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von Rudolf Spieker |
Der werdenden Kirche im Römerstaat muß es ein ernstes Anliegen gewesen sein, daß Jesus dem Vertreter des römischen Kaisers gegenübergetreten und durch ihn zum Leiden gebracht ist. Sonst hätte sie nicht diesen Umstand in die Bekenntnisse der Kirche aufgenommen. Es zeigt sich auch sonst, daß er der alten Christenheit wichtig gewesen ist. Bei Dämonenaustreibungen wurde die Beschwörungsformel gebraucht: „Im Namen Jesu Christi, des unter Pontius Pilatus Gekreuzigten.” Ignatius, der Bischof von Antiochia, der unter Trajan zum Tod in der Arena verurteilt wurde und dessen Romreise sich zu einem wahren Triumphzug gestaltete, versichert in den Briefen, die er auf seiner Todesfahrt schrieb: „Wahrhaftig ward er angeklagt unter Pontius Pilatus, wahrhaftig gekreuzigt und begraben.” Er bezeugt den, der „wahrhaftig unter Pontius Pilatus und unter Herodes dem Vierfürst angenagelt ward für uns im Fleisch.” Es ist nicht etwa die Gleichartigkeit der Lage, sondern eine ganz bestimmte Sorge um die syrischen und kleinasiatischen Gemeinden, welche ihn zur Betonung des Leidens unter Pontius Pilatus treibt. Die Welt des griechischen Geistes empfand einen Abscheu dagegen, daß wirklich das Leben Gottes sollte ins Fleisch gekommen sein. Dieser Erdenleib galt gegenüber der göttlichen Geisteswelt als etwa Niedriges und Gemeines. Gott hat nach griechischem Denken nicht nötig, „seinen eigenen Geist an eine so unsaubere Stätte zu versetzen.” Deshalb lehnten christliche Denker aus dem Griechentum es ab, daß Jesus als ein Mensch geboren sei. Sie ersannen mancherlei Auswege, um der menschlichen Geschichte Jesu zu entgehen. Er habe gar keinen wirklichen Menschenleib gehabt, sein irdischer Leib sei nur ein Scheinleib gewesen. Oder es habe sich das göttliche Geisteswesen, der Christus, vorübergehend auf den Menschen Jesus von Nazareth herabgelassen, habe sich aber vor der Kreuzigung von ihm wieder getrennt. Denn das haben diese Denker mit scharfsichtiger Klarheit erkannt: Wenn Christus wirklich unser Sündenfleisch angenommen und getragen hat, dann folgt daraus unausweichlich, daß er im Fleisch hat leiden müssen. Und gerade das wollten sie nicht annehmen. Denn der gekreuzigte Christus bleibt „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit.” Darum gedachte man eine neue und imponierende Geschichte des Christus zu schaffen, in welcher Christus nicht mehr als irdische Person erscheint, sondern als Verkörperung einer Idee, der ewigen Wahrheit, oder eines Mythos, etwa des von Daniel geschauten Menschensohns. - Wir haben hier einen groß angelegten Versuch vor uns, die Botschaft von Christus der menschlichen Erkenntnis (Gnosis) faßbar zu machen und das Rätsel, das in den Worten „Offenbarung und Geschichte” liegt, zu lösen. Dabei wußte man sich freilich nicht anders zu helfen, als die eine Seite des Problems, nämlich die irdische Geschichte, zu verflüchtigen, ja zu streichen. Die evangelischen Berichte haben der Begegnung Jesu mit dem Statthalter des Kaisers eine hohe Bedeutung beigemessen. Sie ist das letzte, eindrucksvolle Bild, welches uns sein Gegenübertreten zur Welt und zum Menschen zeichnet, ehe er die Bahn der Leiden betritt. „Sehet, welch ein Mensch!” das ist die Unterschrift zu diesem Bilde. Gott selber stellt uns gegenüber das Bild des neuen Menschen, vor dem offenbar wird, daß wir alle das Bild Gottes verleugnet haben. Er aber hat bekannt. Er hat auch vor Pilatus kund getan, daß er Gott kenne und ihm allein gehorche. Darum haben die Jünger von ihm gesagt: „Er hat vor Pilatus bezeugt ein gut Bekenntnis.” Er hat sich vor ihm bekannt zu seiner königlichen Sendung und ihn zugleich erkennen lassen, daß er seine Sendung unter Verzicht auf alle äußere Macht durchführe. Er bekannte sich ebenso sehr durch seine Haltung wie durch sein Schweigen. Er tat damit kund, daß seine Sache nicht menschlicher Verteidigungsreden bedürfe, und daß sie von solcher Art sei, daß sie die äußere Gewalt des Staates nicht zu fürchten habe. Er bekennt sich nach dem Johannes-Evangelium als den König der Wahrheit. Damit stellt er das Reich, für das er kämpft, auf eine andere Ebene als die Reiche der Welt. Er zeigt, warum sein Königtum ihn wehrlos mache, ohne daß sein Reich durch das Kreuz in seinem Bestande bedroht sei. Er spricht die Besonderheit seines Königtums in Worten aus, welche auch einem Heiden hätten verständlich werden können. Aber er traf auf einen Menschen, welcher der Wahrheitsfrage auswich und auf dem Boden der persönlichen und politischen Zweckmäßigkeit blieb. So bleibt Pilatus in der Welt des Scheins, der Lüge und der Furcht. Die Beteuerung seiner Unschuld und das Pathos der Selbstrechtfertigung hebt ihn nicht heraus aus dem Raum des Todes, in welchem er sich zusammen mit den Vertretern der Kirche befindet. Es würde keinen Ausweg bedeuten, wenn Pilatus sich wirklich auf den Boden des Rechts gestellt hätte. Auch gegenüber der „Unschuld” des Angeklagten bleibt für den Anwalt der Staatsraison der von den Anklägern geltend gemachte Standpunkt: „Er hat das Volk erregt.” Diesem Tatbestand gegenüber ist der Tod des Angeklagten eine Staatsnotwendigkeit. Der Bericht der Evangelien gestattet hier keinen Ausweg. Sie zeigen in dem Bilde „Christus vor Pilatus” das Aufeinandertreffen zweier Welten in ihrer letzten Schärfe und Folgerichtigkeit. Denn auch der Staat gehört zu der Welt, die unter der Sünde ist. Dem Reich der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen vermag der Staat nicht - ja es ist nach Auffassung des Neuen Testaments nicht einmal seine Aufgabe. Die alte Kirche hat mit ihrem Bekenntnis: „Gelitten unter Pontio Pilato” für alle Zeiten festgehalten, daß die Offenbarung Gottes in unserer irdischen Welt einmalig ist. Sie hat gesehen, daß diesem Gegenübertreten Christi mit den Mächten irdischer Geschichte Entscheidungscharakter innewohnt. Wir warten nicht auf eine neue, überzeugendere Offenbarung; die entscheidende Kundgebung Gottes in die Welt des Menschen hat sich ereignet. Sie liegt verankert an einer bestimmten Stelle der irdischen Geschichte und ist damit geschützt gegen jede Verflüchtigung in ein menschliches Wunschbild. Es handelt sich hier nicht um die Stützung eines historischen Wahrheitsbeweises („hat Jesus gelebt?”), also um ein Anliegen der irdischen Forschung, sondern um ein Anliegen des Glaubens: Weil die Wirklichkeit Gottes für uns konkret ward in der Geschichte, weil sie Gestalt annahm und einer geschichtlichen Person gegenübertrat, darum sind auch wir, die wir in der irdischen Geschichte leben, an unserem eigensten Ort durch diese Wirklichkeit gestellt und können ihr nicht ausweichen. Vor allem können wir aber nicht mehr an der Tatsache vorbeisehen, daß die Wahrheit Gottes in der irdischen Welt ihre Echtheit nur dadurch bezeugt, daß sie sich im Leiden offenbart. Darum gibt es auch für uns keinen anderen Zugang zu ihr als durch das Kreuz, dem alle die begegnen müssen, welche auf Erden der Wahrheit Gottes ohne Abstriche und Zugeständnisse gehorchen. Das Gottesjahr 1934, S. 66-70 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-11 |