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von Nikolaus von Arseniew |
„Das Wort ward Fleisch, und wir sahen Seine Herrlichkeit”. Die ganze Wucht, das Ungeheure der christlichen Botschaft ist zusammengefaßt in diesen Worten. Die Transzendenz, das Übermächtige Gottes, die Tiefen Gottes, das Erhabene und Überwältigende und Überlegene Gottes - das „Wort des Lebens”, die „Herrlichkeit”, das Ewige Leben - konkret gegeben, ein Stück der Geschichte geworden, Mensch geworden, Fleisch geworden. Wir haben es mit unseren Händen berührt, wir haben gegessen und getrunken mit Ihm, ja auch nach Seiner Auferstehung von den Toten (Apostelgeschichte 10, 41), und dies war - das Ewige Leben. „Was da von Anfang war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir beschaut haben und unsere Hände betastet haben - vom Wort des Lebens. Denn das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen, und bezeugen und verkündigen euch das Ewige Leben, das bei dem Vater war und nun sich uns geoffenbart hat.” Der Durchbruch Gottes in die Welt hinein. Die Brücke ist geschlagen. Der Abgrund ist ausgefüllt zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und Welt: dadurch, daß das Ewige Leben in das Gewebe unseres Lebens eingetreten ist, das Wort Fleisch geworden. Dadurch ist das ganze Gewebe des menschlichen und des gesamten kosmischen Lebens in seiner tiefsten - noch verborgenen - Grundlage erlöst und geweiht: durch Seine Menschwerdung, durch Seine Fleischwerdung. Er ist das Haupt der neuen Menschheit geworden. Er ist, wie Athanasius sagt: „Mensch geworden, damit wir vergöttlicht werden.” Das ist ganz radikal. „Deshalb war Gott im Fleische,” schreibt Basilius in seiner Weihnachtspredigt, „weil dieses fluchbeladene Fleisch geheiligt, das geschwächte Fleisch gestärkt, das gottentfremdete wieder ihm nahe gebracht, das aus dem Paradiese verstoßene wieder in den Himmel zurückgeführt werden sollte ... Deshalb ist Gott im Fleische, um den darin verborgenen Tod zu töten. O Tiefe der Güte und Liebe Gottes!” Seine Menschwerdung ist die Hefe der neuen Weltordnung, deren Inhalt die Herrschaft Gottes über alle Gebiete des Lebens, die Weihe aller Lebensbereiche (noch im Prinzip, noch im Werden), die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter Christus (2. Kor. 10, 5), und deren Krönung die Überwindung des Todes ist (schon in seiner Auferstehung gegeben), Gott alles in allem. Die Versöhnung der Welt, unsere Sohnschaft - durch den Sohn der Liebe, unser Reichtum: „Und aus Seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade.” Und die christliche Kirche schaut dieses Geheimnis mit zitternder, ehrfürchtiger Ergriffenheit, mit freudigen Staunen, sie kann ihr Auge nicht abwenden von diesem Geheimnis. „Der Engel ist zur Gottesmutter gesandt worden, um ihr zuzurufen: „Freue dich”, und als er bei diesem Rufe deiner Menschwerdung gewahr wurde, o Herr, erschrak er”... So singt die Kirche des Ostens. Und an anderer Stelle: „Heute wird von der Jungfrau geboren, der die ganze Schöpfung in seiner Hand erhält; mit Windeln wie ein Erdenkind wird eingewickelt, der seinem Wesen nach unberührbare Gott; in der Krippe liegt, der im Anfang die Himmel durch sein Wort befestigt hat...” „Der Himmel und die Erde haben sich heute verbunden durch Christi Geburt...” „Du bist wie wir arm geworden, und hast den Irdischen durch deine Vereinigung vergöttlicht”. Ähnlich bei Luther: „Des ewgen Vaters einig Kind jetzt man in der Krippe find; in unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewge Gut. Den aller Welt Kreis nie beschloß, der liegt in Marien Schoß; er ist ein Kindlein worden klein, der alle Ding erhält allein”. Es ist ein „groß Werk”, das niemand „ganz ausreden” kann. „Gott ist meines Geblüts”, „meines Fleischs und Bluts”; es ist „gar kein Unterschied zwischen seinem und unserem Fleisch”; „es ist mein Heiland und Bruder, der im Kripplein liegt” (Erl. 17, 459). Tersteegen ruft in Ergriffenheit: „Gott ist im Fleische: Wer kann dies Geheimnis verstehen?” Daraus erwächst unser Reichtum, auch mitten in der Armut, auch mitten im Elend: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seinen Schultern.” Er kam und gab uns Gaben, sagt Paulus (Ephes. 4, 8 ff.) Denn in ihm sind alle Gaben, in ihm ist der ganze Reichtum, die ganzen Schätze der Weisheit gegeben. In ihm ist alles euer: „Es sei Paulus oder Apollos oder Kephas, es sei die Welt, es sei Leben oder Tod, das Gegenwärtige oder das Zukünftige, - alles ist euer, ihr aber seid Christi”... (1. Kor. 3, 21-23). Es ist Überschwang der Freude, der z. B. aus den paulinischen Episteln redet, und der in diesem Durchbruch Gottes in die Welt hinein gegründet ist. Paulus ist überwältigt von dem Reichtum der Herrlichkeit Gottes, die in Christus erschienen ist, seine Sprache reicht nicht aus, er häuft die Ausdrücke (besonders im Epheserbrief), er sucht immer wieder von neuem Zeugnis abzulegen von der Unaussprechlichkeit, von dem „unerforschlichen Reichtum” Christi. Aus seiner Herablassung, aus seiner Demut - aus der Demut Gottes - („O humilitas sublimis! o sublimitas humilis!” - ruft Franz von Assist) erfolgt unsere Erhöhung, unsere im Sohn und Erben aus Gnade geschenkte Sohnschaft - Mitsohnschaft und Miterbschaft. Und unsere Brüderschaft. Wir sind Brüder untereinander - in unserem ältesten Bruder. Abbas Apollos, ein Wüstenvater, pflegte den Zellenbrüdern zu sagen, daß man sich bis zur Erde vor den Wanderern verbeugen soll, die in das Kloster kommen: „Denn indem wir die Brüder ehren, ehren wir nicht Menschen, sondern Gott. Hast du deinen Bruder gesehen? - So hast du Gott gesehen”. (Letzteres ein altüberliefertes Herrenwort). Der Bruder ist uns geweiht, in einem erhöhten radikalen Sinne geweiht - durch Seine, des Gottessohnes, Menschwerdung, durch Seine Gegenwart. Daher die Ehrfurcht der Liebe den Brüdern gegenüber: denn Er ist da, Seine Gegenwart, des Fleischgewordenen, ist der die Brüder umfassende und erhöhende und durchdringende und zueinanderbringende Hintergrund. „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan”. Daher bedeutet seine Geburt: „Frieden auf Erden und in den Menschen Wohlgefallen”. - „Wer ist, der die Welt überwindet, wenn nicht der da glaubt, daß Jesus Gottes Sohn ist?” Denn „wir haben gesehen und wir bezeugen und wir verkündigen euch das Ewige Leben, das bei dem Vater war und sich nun uns geoffenbart hat”...Es ist dies: Hinabsteigen Gottes und Hinaufsteigen des Menschen. Erlösung und Heiligung der gesamten schmachtenden Kreatur - im Sohne Seiner Liebe. Das Gottesjahr 1934, S. 39-42 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-11 |