleich eine völlige Gegenseitigkeit der Liebe begründet und somit die Verantwortung des Mannes gegen die Frau ganz in das eigene Lebensgefühl und die eigene Gottbeziehung des Mannes aufgenommen sein will: „Ihr Männer liebt die Frauen, wie auch Christus die Gemeinde liebte und sich selbst für sie hingab, damit er sie heilig mache durch die Reinigung mit dem Wasserbade im Wort”. Solche Liebe schulden die Männer ihren Frauen als ihren eigenen Leibern. „Wer sein Weib liebt, liebt sich selbst; denn noch hat niemand sein eigenes Fleisch gehasset, sondern man hegt und pflegt es wie auch Christus die Gemeinde ...” (Eph 5, 25 ff.). So bindet die biblische Sicht der Familie den Familiensinn und den menschlichen Gestaltungswillen an das Urbild aller menschlichen Gemeinschaft und zwingt es dann ebenso zu radikaler Nüchternheit gegen alles bloß menschliche Planen wie zum kühnsten Aufschwung über alles bloße Haften am irdisch Gegebenen, weil hier auch die Familie verstanden sein will als die Gemeinschaft von Menschen, die „unter Gott” sind. Das Gottesjahr 1937, S. 48-53 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-15 |