titel

Startseite
Jahrgänge
1934
Autoren
Stichworte
Neue Seiten

Der kommende Herr
von Wilhelm Stählin

LeerDas Kommen Christi geht durch die Zeiten. Er ist der kommende Herr vom Anbeginn der Welt bis zum Ende aller Tage. Das Kommen Christi, die „Zukunft” des Herrn, ist der heimliche Sinn der Geschichte.

Leer„Im Anfang war das Wort.” Von allem Anfang an im verborgenen Grund und Beginn alles Geschehens ist das Wort, das der ewige Gott seiner Welt sagt; das uns zugewendete Angesicht des unsichtbaren Gottes. Gott teilt sich selber mit an seine Welt. Gott hat in alles sich selbst hineingegeben. Gott ist als der Sohn gegenwärtig in allen Seinen Offenbarungen. - „Durch Ihn ist alles geschaffen, das im Himmel und auf Erden ist.” Wie könnte etwas sein, das nicht durch das Wort des Vaters ins Dasein gerufen wäre, nicht durch das Opfer Seiner Liebe Bestand hätte. Darum ist das Licht Sein Gleichnis. Darum ist der Weinstock Sein Gleichnis. Darum ist das Brot Sein Gleichnis. Es ist alles in der heimlichen Tiefe mit ihm verbunden und gezeichnet mit dem Zeichen des Menschensohnes.

Leer„Gott schuf den Menschen zu Seinem Bilde.” Der Mensch aber, der ganz zum Bild des Vaters auf Erden geworden ist, das ist der Gottmensch, der Menschensohn und Gottessohn. Darum ist der Mensch von Anbeginn zu Ihm geschaffen und ist unterwegs zu Christus, dem Gottes- und Menschensohn. Da Gott der Herr Adam schuf, meinte er Christus.

LeerDas ist das erste Kommen Christi. Ganz in der Verborgenheit, so wie Blätterwerk und Blüte und Frucht verborgen sind in dem Samenkorn, das in die Erde gelegt ist.

LeerAbraham empfing die Verheißung und ging um dieser Verheißung willen aus Vaterland und Freundschaft durch die weite Wüste zu dem Land, das ihm bestimmt war. Darum nennt ihn die Schrift den Vater aller Gläubigen. Der Glaube aber, der der Verheißung traut, sieht über alle Abgründe des Raumes und der Zeit das endliche Ziel. Abraham sah „Meinen Tag und freute sich”. - Abraham ward gesegnet von Melchisedek, dem König von Salem, der brachte ihm Brot und Wein und war ein Priester Gottes des Höchsten. Darum leuchtet in ihm auf die Ahnung eines königlichen Priestertums, das sich selbst darbringt als Brot und Wein. In solchem Vorbild begegnet Er selbst, der himmlische Hohepriester, dem Vater der Gläubigen.

Linie

LeerAbraham und Melchisedek führen die lange Reihe derer an, die mit der inbrünstigen Schau ihrer Seele gerichtet waren auf den kommenden Tag und die in ihrem eigenen Leben und Leiden ein Schatten waren der zukünftigen Dinge: „die lieben Propheten all” und die kämpfenden, leidenden, opfernden Gottesstreiter. Sie reden von der Wurzel in dürrem Erdreich, von dem heiligen Sproß, von dem neuen Bund und dem neuen Tempel, von dem leidenden Gottesknecht und einem ewigen Reich. In ihren Gesichten, aber auch in ihren Wunden und Tränen und in ihren Hoffnungsbildern kommt Er zu dem Volk, aus dem Er den Schoß Seiner Geburt bereiten will, so wie der Tag kommt in dem einsamen Gesang des Vogels in der Nacht. Aber in aller Welt kommt er in dunklen Ahnungen frommen Glaubens, in heiligen Bildern vom leidenden Gott und von dem endlichen Sieg des Lichtes. Das ist das andere Kommen Christi.

LeerAls die Zeit erfüllt ward, sandte der Vater den Sohn. Das Wort ward Fleisch. Der, durch den alle Dinge geschaffen sind, ward geboren aus dem Leibe der Maria. Er wohnte unter uns, und wir sahen Seine Herrlichkeit: das Ebenbild des unsichtbaren Gottes und den Abglanz Seiner Herrlichkeit. Er ist umhergezogen und hat wohlgetan. Er heilte die Kranken; Er trieb die Teufel aus und vollbrachte das Wunder der Wandlung. Nun ist der Ewigkommende nicht nur der Zukünftige. Er ist gekommen ins Fleisch und hat in der gefallenen und verderbten Schöpfung den Grund einer neuen Schöpfung gelegt. Der im Anfang war, ist eingegangen in die Geschichte, und die Geschichte hat ihre Mitte empfangen. Alle Jahre von Urbeginn sind Jahre vor Christi Geburt. Alle Jahre bis an den letzten Tag sind Jahre nach Christi Geburt. Das ist das Kommen Christi in der Zeit.

LeerNoch aber kommt Er in Armut und Niedrigkeit. Er trägt den Leib des Todes und war gehorsam bis zum Tode. Aber durch das Opfer Seines Leibes hat Er den Tod überwunden. Durch die Pforte des Todes und durch die Kammer des Grabes geht Er zum Vater und empfängt den Namen, der über alle Namen ist und die Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte „ehe der Welt Grund gelegt war”. Auferstehung ist nicht Rückkehr in das irdische Leben; sie ist Aufstieg und Eingang in das himmlische Reich. Aber die Leiblichkeit des Menschen ist nicht abgestreift wie ein bestaubtes und zerschlissenes Reisegewand, sondern sie ist „verklärt”, das heißt, sie ist ganz zum durchscheinenden Licht, ganz Kraft und Herrlichkeit geworden. In dem Christussieg über Teufel und Tod ist der Morgen der anderen Schöpfung angebrochen. Mit dem Gruß „Der Herr ist auferstanden” grüßen sich die Gläubigen am frohesten Fest der Christenheit. Von Ostern bis Himmelfahrt brennt das Christuslicht in den Kirchen. Nun beginnt Woche um Woche durch die Jahrhunderte mit dem „rechten Sonnentag”, weil das Grab dieser Welt gesprengt ist für das Leben der zukünftigen Welt.

LeerEr kommt in den Feuerstammen und dem brausenden Wehen des Pfingstfestes. Der Geist ist Sein Statthalter auf Erden. Er kommt in dem Wort, das die Herzen wandelt, Er kommt in der Liebe, die dem Ärmsten und Geringsten Kunde und Zeugnis gibt von der Liebe des Vaters. Er kommt in Seiner heiligen Kirche; wo zwei oder drei versammelt sind in Seinem Namen, ist Er mitten unter ihnen, und in dem gebrochenen Brot und dem Kelch des Heils empfängt Ihn Seine Gemeinde als Speise und Trank. Der Lobpreis Seiner Kirche vereinigt sich mit der Anbetung der Engel „Gelobet sei der da kommt!”

Linie

LeerMitten in der Kette der Geschlechter, die von Adam her kommen und mit ihm aus dem Paradiese vertrieben sind, beginnt die Reihe der neuen Schöpfung, die mit Christus, dem zweiten Adam, ihren Anfang genommen hat. Die Kirche ist der Schoß, den Gott bereitet hat zur Stätte der neuen Geburt, und aus der Ihm ohne Unterlaß die Kinder geboren werden. „Ist jemand in Christo, siehe da: Hier ist neue Schöpfung.” Der eingeborene Sohn des Vaters ist der Erstgeborene und hat viele Brüder gewonnen. Und in dieser Welt lebt das Christusvolk der Kinder und Erben.

LeerAber noch tragen wir alle den Fluch, der durch Adams Fall über alles Fleisch gekommen ist, „trauernde, weinende, betrübte, elende Kinder Evä”. Noch herrscht der Fürst dieser Welt und übt in Versuchung und Anfechtung, in Sünde, in Leiden und Tod seine grausame Macht. Noch ist das Leben derer, die in Christi Tod gekauft sind, mit Ihm verborgen. Noch kann niemand die Herrlichkeit Christi sehen, dem nicht durch das Raunen des Geistes das Auge aufgetan ist. Noch scheint das Licht des Morgensterns an einem dunkeln Ort. Noch ist nicht erschienen, was wir sein werden. Noch muß sich aller Lobpreis des kommenden Christus wandeln zu inbrünstigem Flehen „ja, komm Herr Jesu”. Aber „es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde”. Der, dessen Geburt verkündet ist den Hirten in der Nacht, den der Vater selbst Seinen Auserwählten geoffenbart hat als Seinen Christus, der erschienen ist den glaubenden und liebenden Herzen, wird erscheinen aller Welt. Er kommt in den Wolken des Himmels. - Die Bibel redet nicht von der Wiederkunft Christi, sondern sie redet von seinem Kommen schlechthin, von seinem offenbaren Kommen in Herrlichkeit. Die Schöpfung wird vollendet, wie sie begonnen ist am ersten Tage. Das Chaos dieser Welt, in der das Oben und das Unten, das Licht und die Finsternis durcheinander wogen und die Teufel selbst in dem Gewand der Engel die Herzen verwirren und verführen, dies Chaos lichtet sich in dem Ur-Teil des letzten Gerichtes. Dann wird Christus offenbar als das Licht aller Welt, als der letzte und allein gültige Sinn alles Lebens, als das Leuchten aller Sterne und das Blühen aller Blumen, als das Leben aller Welt. Dann werden alle Götzen offenbar in ihrer Nichtigkeit. Dann werden alle Götter dieser Welt von ihrem Thron gestürzt. Dann gilt nichts als was in der Liebe getan ist. Dann leuchtet auf den Stirnen derer, die überwunden haben, der neue Name, der Christusname des erlösten und gewandelten Lebens. Dann ist das Kommen Christi vollendet. „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unsres Gottes geworden und die Macht Seines Christus.”

Leer„Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.” Auf den alten Bildern thront Christus als der himmlische König über dem siebenfarbenen Regenbogen. Der Bogen der göttlichen Treue ist ausgespannt über alles Land und alle Zeiten. Der ewige Ratschluß des Heils ist der Thron, der bereitet ist für Christus. Unter diesem Spannungsbogen lebt die Menschheit ihre Geschichte, leben wir unsren kleinen Erdentag: zwischen Anfang und Ende. Von Ihm kommen wir her, Er wartet auf uns am Ende. Nichts anderes haben wir zu erwarten, nichts anderes ist die Zukunft, die auf uns zukommt. Wir ergreifen uns selbst und das Leben unsres Volkes in dem abgründigen Ernst dieser weltenweiten Wahrheit, wir lassen uns nicht blenden von den Irrlichtern der vergehenden Welt; aber gleich den Domen unsrer Väter, die in dem Dunkel der Tage mit dem strahlenden Auge ihres Chores nach Osten gerichtet sind, wandern wir dem Morgen des kommenden Tages entgegen; diesem Christus als der ewigen Liebe Gottes geloben wir uns mit Leib und Leben und um dieser übergroßen Hoffnung willen laufen wir täglich mit Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist. Dies und nichts anderes meinen wir mit dem Bekenntnis:

Rudolf Koch


Das Gottesjahr 1934, S. 120-123
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-11
TOP

Impressum
Haftungsausschluss