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1934
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Michael
von Walter Stökl

LeerDie Kirche Christi umfaßt alle Bereiche „im Himmel und auf Erden”. Der Auferstandene ist Herr über alle irdische Kreatur wie auch über alle „Herrschaften und Throne, Fürstentümer und Gewalten.” Die Kirche auf Erden, bestehend aus den getauften Gliedern der Kirche während ihres Erdendaseins, steht ständig im Kampf mit dem „Fürsten dieser Welt”, ist bedroht und angefochten von finsteren Gewalten, die sie verderben wollen. Das Reich der Finsternis, der Drache der Welt, will sie verschlingen. Sie erliegt dieser Versuchung, wenn ihr nicht von oben her Hilfe im Kampf zuteil wird. Das geschieht durch das verkündigte Wort, das gespendete Sakrament, das Lebenszeugnis der Bekenner und Märtyrer. Sie helfen ihr „den Satan unter unsere Füße treten”. Aber von oben her erfolgt auch ein unmittelbarer Angriff auf die Finsternis und ihr Heer. Die Engel und aller Himmel Heere kämpfen den Kampf der irdischen Kirche mit. Von oben her wird der Satan überwunden durch den Sieg Christi. Er rüstet die Streiter des Gottesheeres aus, die den Irdischen unsichtbar und verborgen beistehen in ihren Kämpfen. Diese Wirklichkeit wird bezeugt in dem Zeichen des Erzengels Michael, des Drachentöters.

LeerIhren biblischen Ursprung hat die Michaelisgeschichte in den prophetischen Büchern des Alten und Neuen Testaments, vor allem im Buche Daniel aus der persischen Zeit und in der Offenbarung des Sehers Johannes. „Der große Fürst Michael, der für die Kinder deines Volkes steht, wird sich zur selben Zeit aufmachen. Dan. 12, 1” und „siehe Michael, der vornehmsten Fürsten einer, kam mir zur Hilfe, da behielt ich den Sieg, Dan. 10, 13”. Hier erscheint Michael als ein Helfer von oben her, der einen besonderen Rang in der himmlischen Hierarchie einnimmt. Mi - cha - el ist schon als Name ein herausfordernder machtvoller Kampfruf: „Wer ist wie Gott?” Es klingt derselbe Kampfeston hindurch wie in Zebaoth, dem Herrn der Heerscharen, von dem wir singen, „und ist kein anderer Gott, das Feld muß er behalten”. Dieser Herr der Himmelsheere gibt Michael den Auftrag, alle Engelsmächte anzuführen zum Kampf gegen den Satan und seine Engel.

LeerIn der Offenbarung Johannes wird uns das kühne Bild vom Drachentöter im 12. Kap. geboten. „Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen; und der Drache stritt und seine Engel, und siegten nicht (Vers 7, 8a)”. Michael überwindet „den großen Drachen, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt (Vers 9)”. Michael ist also eine entscheidende Rolle in dem Endgericht zugedacht. Den Sieg Christi durch Vernichtung des Satans vollends offenbar zu machen, ist die Aufgabe, die Michael zufällt unter den Engelfürsten.

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LeerIn einer dunklen Stelle, die schwer zu deuten ist, kommt Michael noch vor in Jud. 9, aber auch hier steht der Erzengel im Widerstreit mit dem Teufel. In außerbiblischen apokryphen Büchern erscheint er öfters als Krankenheiler, Seelenführer, als Wächter des Himmeltors, ja an einigen Stellen scheint der erhoffte Messias und die Michaelisgestalt in eins geschaut zu sein, sodaß von Michael gesagt wird, er ist zur Rechten Gottes und aller himmlischer Glanz der Herrlichkeit umgibt ihn. Vor allem aber ist er immer betrachtet worden von der spätjüdischen und urchristlichen Zeit an als der besondere Schutzengel des Volkes Gottes. Durch ihn hilft Gott Seinem Volk, er schützt die Gottesstreiter, die für Gottes Ehre ihr Leben wagen.

LeerLuther hat die Engel noch als die „starken Helden Gottes” geachtet. Weil die Reformatoren die Macht des Teufels ernst nahmen, ist ihnen auch das Bild des Drachentöters aus der geheimen Offenbarung als ein Zeichen der Verheißung göttlichen Sieges wert gewesen. Luther sagt in einer Michaelispredigt, indem er heidnische Irrlehre klar abweist, wie sie auch Paulus im Galaterbrief bekämpft hat, als hätten die Engel eine selbständige göttliche Bedeutung und bedürften gottesdienstlicher Verehrung, folgendes über die Engelverehrung im allgemeinen: „also beten wir die Engel nicht an, trauen auch nicht auf sie, wie man bisher getan hat..., sondern danken und loben Gott, daß er sie uns zugute geschaffen hat.” Diesen Lobpreis des Höchsten über die Macht, die er den Engeln gegeben hat, uns zu schützen und beizustehen, müssen wir wieder gewinnen mit der Fülle urchristlicher reformatorischer Botschaft. Die Aufklärung hat mit der Leugnung des Teufels uns auch Michael und das Kap. 12 der Offbg. St. Johannes vergessen lassen. Da wir aufgerufen sind, den Einbruch der Aufklärung in die christliche Verkündigung und das ganze Wesen der christlichen Kirche zu überwinden, gewinnen wir auch einen neuen Blick für das, was wir anschauen sollen in der Gestalt Michaels.

LeerDer biblische Drachentöter ist in besonderem mit unserem Volke verbunden. Das deutsche Volk als christliches Streitervolk Gottes, steht unter dem Schutz des Erzengels Michael, den ihm der Herr zur Hilfe zugesellt hat. Wir sind heute nicht mehr die selbstherrlichen Menschen, die der Engelwelt nicht mehr bedürften und denen das Michaelisfest ein Klang aus längst verlorenen Lebensbereichen erscheint. Die kämpfende Kirche schaut wieder aus nach dem himmlischen Schutz. Wie stark die Verwandtschaft ist zwischen Siegfried, dem Helden der germanischen Sage und Michael, dem Vornehmsten der Fürsten als Drachentöter, die überwinden die alte Schlange, ist offensichtlich. In der deutschen Sage und in der Gleichniswelt der Bibel leuchtet dieselbe Gestalt auf als ein Zeichen dafür, daß der Himmelsherr seine Kämpfer und Helden auf Erden nicht verläßt in ihren Nöten. In die biblische Anschauungswelt ist in Michael ein Bild aus den arisch-persischen Himmelsvorstellungen aufgenommen. Darum klingt dies Bild so stark wieder in unserer deutschen christlichen Seele. Darum finden wir in allen deutschen Kirchen, aus den großen Zeiten des ersten heiligen Reiches deutscher Nation stammend, so oft die Michaelfigur, den Engel mit der glänzenden Lanze oder dem blitzenden Schwert und zu seinen Füßen den ohnmächtig sich windenden Drachen, dem die lichte, kühne Heldengestalt den Fuß auf den Nacken setzt. Die ursprüngliche Deutschheit einer Kirche, ja einer Stadt, ist an ihrer Beziehung zu St. Michael deutlich abzulesen.

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LeerSo steht im alten Preßburg, der Hauptstadt der Slowakei, eine deutsche Stadtgründung an der Donau und heute noch zum Teil deutsch, das Michaelistor als sichtbares Zeichen deutscher Vergangenheit, so ist die einzig deutsche evangelische Kirche in Prag, ein alter Bau aus dem 12. Jahrhundert, eine St. Michaeliskirche und bezeugt in ihrem Sein die Verwurzelung auch deutschen Christentums auf Prager Boden seit alter Zeit. So ist Michael Patron deutscher Stadtgründung. Wenn der kühne Drachentöter an den Türen der Kirchen steht, will uns dies daran erinnern, daß die Kirche in dieser Welt zum Kampf berufen ist. War Michael einst der liebste Volksheilige Deutschlands, so dürfen wir ihn vielleicht auch als den himmlischen Herzog in dem Erneuerungs- und Befreiungskampf unseres Volkes ansehen. In dem ganzen Geschehen unserer Tage, in dem Aufbruch neuen Volkwerdens ist wider alle menschliche Voraussicht und Berechnung ein Sieg der Erneuerungskräfte geschenkt worden. Das mag uns ahnen lassen, daß dort, wo die Menschen verzagen und sich allzuleicht verlocken lassen von teuflischer Versuchung, himmlische Mächte eingreifen „für Sein Volk.” So könnte man sagen, daß die Michaelszeit der Offenbarung für uns angebrochen ist, die Zeit des „letzten” Kampfes um die Überwindung des Drachens in unserem Volk und die Aufrichtung Seiner Herrschaft in einem christlichen Volk. Aber indem wir den Kampf unseres Volkes unter den Schutz des Erzengels Michael stellen, meinen wir damit auch den Kampf gegen den Widersacher, der die Kirche versucht in unseren Tagen, daß sie sich der Freiheit und Unabhängigkeit ihrer Verkündigung und ihrer Ordnungen begibt. Michaels und der Engelheere Kampf gilt dem Schutz des Volkes Gottes, bedeutet nicht eine Heiligsprechung des natürlichen Volkes, meint die Freiheit der Kirche, damit diese zur Verkündigung an dem Volke sich im Dienst der Wahrheit kräftig erweise. Nicht irdischen Machtkampf begleiten die himmlischen Mächte mit ihrem Schutz, sondern allein den Kampf wider den Drachen der Welt, und nur soweit der völkische Kampf einen Einbruch in das Reich finsterer Gewalten von unten her bedeutet, dürfen wir hoffen und glauben, daß „Er für uns streiten wird.”

LeerSo ist denn das die Bedeutung Michaels, daß Christus den Seinen helfen will durch der Engel Schutz. Christus gibt Seine Macht und Herrlichkeit, die ihm der Vater gegeben hat, nicht an die Engel ab, aber er sendet die Engel als Seine Boten aus, daß sie die Seinen geleiten und für sie streiten, besonders dort, wo sie selbst nicht erkennen können die „groß Macht und viel List des alt bösen Feindes”. Wir stehen unter Seinem Schutz besonders da, wo wir ohnmächtig sind. Der schlafende Mensch, der sich selbst nicht schützen kann, tröstet sich des Schutzes der Engel. Das Kind, das noch nicht selbst streiten kann gegen das drohende Unheil, erfährt besonderen Engelschutz. In solchen Zeiten wie die unsrigen, da wir so deutlich an die Grenze unserer Macht und unserer Möglichkeiten geführt sind, erwacht neu unter uns die Gewißheit, daß Er für uns eintritt und wunderbare Wege und Weisen hat, uns beizustehen. Dem erhöhten Herrn ist alles untertan, er macht zu Seinen Diensten die Winde und Feuerflammen, er stellt Engel und Erzengel in den Streit für uns gegen den Widersacher. Heißt es schon im Evangelium von Christus „er sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen”, so geschieht das Gleiche fortan in den kosmischen Weiten und Höhen. Was geschichtlich geschehen ist im Dienst und Kampf des Herrn, in Seinem Tode und in Seiner Auferstehung, geschieht fortan für uns „in den Himmeln”. Der Hohepriester betet für uns am Thron der göttlichen Majestät und schafft uns Frieden und Vergebung durch die Kraft Seines Opfers, der Herr der Himmelsheere streitet wider die bösen Geister unter dem Himmel und behält den Sieg, daß wir uns wundern und Seine Macht preisen. Der erhöhte Herr ist nicht fern und abseits von der Erden Kämpfen; er hat uns nicht nur den Geist als Tröster und die Kirche als Mutter geschenkt, sondern hilft uns auch unmittelbar durch den Dienst Seiner heiligen Engel, durch Michael und Sein streitbar Heer.

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LeerDarum singen wir im Glauben an solche verheißene Hilfe, im Vertrauen auf die biblische Offenbarung, in der uns das Geheimnis des Michaelkampfes wider den Drachen der Welt angedeutet ist, mit unseren Vorfahren aus der Zeit ritterlichen Kampfes deutscher Ordensbrüder als die Kämpfer der Kirche Christi in unseren Tagen:
Unüberwindlich starker Held,
Sankt Michael!
Komm uns zu Hilf, zieh mit zu Feld!
Hilf uns hie kämpfen, die Feinde dämpfen,
Sankt Michael!
Die Kirch dir anbefohlen ist,
du unser Schutz und Schirmherr bist.
Du bist der himmlisch Kapitain,
dein Kriegsheer alle Engel sein.
Groß ist dein Macht, groß ist dein Heer,
groß auf dem Land, groß auf dem Meer.
Von deiner Macht zu sagen weiß
der höllisch Drach und sein Geschmeiß.
Den Drachen du ergriffen hast
und unter deine Füß gefaßt.
Mit Luzifer hast du gekämpft,
du hast sein Heer und Macht gedämpft.
O starker Held, groß ist dein Kraft,
ach komm mit deiner Ritterschaft!
Beschütz mit deinem Schild und Schwert
die Kirch, den Hirten und die Herd!
Das Gottesjahr 1934, S. 85-89
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-11
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