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Der zweite Glaubensartikel
von Wilhelm Thomas

LeerIm Taufbekenntnis der abendländischen Christenheit und damit auch in Luthers Katechismus ist das Bekenntnis zu Jesus Christus ausgesprochen in den Worten:

LeerIch glaube an Jesum Christum, Gottes eingebornen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist von dem Heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau, gelitten unter Pontio Pilato, gekreuzigt, gestorben und begraben; niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.

LeerDiese Worte stehen in der Mitte zwischen dem kurzen Bekenntnis des ersten Artikels zu Gott dem Vater, dem Allmächtigen, dem Schöpfer Himmels und der Erden, und jener Kette von Glaubenssätzen des dritten Artikels, die mit dem Bekenntnis zum Heiligen Geist beginnt und mit der Hoffnung des ewigen Lebens schließt. Sie stehen dazwischen, ebenso eigenartig und andersartig dem ersten und dritten Artikel gegenüber, wie sie etwas Einmaliges, Unvergleichliches innerhalb der ganzen Welt christlicher Zeugnisse bilden.

LeerGroße und heilige Dinge stehen im ersten und im dritten Artikel. Nur wer echtes Heidentum kennt, den Glauben an eine Mehrzahl höchster Mächte, der notwendig immer tief tragisch sein muß, nur der spürt, wie viel damit gesagt ist: allmächtiger Vater. Als Ahnung lebt ein Allvaterglaube gewiß rings um die Erde in vielen Völkern, als Ahnung und als Spekulation tiefer Geister; die Wirklichkeit der furchtbarsten Dämonenangst auf allen Gebieten des Lebens steht dem aber überall entgegen: Allvater ist zu fern, als daß man in seinem Dienst leben könnte. Die Götter, die vielen, beherrschen Gebets- und Opferwelt.

LeerNimmt man aber den ersten Artikel für sich, so erhebt er sich nicht über eine solche Ahnung ohne lebengestaltende Kraft: eine allgemeine Wahrheit, mit der man die Welt nicht überwinden kann. Wer es anders empfindet, der versteht ihn eben vom zweiten Artikel aus; dann freilich bedeuten Väterlichkeit Gottes und Allmacht Gottes etwas ganz Bestimmtes, für den gläubigen Menschen Heilsames. Ohne dies besagen sie nichts als das Preisgegebensein des Menschen an den schlechthinigen Urgrund aller Dinge.

LeerEbenso sagt der dritte Artikel - für sich genommen - Allgemeinheiten aus, die mir nicht helfen, wenn ich nicht erfahre, wo in aller Welt Geist wirklich heiliger Gottesgeist und nicht menschliche Einbildung ist, wo Menschen wirklich Kirche, d. h. eine von Gott gerufene Schar bilden, wo Gemeinschaft am Heilsgut Gottes auf Erden Wirklichkeit wird, wann einem Menschen seine Sünden vergeben werden, wo das „Fleisch” auferstehen und an Gottes ewigem Leben Anteil haben soll. Wenn wir all diese Dinge auf uns beziehen, so, daß wir zu wissen glauben, inwiefern sie für uns gelten, so doch nur, weil wir vom zweiten Artikel herkommen und alles von da aus verstehen. Ohne den zweiten Artikel ist der dritte so gut wie der erste eine Folge allgemeiner Aussagen, wie sie Stück für Stück wohl auch außerhalb des christlichen Bekenntnisses vorkommen und ihren Sinn haben, aber eben nicht einen christlichen.

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LeerNicht als ob nun umgekehrt der zweite Artikel für sich allein verstanden werden könnte. Man kann das „und an Jesum Christum” nicht sinnvoll sprechen, wenn man keine Ahnung hat, was die Worte „Gott” im ersten und „Kirche” im dritten Artikel besagen wollen. Ohne diese Voraussetzung ist der zweite Artikel eine trockene Aufzählung von vergangenen Begebenheiten, eine Aneinanderreihung von Aussagen scheinbar über historische Tatsachen, bei Licht besehen aber über Vorkommnisse, die in den Akten der Weltgeschichte gar nicht stehen können, weil sie nur dem Glauben offenbar sind: „Empfangen von dem Heiligen Geist”, „Niedergefahren zur Hölle”, „Auferstanden von den Toten” - das sind die entscheidenden Wendungen, und gerade sie sind Glaubenszeugnisse über Dinge, die der Unglaube überhaupt nicht zu merken bekam. Und zwar Glaubensaussagen nicht über allgemeine Wahrheiten, sondern über einmalige Ereignisse, die „unter Pontio Pilato” vorgefallen und doch (entgegen der alten Legende) nicht in die „Akten des Pilatus” gekommen sind, weil die Welt zwar einen Wundertäter hat predigen, Kranke heilen und als Verbrecher sterben sehen - aber wer das eigentlich war und zu welchem Ziel das alles geführt hat, das blieb ihr verborgen.

LeerTrotz allem hat man versucht, auch den zweiten Artikel aufzufassen als eine Kette von allgemeinen Wahrheiten, als sinnbildlichen Ausdruck für den allgemeinen Satz „Stirb und werde!” Man sagt etwa, im Bilde des Gottmenschen Jesus werde eine Erkenntnis ausgesprochen, die schon lange bei den verschiedensten Völkern lebendig gewesen sei in der Form des Heilandsmythos; dieser sei eine urtümliche Darstellung der tiefen Lebenseinsicht in die Erlöserkraft der Liebe und des heldischen Menschentums. Wenn man den zweiten Artikel so auffaßt, dann bleibt natürlich auch der erste und der dritte in dieser Allgemeinheit: Gott ist ein tief in der Welt verwurzelter Wille, der immer wieder Neues schöpferisch hervorbringt und immer wieder versinken läßt in Tod und Finsternis; Kirche ist das Gesetz kollektiven Lebens, durch das der Einzelne Anteil an einer Art Ewigkeit gewinnt.

LeerDer zweite Artikel ist also mißverstanden, wenn er als Bericht über äußere Tatsachen, er ist ebenso mißverstanden, wenn er als Illustration allgemeiner Gesetzlichkeiten aufgefaßt wird. Er ist evangelische Botschaft - was das heißt, muß eben an ihm offenbar werden.

LeerEs steht ein Wort im zweiten Artikel, das eindeutig hinausführt über die Welt der historischen Fakten wie über die Welt allgemeiner Wahrheiten: das Wörtlein „unsern Herrn”. Was mit diesem Wort gesagt ist, das kann man eben nicht als bloßer Zuschauer feststellen und aussprechen. Mit diesem Wort unterwirft sich, wer das Credo betet, dem heiligen Willen Gottes, von dem er spricht. Darum hat mit Recht Luther in seiner Auslegung dies Wort zur eigentlichen und einzigen Aussage des Artikels gemacht: „Ich glaube, daß Jesus Christus ... sei mein Herr”. Von diesem Wort aus wird aber zugleich deutlich, daß auch all das andre, was der zweite, was alle drei Artikel enthalten, nicht als Sammlung allgemeiner Wahrheiten gemeint ist, sondern als Bekenntnis meiner Lage vor Gott, wie sie durch Gottes Handeln an mir und der Welt geschaffen worden ist. Dann sind die Aussagen des dritten Artikels auch keine Allgemeinheiten mehr, sondern nun ist darinnen beschrieben, wie ich zu diesem meinem Herrn komme, wie ich Anteil gewinne an dem Geschehen, das von den Tatsachen des zweiten Artikels ausgeht. Nun sagt auch der erste Artikel nicht mehr bloß theoretische Sätze über eine erste Ursache aller Dinge, auch nicht bloß die furchtbare Wahrheit in einer schlechthinigen Abhängigkeit, sondern er spricht davon, daß der Gotteswille, der mir in Christus als der Wille des Erlösers begegnet ist, Himmel und Erde trägt und hält, spricht von der „väterlichen Güte und Barmherzigkeit”, dafür ich „zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin”.

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LeerUnd nun gilt das gleiche von allen Aussagen auch des zweiten Artikels selbst: sie alle verknüpfen Schritt für Schritt mich persönlich mit der Tat Gottes in Christo. Es sind alles Aussagen darüber, daß dort zwischen Krippe und Kreuz Gott die Menschenwelt erreicht hat und ihre Loslösung von ihm siegreich überwindet. Daß es Gott ist, der hier handelt, rein und unverfälscht Gott selbst: das besagen die Worte vom „eingeborenen Gottessohn”, „empfangen von dem Heiligen Geist”, „geboren aus der Jungfrau”. Daß es die Menschenwelt ist, in die Gott hier einbricht, die harte wirkliche Wirklichkeit der Menschenwelt, das besagen die Worte „geboren aus Maria”, „gelitten unter Pontio Pilato”. Daß diese menschliche Wirklichkeit restlos durchdrungen wird, das bezeugen die Worte „gekreuziget, gestorben und begraben”. Daß daraus ein Sieg über alle Gewalten des Himmels und der Erde bis in die tiefsten Tiefen der Unterwelk und des Todesreiches hinein hervorgeht, das sagen die Worte: „Niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten”.

LeerIm einzelnen ist da manches, was dem heutigen Menschen Schwierigkeiten bereitet. Die entscheidende Hilfe bedeutet es, wenn eben alles von dem „unser Herr” aus verstanden wird - nicht als neben unserm Leben stehende Tatsache, die wir nun historisch oder sonstwie als gültig anzuerkennen hätten, sondern durchweg als Aussagen über die Wirklichkeit des eigenen Lebens, wie sie durch das Handeln Gottes an uns und für uns bestimmt ist. Betrachten wir in diesem Sinne noch einmal die einzelnen Aussagen über den Sieg Christi! Sie beginnen mit dem rätselhaften „niedergefahren zur Hölle”. Was bedeutet es für uns, die wir nun einmal Glieder der Welt sind und heidnische Vorfahren gehabt haben, daß die Christenheit den Gedanken zu denken wagt: das Heil, das Christus bringt, wird irgendwie auch denen, die vor ihm auf Erden waren, zuteil - er bringt es ihnen ins Totenreich! „Auferstanden von den Toten” - das trägt den Sieg Christi ins Reich der auf Erden Lebenden, unmittelbar in unsre Welt - hier werden wir zu den Zeugen des Sieges. „Aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes” - wir sind nicht an irdische Reliquien (d. h. Überbleibsel) dieses Gottesgeschehens auf Erden gewiesen, sondern kraft dieses Geschehens unmittelbar zu Gott. „Von dannen er kommen wird...” - Gottes ist - trotzdem, ja vielmehr weil er in der Geschichte gehandelt hat - Gottes ist die Zukunft.

LeerNun merken wirs vielleicht, wie irreführend alle Versuche waren, Worte des christlichen Bekenntnisses als allgemeine Wahrheiten oder auch als historische Berichte aufzufassen. Christus wird hier bekannt als der Herr. Und weil er hier als unser Herr bekannt wird, darum ist alles, was sonst noch gesagt werden kann, Zeugnis von dem Heilsweg, den Gott mit uns geht.

Das Gottesjahr 1934, S. 31-35
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-11
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