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von Hildur Dixelius |
In meinem Heimatort in Nordschweden, wo ich diese Zeilen schreibe, haben wir eine schöne, sehr alte Kirche - sie wurde zu Ende des 14. Jahrhunderts erbaut. Der Glockenturm steht frei, wie meist hier im Norden, etwa 10-12 Meter von der Ostseite der Kirche entfernt. Der einfache, ungelehrte Bauer, der im Anfang des 18. Jahrhunderts seinen Bau entwarf und leitete, hatte ohne Zweifel einen künstlerischen Blick für Linien und Proportionen, auch dem alten hölzernen Turm eignet ein hoher Schönheitswerk. Zwei Glocken mit viel Silber in Erz hängen in dem kräftigen Gestühl. An Sonn- und Festtagen klingen ihre Töne voll und mahnend über das Tal. Und an jedem Wochentag gehen morgens und abends neun einzelne Glockenschläge in das Land. Es ist das eine uralte Sitte; früher allgemein in den Kreisen Nordlands, lebt sie nur noch hier in meiner Heimat. Jeden Morgen des Jahres, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, um 9 Uhr, steigt der Glöckner hinauf in die Spitze des Glockenturms und schlägt die großen Fensterläden auf nach den vier Himmelsrichtungen. Dann läßt er in schwerem Schlag den Klöppel der großen Glocke gegen das Erz klingen. Die Schläge kommen mit einer halben Minute Zwischenraum, ihre Anzahl bezeichnet die neun Hammerschläge, die den Erlöser aus Kreuz nagelten. Nachmittags geschieht dasselbe, nur wechselt hier die Zeit mit den Jahreszeiten, in der dunkelsten Zeit des Jahres um drei, und dann mit dem Heller- und Längerwerden der Tage um vier, um fünf und endlich um sechs. An den dämmrigen Winternachmittagen, an den sonnenklaren Frühlings- und Sommerabenden, immer sind mir diese Töne lieb gewesen und sind es mir immer mehr geworden, je mehr Christi Kreuz der Mittelpunkt des Lebens für mich wurde. Ich denke oft an den nun namenlosen Geistlichen, der einmal zu diesem neunmaligen Glockenanschlag in unsern Dörfern, dem Symbol der neun Hammerschläge auf das Kreuz von Golgatha, den Auftrag gab. Leuchtete nicht in seiner Seele die durch tiefe innere Erfahrung gewonnene Einsicht, der Luther Ausdruck gab in seiner wundervollen Erklärung zum zweiten Artikel im Kleinen Katechismus: „ - mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben”; diese Einsicht, die allein uns zum Verständnis leitet für das, was Gottes Gnade in Jesus Christus enthält und damit zum Verständnis dessen, was es heißt: nur aus Gnade zu leben. Das Gottesjahr 1934, S. 70-71 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-11 |