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Das Lamm Gottes
von Wilhelm Thomas

Leer„Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!” - dieser Ruf Johannes des Täufers klingt wieder in unzähligen Gebeten der Christenheit: beim Abendmahl, beim feierlichen Bußgebet der Litanei, in vielen Passionsliedern. Ausführlich handelt davon Paul Gerhardt in seinem Liede:
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
der Welt und ihrer Kinder;
es geht und büßet mit Geduld
die Sünden aller Sünder.
Es geht dahin, wird matt und krank,
ergibt sich auf die Würgebank,
verzeiht sich aller Freuden;
es nimmet an Schmach, Hohn und Spott,
Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod
und spricht: Ich wills gern leiden.
LeerGottes Lamm - das war im Alten Bunde das Opfertier beim Passahfest. Der Würgengel, der Ägyptens Erstgeburt schlägt, darf die Schwelle nicht überschreiten, die mit dem Blut des Opferlammes bestrichen ist. Wer aber ißt vom Fleisch des Opfertiers, der gehört mit zu dem heiligen Volk, das Gott aus der Knechtschaft zur Freiheit ruft. Am Versöhnungsfest ein anderer Brauch: der Sündenbock wird, mit der Schuld des Volkes beladen, in die Wüste gesandt. Er nimmt die Sünden hin, das Volk ist frei und entsühnt.

LeerDer Prophet Jesaja war es, der die verschiedenen Opferbräuche deutete als Verheißung eines geheimnisvollen „Knechtes Gottes”, der „seinen Mund nicht auftat wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer”, der unsre Schwachheit und Krankheit auf sich lud und sein Leben zum Schuldopfer dahingab, so daß wir durch seine Wunden geheilt sind.

LeerDarum ist das der Inhalt des Rufes Johannes des Täufers: dieser Jesus von Nazareth ist der Knecht Gottes, durch den das Passahopfer und das Versöhnungsopfer Erfüllung finden, ja erst recht eigentlich, ein für allemal, verwirklicht werden. So ist denn nun das Lamm mit der Siegesfahne das Ostersymbol Christi. „Das Lamm, das erwürget ist”, das ist würdig geworden „zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob”. So beten wir zu Karfreitag: „O Lamm Gottes unschuldig, am Stamm des Kreuzes geschlachtet” und hören zu Ostern Martin Luther singen:

Hier ist das recht Osterlamm,
davon Gott hat geboten,
das ist an des Kreuzes Stamm
in heißer Lieb gebraten.
Des Blut zeichnet unser Tür,
das hält der Glaub dem Tod für -
der Würger kann uns nicht rühren.
LeerSo ist also das Bekenntnis zu Christus als dem Gotteslamm verwurzelt in der Prophetie, lebendig im Neuen Testament, beherrschend im gottesdienstlichen Singen und Beten der Christenheit.

LeerUnd doch bereitet uns Heutigen dies Bekenntnis zum Gotteslamm Schwierigkeiten. Weit entfernt davon, daß es uns die Person Christi unmittelbar näherbringt, scheint es uns ihn fremd zu machen. Zum Teil liegt es daran, daß das Tieropfer aus dem Kreis unseres Erlebens verschwunden ist - wir kennen es nur noch aus Erzählungen und Berichten. Im übrigen ist unsre Tierfremdheit daran schuld, durch die alle Tierbilder für uns abgegriffene Münzen geworden sind. So ist aus einem hilfreichen Gleichnis ein Hemmnis des Verständnisses geworden. Man könnte fast in Versuchung kommen, den alten Wortgebrauch abzuschaffen gegen einen, der aus unserm unmittelbaren Erleben genommen ist. Allein dieser Versuch wäre vergeblich. Die Glaubensbotschaft, die in dem Johannesruf so bildkräftig lebt, können wir nicht willkürlich in andere Form gießen. Denn zweierlei müßte auch die neue Form enthalten: einmal die tiefe Erkenntnis von der ewigen Ordnung Gottes, nach der Leben hingegeben werden muß, damit anderes Leben bestehen und gedeihen kann.

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LeerUnsre Sprache hat aber nur ein Wort für diese Wahrheit: Opfer. „Opfer” aber, wenn es kein blasser Begriff sein soll, zieht seine Anschauungsfülle aus dem blutigen Opfer der Tiere, wie es die vorchristliche Welt als Dank-, Bitt- und Sühnebrauch beherrscht. Der andere Inhalt dieser Botschaft ist, daß dies Gesetz des Opfers an einem Ort, in einer Stunde der Weltgeschichte seine Erfüllung erfahren hat: in dem freiwilligen Opfer Christi. Für dies freiwillige Opfer Christi haben wir kein anschaulicheres Gleichnis als das, welches, durch die Passah- und Versöhnungstags-Bräuche des jüdischen Volkes vorbereitet, im Neuen Testament uns entgegentritt: das Lamm Gottes. Wenn wir heute Menschen sind, denen „Lammsgeduld” und „Opferlamm” Spottworte geworden sind, so wird wohl nichts übrig bleiben, als daß wir uns bekehren zu einer ehrfürchtigeren Betrachtung der Geschöpfe und ihres Schicksals, indem wir die Überheblichkeit, die in diesem Spott liegt, einsehen und ablegen.

LeerEinst lebten im Bilde der Tiere die erschütterndsten Erlebnisse des Menschen - heute ist es so verblaßt, daß Wildheit und Kraft der stärksten Raubtiere, eines Löwen oder Adler, gerade noch ausreichen, ein Gefühl der Achtung oder auch einen leichten Nervenkitzel im Menschen hervorzurufen - nichts mehr von dem Grauen und der Furcht, die ihnen ursprünglich eigen war! Den Bildern der Zahmheit und Gefügigkeit im Tierreich, zu denen das Lamm gehört, fehlt dadurch die Folie. Sie werden nicht mehr als ein Bild tröstlichen Friedens, sondern verächtlicher Schwäche verstanden. So können wir in ihnen nicht mehr die Offenbarung der Güte Gottes erkennen, auf die wir doch angewiesen sind wie nur ein Geschlecht vor uns.

LeerWas sollen wir tun? Sollen wir, die wir unkräftig sind, die alten Bilder lebendig zu schauen, sollen wir die Kraft aufbringen, neue zu schaffen? Es gibt nur eines: die Rückkehr zu den Quellen der Anschauung, aus denen die Urworte unsres Glaubens geflossen sind.

LeerVielleicht sind uns dazu doch Möglichkeiten geschenkt. Wir stehen in einer Zeit, die die Mächte der Natur und des Blutes nicht mehr so verachtet, wie es in vergangenen Tagen geschehen ist. Leibliches Leben des Menschen und das ganze leibhaftige Schicksal der Geschöpfe um uns her - sie sind uns nicht mehr nur Mittel zum Zweck ihrer technischen und wirtschaftlichen Verwertung, wir versuchen vielmehr, sie wieder zu sehen als gottgegebene Wirklichkeit, die ihre eigene Würde in sich trägt. Wenn uns auf diesem Wege eine wirklichkeitsgesättigtere Anschauung des ganzen Schöpfungslebens geschenkt wird, so dürfen wir hoffen, damit auch einen neuen Zugang zu gewinnen zu den Gleichnissen, in denen die Alten im Bilde der Kreatur die Erlösungstat Gottes an uns geschaut haben. Dann werden wir lebendiger und wirklichkeitsmächtiger als heute sprechen können, was die Christenheit aller Jahrhunderte bekannt hat als ein Zeugnis von dem Geheimnis Christi: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.

Das Gottesjahr 1934, S. 71-74
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-11
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