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von Karl Bernhard Ritter |
„Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.” Damit ist auf dem ersten Blatt der Bibel der größte Gedanke ausgesprochen, der jemals über den Menschen gedacht worden ist. Er ist größer als alle die Gedanken, die, aus der Not und Sehnsucht geboren, den Menschen herauslösen aus der Schöpfung, in die er hineingestellt ist und den Sinn seines Daseins in einem Jenseits reiner Geistigkeit suchen; aber auch größer als alle die Gedanken, die den Menschen ableiten aus dem, was unter ihm ist, die sein Leben zurückführen auf untermenschliche Tatbestände im Leiblichen und Seelischen. Alle echte und hohe Kunst hat im Grunde das Ziel, den Menschen zu schauen in dieser Ganzheit von Leib, Seele und Geist, ihn zu schauen als das Bild, da Gottes Herrlichkeit aufleuchtet in der Gestalt aus Fleisch und Blut. „Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde.” Damit ist Anfang und Ende, A und O über den Menschen ausgesprochen. Aber wir wissen: Das Bild ist zerbrochen, entstellt, verunreinigt. Dies Wort steht als eine letzte Erinnerung und als eine für uns unerfüllbare Forderung über uns. In dem Erziehungswillen der Gegenwart leuchtet wieder eine Ahnung auf, daß es vor dieser Forderung keine Flucht in eine reine Geistigkeit gibt und keine Flucht in einen guten Willen. Wir wissen wieder: Der Mensch ist hineingebunden in die Schöpfungszusammenhänge. Er ist dem Verderben preisgegeben, wenn er diese Zusammenhänge mißachtet und vernachlässigt. Darum ist wieder von Erde, Blut und Sonne unter uns die Rede als von den tragenden Mächten unseres Daseins. Darum weiß man wieder von der Aufgabe, den ganzen, leibhaftigen Menschen zu erziehen, der in diesen Zusammenhängen lebt. Ehrfurcht wird gelehrt vor diesen tragenden Kräften des geschaffenen Lebens. Aber, und das zu sagen ist die unabweisliche Pflicht der Kirche, das alles ist nur die halbe Wahrheit. Und eine halbe Wahrheit, für sich allein genommen, wird zum gefährlichen, ja tödlichen Irrtum. Erde, Blut und Rasse und alle strömenden Kräfte der Natur sind nicht an sich heilig und gut. Der Mensch, der erdverbunden ist und eine gute Rasse hat und sie hochhält, der ein gesundes, natürliches Leben lebt, der in Verbundenheit mit seinen und seines Volkes Ahnen lebt, erfüllt damit noch nicht die letzte Forderung. Denn „Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde”. Erst damit ist die ganze Wahrheit ausgesprochen und die Forderung erhoben: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig!” Wo man an diesem Geheimnis der Fleischwerdung Christi und seines Erlösungswerkes im Fleische vorbeisieht, da schaut man an der Wirklichkeit der Menschennot vorbei und endet in Selbstbetrug, in einem überheblichen, gottlosen Menschentum der freien Geistigkeit oder der Naturvergötterung. Immer verfällt der selbstherrliche Mensch in seinem wirklichen, leibhaftigen Leben der tödlichen Herrschaft der Triebe und der Trägheit. Paulus weiß, daß der Mensch, der durch das heilige Gesetz Gottes zur Erkenntnis erwacht ist, seufzen muß: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?” Aber Paulus kann auch fortfahren: „Ich danke Gott durch Jesum Christum unseren Herren”. In ihm, der ins Fleisch gekommen ist, der „an seinem Leibe” unsere Sünde getragen hat an das Kreuz, strahlt die Verheißung einer neuen Schöpfung auf, das Bild des Menschen, der Gottes Ebenbild ist. „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden.” (1. Joh. 3, 2.) Und im Brief an die Epheser heißt es: „Der hinuntergefahren ist in die untersten Örter der Erde, das ist derselbe, der aufgefahren ist über alle Himmel, auf daß er alles erfüllte.” Das Gottesjahr 1934, S. 103-105 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-11 |