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von Nikolaus von Arseniew |
Der Mittelpunkt des Lebens der Gemeinde ist das Sakrament des Abendmahles. „So sind wir viele ein Leib, dieweil wir alle eines Brotes teilhaftig geworden sind”. Mit inbrünstiger Liebe, mit Ehrfurcht und Beben und Demut und Verlangen tritt die Seele an den Tisch den Herrn: „Herr, ich bin nicht wert, daß Du unter mein Dach tretest. Aber sage nur ein Wort, und meine Seele wird geheilt (et sanabitur anima mea)” - so betet der Gläubige im römischen Ritus vor dem Empfang des Sakraments. „Ich bin bestürzt, o mein Herr und Gebieter”, betet Johannes Chrysostomus, „daß Du treten willst unter das Dach meiner Seele. Aber da Du, als Menschenliebender, wünschst, in mir Wohnung zu nehmen, so fasse ich Mut und trete heran. Du gebietest, daß ich die Tür öffne, die Du allein geschaffen hast, und Du ziehest ein mit Barmherzigkeit, denn Du bist der Barmherzige. Du ziehest ein und Du erleuchtest meine verdunkelte Gedankenwelt”. . . „Komm, o mein Licht! und erleuchte meine Finsternis. Komm, o mein Leben, und löse meinen Todestraum. Komm, o mein Arzt, und heile meine Wunden. Komm, o Flamme göttlicher Liebe, und versenge die Dornen meiner Sünden und entfache mein Herz mit dem Feuer deiner Liebe. Komm, o mein König, setze dich auf den Thron meines Herzens und herrsche darin: Denn Du allein bist mein König und mein Herr” (Demetrius von Rustov, um 1700, russische Kirche). „Du bist der Arzt, du bist das Licht, du bist der Herr, dem nicht gebricht, du bist der Brunn der Heiligkeit, du bist das rechte Hochzeitskleid. Drum, o Herr Jesu, bitt ich dich: In meiner Schwachheit heile mich; was unrein ist, das mache rein durch deinen hellen Gnadenschein”. . . (Johann Heermann, 1585-1647, lutherisch) Es ist ein Heiliges da, und dieses Heilige ist größer als unser Herz, ist nicht abhängig von unserer Subjektivität. Es ist etwas Gegebenes, Geschenktes, eine überwältigende Gnadengabe Gottes. Es ist die Gegenwart des Herrn, nicht bloß die allgemeine mystische Gegenwart, die man überall erleben kann, sondern die konkret-mystische Gegenwart des menschgewordenen Herrn - in seiner Menschheit, die gelitten hat, in seinem Leibe und Blut, die für uns dahingegeben worden sind, aber des verklärten Herrn, in seinem verklärten Fleisch und Blut, in seiner verklärten Menschheit, in dem Leibe seiner Auserstehung. Das ist der Sinn der johanneischen Worte: „Der Geist ist's, der da lebendig macht, das Fleisch nützt nichts; meine Worte sind Geist und Leben.” Wie schon im Gebete der alten „Didache”, so haben wir auch in den christlichen Liturgien den jubelnden Ruf, mit dem der Herr begrüßt wird und empfangen, der Herr, der da kommt in den eucharistischen Gaben. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen! Hosianna dem Sohne Davids, gelobt sei der da kommt in dem Namen des Herrn, Gott der Herr ist uns erschienen, Hosianna in der Höhe!” - so ruft schon die „Clementinische” Liturgie. Und ähnlich im Cherubim-Gesang der byzantinischen Liturgie (konstantinopolischen Ursprungs, aus dem 6. Jahrhundert): „Lasset uns jetzt jegliche irdische Sorge ablegen, damit wir den König aller empfangen, der von den Engelschören unsichtbar begleitet wird. Halleluja”. Es ist eine andere, eine erhöhte Welt, die da hineinragt in unsere Welt in Seinem Kommen. Oder vielmehr: wir werden in eine höhere Daseinssphäre hinausgehoben, hier auf Erden wird schon das Reich der Ewigkeit vorweggenommen, die Fülle der Gottesnähe. „Christus ist unter uns!” rufen sich gegenseitig die Priester beim Friedenskuß zu und antworten einander: „Er ist es und wird es auch sein!” (So in den Liturgien des Basilius und des Johannes Chrysostomus). Ja, noch mehr: nicht nur Erinnerung an sein Leiden - der Herr, der gelitten hat, ist selbst da, ist gegenwärtig in seinem von ihm auf Golgatha hingeopferten Fleische und Blute. Und noch mehr: sein Opfer ist da, ist gegenwärtig. Nicht wiederholt von uns, sondern wir sind hinaufgehoben vor sein ewiges Opfer, das ein für allemal und unwiederholbar auf Golgatha stattgefunden hat und nun unablässig von ihm dem Vater dargeboten wird - in der Ewigkeit, in der ewigen verklärten Gegenwart Gottes. Wie es der Seher in der „Offenbarung” geschaut hat. „Und Ich sah, und siehe, mitten zwischen dem Thron und den vier Tieren und den Ältesten stand ein Lamm wie wenn es geschlachtet wäre. . . Und ich sah und Ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron und um die Tiere und um die Ältesten her; und ihre Zahl war vieltausendmal tausend. Und sie sprachen mit großer Stimme: Das Lamm, das geschlachtet worden ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob” (5, 6, 11-12). Diese christologische Mystik bezieht sich auf die durchs Leiden gegangene und verklärte Menschheit des Herrn, auf die wirkliche Gegenwart dieser konkreten Menschheit des Herrn; sie hat einen ausgesprochenen, ergreifenden Akzent der geschichtlichen, konkreten Beziehung in sich, diese Mystik, sie ist auf seine Menschwerdung, sein Leiden und seine Auferstehung und Verklärung gerichtet, sie nährt sich davon. Der wirkliche, konkrete Herr, der das Leiden bis in die Tiefe durchkostet hat und das Leiden überwunden hat, steht in ihrer Mitte. Es ist eine reale Teilnahme an seiner realen Menschheit, die gelitten hat und verklärt ist - an der realen Menschheit des eingeborenen und fleischgewordenen Gottessohnes. Eine „geistliche Speise” (so die „Didache”), eine „lebenspendende, göttliche” Speise (auch „geistliche Perle” wird sie in einem Communionsgebete der Ostkirche genannt), ein göttliches Mysterium; und doch wird auch das Leibliche in seinem ganzen Ernst, in seinem tiefsten und innersten Wesen, in seiner ganzen Tragweite in diesem Akt der Teilnahme an dem verklärten und zugleich realen Leibe und Blut des Herrn, mithineingenommen. Wir kommunizieren mit Leib und Seele. Nicht nur die reale Gegenwart des gekreuzigten und verherrlichten Herrn wird von den Gläubigen in der Eucharistie erlebt, sondern ihr eigenes Wesen wird verklärt, sie werden zu Teilnehmern an seinem verherrlichten ewigen Leben dadurch, daß sie ihn in sich aufnehmen in geistig-physischer Weise, in seinem Leibe und Blute. Die Worte: „Nehmet und esset”, „trinkt alle davon” stehen im Mittelpunkt des eucharistischen Kultus. Und dieses In-sich-auf-nehmen seines Fleisches und Blutes verbindet sie mit ihm auf organische Weise. Schon bei Johannes heißt es ja: „Wer mein Fleisch ißt und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm”. Der Mensch wird Teilnehmer an seinem Leben, die sterbliche Natur wird verklärt. „...Wer mich isset, der wird auch leben um meinetwillen.” Wie sollte, sagte Irenäus, unser Fleisch des ewigen Lebens nicht teilhaftig werden, „da es doch vom Leibe und Blute des Herrn genährt wird und dessen Glied ist?” „Unsere Leiber, die an der Eucharistie teilnehmen, sind nicht mehr vergänglich, da sie die Hoffnung gaben der Auferstehung in die Ewigkeit,... Sie werden zu ihrer Zeit auserstehen.” Ebenso sprechen die alten Liturgien und Communionsgebete von Erlösung und Heiligung der Seele und des Leibes. Aber das ist keineswegs eine rein äußerliche „magische” Teilnahme des Menschen an der göttlichen Wesenheit, die unabhängig wäre vom sittlichen Hergang: die Wirkung des Sakraments ist unzertrennbar verbunden mit dem sittlichen Leben des Menschen. Nur die bereit sind, sich reinigen zu lassen, sind würdig, an das Heilige heranzutreten. „Das Heilige den Heiligen!” so ertönt der Ruf der altkirchlichen Liturgie. Daher ist die ganze Liturgie eine Vorbereitung auf den Empfang des Sakraments im Geiste der tiefsten Buße und Demut, ein Rufen zum Herrn, ein Klopfen an den Pforten seiner Barmherzigkeit. „Ich glaube, Herr, und ich bekenne, daß du wahrhaftig Christus, der Sohn Gottes bist, der in die Welt gekommen ist die Sünder zu retten, von denen ich der erste bin” (Chrysostomus). Und auch die ganze Natur, die ganze Schöpfung wird hineingezogen in dieses Opfer des Dankes und des Lobes; schon dadurch, daß Brot und Wein als Erstlinge der ganzen Schöpfung erscheinen in diesem Prozeß der Heiligung und Verklärung der Kreatur (so schon bei Irenäus). Das ist der kosmische Ausblick, der kosmische Aspekt der Eucharistie. (1) Daher die zentrale Stelle der Eucharistie im Leben der Kirche - sowohl im intimsten persönlichen Leben der Einzelnen, als der großen Gnadenquelle zur Erneuerung der ganzen Persönlichkeit an Leib und Seele, wie auch im Leben der Gesamtheit, der Kirche, der großen Gemeinschaft: der durch die Gegenwart des gekreuzigten und verklärten Herrn untereinander in Liebe verbundenen Brüder. Anmerkung. 1: Uber den kosmischen Aspekt der Eucharistie s. ausführlich in meinem Büchlein: „Ostkirche und Mystik”, Reinhard, München, 1925. S. 85- 91. Das Gottesjahr 1934, S. 105-110 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-11 |