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von Alfred Dedo Müller |
Es ist eine eigentümliche Lage, daß sich ebensowohl Größe wie Not unserer Tage vom Bekenntnis aus entrollt. Wir leben in einer Zeit großer Bekenntnisse. Wen sollte das nicht in tiefster Seele freuen! Die Zeiten sind vorüber, wo jeder sich in seinem Kreise, seiner Arbeit, seinem Spezialismus verlieren konnte. Selbst die Wissenschaft, bei der diese Aufteilung unseres Daseins in lauter Sondergebiete in besonderer Blüte stand, hat wegen ihres mangelnden Bekenntnischarakters ihr altvererbtes und scheinbar unerschütterliches Ansehen verloren und ist zu neuer Grundbesinnung aufgefordert. Überallhin dringt der Aufruf zu umfassenden Zielsetzungen. Eine Bekenntnisfreudigkeit ohnegleichen will das ganze Leben bis in die Grußform hinein durchdringen. Bei dieser allgemeinen Lage mußte auch für die kirchliche Neuordnung die Bekenntnisfrage entscheidende Bedeutung gewinnen. Es mag sein, daß es Zeiten gibt, in denen sich die Bekenntnisgrundlage der Kirche gewissermaßen von selber versteht. Eine so auf das Grundsätzliche gerichtete und sich in glutvollen Bekenntnissen verströmende Zeit will auch hier Parolen hören, die der tiefaufgewühlten Seele Richtung geben und Weg weisen können. Es bedeutet nun sicherlich einen Ertrag der ihr vorausgegangenen kirchenpolitischen Kämpfe, dessen man sich uneingeschränkt freuen kann, daß in der „Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche” sich schließlich alle Richtungen in der Anerkennung der geschichtlich gegebenen Bekenntnisgrundlage der Kirche zusammengefunden haben. Aber gleichwohl ist das eben nun der Punkt, an dem eine tiefe Beunruhigung gerade den ernsthaften Kirchenchristen nicht verlassen will. Es tut sich, um es mit einem Wort zu sagen, der Zwiespalt zwischen Wort und Tat mit neuer Gewalt auf. Mit Schrecken nehmen wir wieder wahr, wie weit unser Tun hinter den hohen Zielen zurückbleibt, zu denen wir uns bekennen - und wie wenig uns das im Grund beunruhigt; wie wir uns an den großen Worten also im Grund nur berauschen, uns an ihnen steigern, sie in den Dienst unserer Zwecke zwingen, um nur desto hartnäckiger und beruhigter bleiben zu können, was wir vorher auch waren. Dieser Zwiespalt gilt für das politische Leben ganz gewiß ebenso wie für das kirchliche. Er muß aber auf religiösem Gebiet um so schmerzlicher, ja abstoßender wirken, je deutlicher er hier als Vorstoß gegen das eigentliche Wesen des Bekenntnisses in Erscheinung tritt und je mehr man erwarten müßte, daß von hier die Überwindung des Zwiespaltes ausginge. Vergegenwärtigen wir uns den Sinn dieser Entscheidung nur an einer Aussage des Neuen Testaments. Da heißt es in Phil. 2, 9 f.: „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters”. Man kann das volle Gewicht dieser Aussage nur ermessen, wenn man bedenkt, daß ihr der nachdrücklichste Hinweis auf die Knechtsgestalt des Erlösers vorausgeht. Paulus kennt also das Schicksal dessen in der Welt, von dem er hier so Unerhörtes behauptet. Es kommt ihm darauf an, gerade den Gekreuzigten als den „Herrn” verständlich zu machen, in dem Gott selbst weltgeschichtlich wirksam geworden ist. Gott läßt die letzten tragenden Kräfte des Weltlebens doch wohl deshalb in Christus Jesus am Kreuz offenbar werden, um uns so unmißverständlich wie nur möglich wissen zu lassen, daß unser natürliches Empfinden und unsere menschliche Weisheit gerade an die tiefsten Geheimnisse nicht heranreicht. So wollen alle urchristlichen Bekenntnisse zu Christus als dem Herrn verstanden sein, mag man dabei an 1. Kor. 12, 3, an Röm. 10, 9 oder 1. Kor. 16, 22, an Luk. 2, 11 und Offenbarung 17, 14 denken. Überall waltet ein genaues Wissen um die Unerhörtheit dieser Erkenntnis - mag Paulus kühn behaupten, daß niemand Jesus einen Herren heißen könne außer durch den Heiligen Geist (1. Kor. 12, 3) oder die Geburtsgeschichte des Lukas sich auf das direkte Zeugnis eines Engels berufen oder die Offenbarung in fast untragbarer Paradoxi3 „das Lamm” den „Herrn aller Herrn und den König aller Könige” nennen. Dabei ist allerorten die Gewißheit lebendig, daß es sich nicht um ein in den Wolken thronendes Geistwesen, sondern um den Herrn der Welt, den Herrn der Natur, den Herrn des Alltags handelt, der seinen Herrschaftsanspruch schon in der Gegenwart geltend macht - fordernd, verheißend und richtend, immer aber als die das Weltleben zutiefst tragende Kraft. Insofern will ein Wort von solcher kosmischen Weite wie Kol. 1, 16, das durch Christus alles geschaffen sieht, „was im Himmel und auf Erden ist” - das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne, Herrschaften, Obrigkeiten - und ein Wort von so derber und unausweichlicher Realistik wie 1. Kor. 6, 13 f, das Hurerei als unvereinbar bezeichnet mit dem Besitzrecht des Herrn auf unseren Leib - ganz dasselbe sagen: Christus ist der wirkliche „Herr” der Welt im Großen und im Kleinen, er trägt sie, in ihm gewinnt sie ihren Sinn, „durch ihn und zu ihm” ist sie geschaffen. Es kommt nur alles darauf an, daß uns dafür die Augen und die Herzen aufgetan und der Mut zu tapferem Gehorsam gestärkt werde. Von hier aus mag uns deutlich werden, wie unser religiöses Bekennen allein den beschämenden Zwiespalt zwischen Wort und Tat überwinden kann, unter dem wir heute in ganz besonderer Weise leiden. Wir müssen begreifen, daß Christus der Herr ist - der Herr aller Herren, der Herr der Völker, der Staaten, der Familie, der Einzelnen. In ihm liegen die Kräfte, die das Ganze tragen und mit Sinn erfüllen - ob wir es sehen oder nicht. Er ist der Eckstein - ob wir uns an ihm stoßen oder auf ihn bauen. An ihm werden wir Gericht oder Gnade erleben, Tod oder Leben. Nur an einem Punkte mag uns deutlich werden, was hier nötig ist. Wenn wir vom Führergedanken der Gegenwart uns den Sinn des Bekenntnisses zum Herrentum Jesu klar machen, so ergeben sich uns hier zwei Einsichten.(1) Zunächst die, daß Jesus „auch” ein Führer sein will - in derselben Weise, in der er neben den Herren der antiken Welt „auch” ein Herr sein wollte: nicht eine Idee, nicht ein Programm, sondern eine lebendige Realität, die Vertrauen beansprucht und die alle das Leben zerreißenden Gegensätze mit unerhörter Vollmacht zusammenzufassen und zu neuer Einheit zu verbinden vermag. Das alles nicht anders als irgend einer der großen politischen Führer der Gegenwart, die unter Zertrümmerung aller Ideologien scheinbar unvereinbare Gegensätze wie Nationalismus und Sozialismus zusammengeschweißt haben. Zugleich aber wird von da aus die Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit Jesu deutlich. Er ist „der” Führer - wie er der Herr aller Herren, der König aller Könige ist. In ihm wird alles, was sonst auch größte Führer der Menschheit nur bruchstückweise vollbringen, in urbildlicher Vollendung mächtig. Jede sonst denkbare Führerschaft erlischt, wenn sie ihren Auftrag erfüllt, wenn sie die Gegensätze ihrer Zeit zu umfassenderer Einheit verbunden hat. Jesu Führerschaft ist übergeschichtlich. Sie greift die Gefahren an, die ganz an den Wurzeln unserer Existenz liegen, sie umfaßt die letzten Gegensätze, in die unser Leben immer wieder auseinanderbricht, sie stellt Aufgaben, denen gegenüber all unser Bemühen stets nur Anfang und Stümperei sein kann - und die immer wieder in Angriff zu nehmen doch einzige Rettung bleibt. Anmerkung: 1: Vgl. hierzu: Karl Heim: „Das Führerproblem in der Gegenwart und das Christentum” in „Wort und Tat” 1932 Heft 3. Das Gottesjahr 1934, S. 90-94 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-11 |