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1934
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Jesus der Mensch
Agnus dei

von Carl Happich

Leer„Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt, Erbarm dich unser, gib uns Frieden”.

LeerDas Lamm, das unsere Sünden trug, das am Stamm des Kreuzes sich hingab für uns, mußte sterblich sein. Gottes Sohn mußte in sterblicher Hülle kommen. Er mußte der Menschensohn sein. Gott kann nicht leiden, Gott kann nicht sterben. Gott kann nicht in Versuchung des Satans fallen.

LeerDer Mensch, aus dem Paradies vertrieben, steht allein zwischen den Reichen. Er allein ist der Kampfplatz zwischen den himmlischen und den höllischen Mächten; im alten Bunde mit Furcht und Zittern; im neuen Bunde in Glaube und Hoffnung, weil die Liebe sich zum Lösegeld gab, indem das Göttlich-Menschliche sich selbst zum Kampfplatz machte.

LeerGottessohn wurde Menschensohn, wahrer Menschensohn.

LeerEr wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit; aber er war niedrig und demütig; stolz war er, aber arm; in allem ward er wie ein Mensch erfunden.

LeerEiner Mutter Leib trug ihn; rein war die Mutter wie eine Lilie, die Gott kleidet auf dem Felde; eine Mutter war Maria, die nichts wußte von einem Menschenvater ihres Kindleins. In Armut wurde er geboren. Lichte Könige huldigten ihm an der Krippe, aber fliehen mußte er sogleich vor einem anderen König, einem Diener der finsteren Mächte.

LeerEr wuchs heran in der Verborgenheit. In der Einsamkeit und im Gehorsam wuchs der Menschensohn. Das Göttliche strahlte oft aus ihm heraus. In der Gottesschule zu Nazareth lernte er wie andere Menschenknaben, aber der Zwölfjährige lehrte die Priester im Tempel zu Jerusalem die Geheimnisse seines Vaters.

LeerEr ließ sich wie die anderen von Johannes mit Wasser taufen zum Zeichen, daß die menschliche Natur sich wandeln muß.

LeerVierzig Tage war er in der Wüste, allein mit Gott, allein mit Pflanze und Tier, wie der erste Mensch vor dem Sündenfall.

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LeerEr ward erfunden in allen Dingen als ein Mensch. Sein Körper heischte Speis und Trank; Schlaf kam über seine Lider. Er war froh mit den Fröhlichen; er ging zum Gastmahl und zur Hochzeit der Irdischen. Voll Güte und nur Geben war sein Tun.

LeerZorn kannte er, heiligen Zorn, und gab ihm Raum. Das Schwert konnte er bringen und die Entscheidung. Aber nicht waren bei ihm Haß und Rache.

LeerAlle Versuchungen des Menschen traten zu ihm: daß er groß sein möge, ein Zauberer; daß er reich werde, mächtig und alle Länder ihm Untertan. Aber Gottessohn durchleuchtete den Menschensohn, daß er rein erfunden wurde, untadelig und heilig.

LeerNicht Gier noch Leidenschaft berührte ihn.

LeerIm Anfang der Zeiten stand Melchisedek, der König und Priester, der auch Brot und Wein zum Opfer gab; der dem menschlichen Begründer des alten Bundes entgegenging und ihn ehrte; in den Mosaiken zu Ravenna ist er zweimal abgebildet am Tisch mit Brot und Wein; das Brot hat die Gestalt der Sonnenscheibe, die in Brot und Wein sich uns gibt. Melchisedek hatte nicht Vater noch Mutter; und die Lust des Geschlechtes war nicht bei ihm; und er ist im Verborgenen lebendig bis ans Ende der Tage. Melchisedek war Vorbildung im Menschlichen, war Symbol, unvollkommen am Anfang des alten Bundes. Er konnte Sinnbild sein im Menschlichen; nicht konnte er lösen und erlösen; wohl war Gott bei ihm, aber nicht war er Gott. Er war nicht Kampfplatz der himmlischen und höllischen Mächte im entscheidenden Endkampf.

LeerIn dem Menschen sind lebendig die Kräfte der oberen und der unteren Welt, die Kräfte der Natur insgesamt. Wenn der Mensch sich über sein „Ich” erheben kann, sich von ihm lösen, dann fühlt er in die Ferne und liest die Gedanken der Anderen. Jesus der Heilige schaute durch Seele und Geist der Samariterin; er las den Glauben im Herzen des Gichtbrüchigen und in allen, denen er helfen konnte. Und wie ein Mensch der Art, von der wir eben sprachen, es fühlen kann, daß ein anderer ihm Kraft nimmt, so spürte er, Jesus der Mensch, der Christus war, wie das Weib nur den Saum seines Gewandes berührte und so die Kraft von ihm wich.

LeerDas Lamm Gottes opferte sich; nur als Mensch konnte Gott sich schenken. In seiner schmerzvollen Hingabe litt die menschliche Natur, litt in Angst und Verzweiflung. Ergreifend lesen wir diesen Kampf auf dem Ölberg im „Heliand”:

„Zum Vater aller Menschen, zu dem guten,
rief er mit kummervollen Worten in herbem
Jammer; es war sein Herz betrübt nach seiner
Menschheit ihm und sein Gemüt erschüttert,
sein Fleisch war in Furcht: ihm fielen Tränen;
es triefte sein teurer Schweiß, ganz wie Tropfen
Bluts wallend aus den Wunden kommen.
Es war im Widerstreit Geist und Leib im Gotteskinde:
zu dem Reiche Gottes war bereit der
eine, der Geist, zu gehen, und jammernd stand der
andere, der Leib des Herrn, der wollte dieses
Licht nicht aufgeben, war betrübt vor dem Tode.”
LeerDes Menschseins ganzes Elend überfiel ihn, als er am Kreuze litt, als die Sonne ihren Schein verlor und er allein auf der Höhe seines Opferduldens und unter der Last des unerlösten Menschenleides zum erstenmale die ganze vernichtende Gottferne fühlte, die große Kälte, die tötet bis ins Mark, die der Gottessohn nicht kennen kann und nicht die Engel und all die himmlischen Heerscharen, die Luzifer eine Lust ist, die aber den Menschen und nur den Menschen erfrieren läßt und ihn fühlen macht, was endgültige Verzweiflung ist; und er schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!”

LeerUnd abermals: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.”

LeerUnd neigte das Haupt und verschied.

LeerEine alte Lehre sagt: Durch Schweigen und Leiden kommt der Mensch in die Nähe des Lichtes, das vom Saume Gottes ausgeht.

LeerJesus war immer ganz im Licht. Sein Menschsein war heilig, immer heilig. Er war immer ein König, ein König auch über sich selbst.

LeerSein Menschtum, die Hülle seines irdischen Gottseins, war fehllos und untadelig.

LeerEr ward in allem wie ein Mensch erfunden, aber die Engel dienten ihm, und eine Stimme sprach: „Dies ist mein lieber Sohn”.

brachte das Schwert und die Entscheidung,
er brachte den Menschen den Frieden und
machte Gottes Liebe leibhaftig.
Das Gottesjahr 1934, S. 56-58
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-11
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