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von Karl Bernhard Ritter |
Jungfrau nennt die Kirche die Mutter des Welterlösers in ihrem Glaubensbekenntnis und preist sie als die reine Magd in unzähligen Gebeten und Liedern. Damit bezeugt sie feierlich, daß diese unsere irdische Welt in ihrem Abfall bewahrt hat einen Rest ihrer ursprünglichen und reinen Empfänglichkeit, daß sie in aller Sünde doch geblieben ist die Schöpfung, die Gott „zu sich” geschaffen hat, der Ort göttlicher Selbstbezeugung, die Stätte göttlicher Offenbarung; daß sie aufbewahrt ist durch die Kraft seiner Barmherzigkeit für die Stunde der gnädigen Heimsuchung, daß Er auf diese seine gefallene Schöpfung mit Liebe blickt. „Er hat mich, seine geringe Magd angesehen”, so heißt es in dem Lobgesang der Maria. Die Jungfräulichkeit ist das Symbol reiner Empfänglichkeit. Die Jungfrau wartet auf die Stunde der zeugenden Umarmung, sie ist bereit, zu empfangen. Aber sie weiß nicht in ihrer unbewußten Bereitschaft, in ihrer demütigen und gläubigen Erwartung von sich selbst und von der Lust des Begehrens und der Hingabe. Sie ist nichts von sich selbst und aus sich selbst, sie ist wesentlich Bereitschaft für den Schöpfer. Sie hat noch nicht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen. So ist sie das Sinnbild der Unschuld, der reinen Selbstlosigkeit. In Maria der Jungfrau ist die Menschheit für Gott bereit, ohne daß diese Bereitschaft zerstört wäre durch den Abfall zu sich selbst, die Wurzel aller Sünde. In dem Wunder, da Maria durch den Heiligen Geist empfängt, schaut die Kirche die Wunderwirklichkeit einer neuen verklärten Schöpfung an. Der Schöpfer erbarmt sich seiner Kreatur. Der wahre christliehe Glaube an den neuen Himmel und die neue Erde ist keine pessimistische Flucht aus der Schöpfung Gottes. Er, der Schöpfer und Erhalter bleibt sich auch in seinem erlösenden Tun treu. In der Geburt Christi aus Maria der Jungfrau ist der Abgrund zwischen Schöpfer und Geschöpf überwunden. Wo die christliche Theologie wie im extremen Protestantismus den Blick nur auf diesen Abgrund gerichtet hält, da wird auch die Empfängnisfähigkeit der natürlichen Welt für die Offenbarung Gottes geleugnet, damit aber auch die Christusoffenbarung in ihrem objektiven, kosmischen Charakter preisgegeben. Es wird geleugnet, daß mit der Geburt Jesu Christi aus Maria der Jungfrau eine wirkliche Veränderung, ein wahres Wunder der Erneuerung und Verklärung in der Schöpfung geschehen ist. Das aber hat zur weiteren Folge, daß die Kirche als reale Wirkungsstatte Gottes in der Welt geleugnet wird. In der Kirche geschieht nichts mehr von Gott her, es wird bloß noch von solchem Geschehen geredet und sein Wirken in einem Jenseits der wirklichen Geschichte in Aussicht gestellt. Der sakramentale Charakter der Kirche wird geleugnet. Die Sakramente werden zum bloßen bildhaften Wort und das Wort zum bloßen Bericht. Wort und Sakrament werden nicht mehr als die Selbst-Mit-Teilung Gottes verstanden, durch die der kreatürlichen Welt ihre Heiligung widerfährt. Aber das Bekenntnis: „Geboren aus Maria der Jungfrau” ist die Grundlage für das Selbstverständnis der Kirche. Wo „Gott und die Menschheit in einem vereinet”, dort ist ja eben das Heil, das die Kirche verwaltet, das göttliche Geheimnis, dessen Haushalter ihre Diener sind, von dem sie selbst lebt. Daß die „göttliche und menschliche Natur” (um mit den Begriffen des altchristlichen Dogmas zu sprechen) sich im Leben der Kirche dauernd vereinigen, das macht die Kirche zum Leibe Christi. Bei D. Martin Luther ist das volle Verständnis für diese grundlegende Bedeutung des Bekenntnisses zur Geburt Christi aus Maria noch lebendig.Dazu hat Christus wollen geboren werden, so. führt er z. B. in einer Predigt zum Christtag aus, daß wir durch ihn von neuem geboren werden: „Siehe, also nimmt Christus unsere (Adams) Geburt von uns und versenket sie in seiner Geburt, und schenkt uns die seine, daß wir darinnen rein und neu werden, als wäre sie unser eigen, daß ein jeglicher Christ mag sich dieser Geburt-Christi nicht weniger freuen und rühmen, denn als wäre er auch, gleich wie Christus, leiblich von Maria geboren. Wer das nicht glaubt oder zweifelt, der ist kein Christ!” Welch ein Unterschied zwischen solcher Anschauung von dem Erlösungswunder, das in Christus geschieht, in dieser Weihnachtspredigt D. Martin Luthers und jenem modernen Protestantismus, dem sich das ganze Christentum im „Wort” Gottes erschöpft. Gott redet, und der Mensch muß hören. Aber Gott redet nicht bloß, er wird unser Fleisch und Blut! „Gott wird Mensch, damit wir göttlich würden” (Athanasius d. Gr.). Daß es Luther so meint und nicht anders, nicht so, wie ihn seine modernen Ausbeuter umzudeuten pflegen, das geht unmißverständlich aus der schon angezogenen Predigt hervor, wo er sich nicht genug tun kann, davon zu sprechen, daß es eine wirkliche leibhaftige Geburt gewesen sei, in der Maria ihrem Kinde das Leben geschenkt habe, eine leibhaftige Geburt wie die anderer Weiber auch und doch zugleich ein reines sündloses Werk der göttlichen Schöpfermacht. „Darum hat ihr Leib sein natürlich Werk nicht gelassen, die zur Geburt gehören... denn die Gnade zerbricht nicht, hindert auch nicht die Natur noch ihre Werke, sondern sie bessert und fördert sie”. Davon redet er aber darum, „daß wir unseres Glaubens Grund haben und Christum sein lassen einen natürlichen Menschen”. In Maria hat Gott „die Natur und ihre Werke in Ehren gesetzt”! Ohne die Anschauung von der leibhaftigen Geburt Christi durch Maria „könnten wir Christum nicht so tief in die Natur und Fleisch ziehen”! Und warum liegt Luther daran? Weil er an dieser Gewißheit allen Trost des Glaubens hat, weil sich daran sein Glaube hält, daß hier Gott wirklich eingegangen ist in unser Fleisch und Blut und daß er damit wiederum unsere Menschheit in all ihrer verderbten sündhaften Leibhaftigkeit, ihrer ganzen gefallenen Kreatürlichkeit an sich genommen und gereinigt, erlöst, verklärt hat. Luther scheut sich nicht, auszuführen, wie die Natur auch in ihrer Geschlechtlichkeit durch dieses Geschehen der leibhaftigen Geburt Christi aus der Jungfrau Maria nun göttlich, ehrlich und rein geworden sei, das doch zuvor in allen Menschen das „ungöttlichste, schamlichste und unreinste” war. „Wie hätte Gott seine Güte größlicher mögen erzeigen, denn daß er sich so tief in Fleisch und Blut senkt, daß er auch die natürliche Heimlichkeit nicht verachtet”. In Maria wird angeschaut, was Gott an der Natur tut, wird angeschaut, daß Gott die leibhaftige Kreatur und damit den Kosmos einbezieht in das Werk der Erlösung. Hier wird jedes bloß moralische oder juridische Verständnis der Erlösung überwunden, ein Verständnis, das unausweichlich zur Neutralisierung, zur Säkularisierung der Natur, des Kosmos und damit zur individualistischen Innerlichkeit, zum Christentum der frommen Einzelseele führt. Damit wird aber in Wahrheit das ganze Erlösungswerk Christi unverständlich. Welche Heilsbedeutung hat dann sein leibhaftiges Sterben, welchen Sinn das Bekenntnis zu seiner leiblichen Auferstehung? Warum dann überhaupt den Glauben fordern an Christus als ein Ereignis der Übergeschichte in der Geschichte, warum nicht nur den Glauben an eine Lehre, an eine von dem Christusmythos zu abstrahierende Wahrheit, oder noch einfacher im Sinne alter und neuer Aufklärung an Jesus den Lehrer oder Religionsstifter, das heroische Vorbild der Menschheit? Wir haben das alles ja erlebt, diese Bemühungen, die ungeheuerliche Behauptung der Kirche von dem Menschen Jesus als einem Menschen, in dem die zweite Person der heiligen Dreifaltigkeit Fleisch und Blut angenommen hat, die unvernünftige Lehre vom Gottmenschen zu beseitigen. Und wir haben erlebt, daß damit das Christentum immer belangloser, gleichgültiger, ja eigentlich recht langweilig wurde. Und daß die Kirche eine unter anderen moralischen Erziehungsanstalten, eben eine „Religionsgesellschaft” wurde. Und wir haben erfahren, daß die Menschheit mit solcher Entleerung des Christentums sich selbst und der ganzen Sinnlosigkeit ihres Daseins überlassen wurde. Weil man mit dem Wunderglauben des Christentums aufräumte, wurde das ganze Dasein schlechterdings sinnlos und lichtlos. In dem Bekenntnis aber zu dem Christuswunder als der Mitte alles geschichtlichen und kosmischen Geschehens leuchtet das Licht einer überwältigenden und befreienden Wahrheit auf über Leben und Tod, Natur und Geschichte, über Mensch und Kosmos. Da sind in ihm verborgen alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis, da ist das A und O, da ist das Licht der Welt. Das Gottesjahr 1934, S. 35-39 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-11 |