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von Wilhelm Stählin |
Gott sei gelobt und gepriesen: die Worte haben wieder ihr Gewicht. Es ist nicht mehr selbstverständlich, daß wir an Jesus Christus glauben; selbstverständlich, das heißt bequem und belanglos. Es ist ein Streit ausgebrochen, ob es denn noch möglich, ob es recht und gut ist, daß wir deutschen Menschen des 20. Jahrhunderts an Jesus Christus glauben. Und wer es dennoch sagt: Ich glaube an Jesus Christus, der hat sich schon mit Leib und Leben an diesen Kampf gewagt. Wir sprechen es wieder, wie es ja allein geschehen darf, als ein kühnes Wagnis, als ein geheimes Kennwort, an dem die unerhörteste Hoffnung und Siegeszuversicht sich erkennt, als einen Kampfruf, mit dem der Angriff geführt wird auf die Welt, wie sie ist: Ich glaube an Jesus Christus. Haben wir nicht Grund, Gott dafür zu loben und zu preisen? Was ist geschehen? Zum ersten Mal seit mehr als 1000 Jahren erhebt sich in Deutschland, im Herzen des mitteleuropäischen Raumes, eine religiöse Bewegung, die bewußt den Glauben an Jesus Christus abgestreift hat, die aus anderen Kräften ihr Recht und ihre Nahrung ziehen will und die an andere Götter glaubt, als an den Vater Jesu Christi. Die alten Götter wachen auf, die die Eitelkeit der Aufklärung für tot erklärt hatte, die mächtigen großen Götter und Göttinnen der mütterlichen Erde, des tragenden Bodens, des rauschenden Blutes, der herrlichen strahlenden und sengenden Sonne, haben wieder ihre Altäre, wenn nicht in Tempeln so doch in den Herzen der Menschen und empfangen ihre Opfer. Das Wort Heidentum kommt wieder zu Ehren. Als wir Kinder waren, dachten wir bei dem Wort Heidentum an menschenfressende Neger, an wüste Phantasiegestalten, halb Mensch halb Tier, wie sie das Grauen armer geängsteter Seelen ersonnen hat; und wir glaubten so gern, was uns die Siegeszuversicht amerikanischer Missionare glauben machen wollte, daß die Stunde gekommen sei, in aller Welt die Finsternis des Heidentums durch das helle Licht des Evangeliums zu vertreiben. Wie eine unheimliche Sage aus unerhört ferner Vergangenheit klang das 1. Gebot in unsren Lebensraum: Du sollst keine anderen Götter neben Mir haben. Nun aber offenbaren die totgesagten „anderen Götter” ihre ungebrochene Lebensmacht und werben um unsere Seele. Wir hatten gemeint, die christliche Kirche in Deutschland sei bedroht durch den Ansturm der Gottlosigkeit. Wir sahen Kinder durch die Straßen ziehen, die den Kampfruf gegen jedwede Religion gelernt hatten. Wir sahen den Heerzug derer, die die Verehrung Gottes aus den Herzen tilgen und mit dem Sieg der Gott-Losigkeit die letzte große Befreiung des Menschengeschlechts vollbringen wollten. Noch wähnen tausende neben uns, hier laufe die Linie des härtesten Kampfes, und in der Abwehr der Gottlosigkeit sei das Christentum endgültig gerettet. Aber schon haben sich in dem rasenden Tempo dieser Monate und Jahre die Fronten völlig verändert. Während wir noch schaudernd über die Grenze starrten, ob der Siegeszug der organisierten Gottlosigkeit zum Stehen gekommen sei, ballt sich in unsrer Flanke, in unsrem Rücken, in unsren eigenen Reihen ein neuer Angriff zusammen: heidnischer Glaube wider den Glauben an Jesus Christus. Wie ist es möglich geworden, daß nicht nur die Gottlosigkeit, sondern gerade solch frommes Heidentum den Anspruch ihrer Herrschaft anmelden, mitten in unsrem „christlichen” Volk, ja mitten in unsrer christlichen Kirche? Was ist geschehen? Nichts ist geschehen, als daß offenbar wurde, was ist. Es ist offenbar geworden, daß die Christlichkeit unsres Volkes, daß die Christlichkeit der christlichen Kirche in erschütterndem Ausmaß ein Schein war, eine leere Hülse von Worten und Begriffen, in der längst der einst lebendige Inhalt zu einem armseligen Nichts verschrumpft ist. Nicht nur die Blätter des Neuen Testamentes, sondern ungezählte Worte und Taten, Dome und Hymnen sind das lebendige Zeugnis von Menschen, in denen Jesus Christus brannte als das göttliche Feuer der Wandlung, lebte und weste als die heilige Speise ihres Leibes und ihrer Seele. Die Bekenntnisse und die gestalteten Zeugnisse, in denen dies inbrünstige Geschehen um seine Formung rang, hat sich vererbt von Geschlecht zu Geschlecht. Aber auf wohlgepflegten Altären war die Flamme des Opfers erloschen, und den größten Worten war das Geheimnis des Lebens entflohen. Die Kirche, berufen, aus ihrem Schoß das Wunder des neuen Lebens immer wieder zu gebären, bewahrte eine geschichtliche Erinnerung und bewahrte eine Lehre; aber das wirkliche Leben ging seine eigenen Bahnen, an denen als Wegweiser der Fortschritt, der soziale Nutzen, die Wohlfahrt standen. Die Christlichkeit dieser Kirche war wie eine stilvolle Fassade geworden, hinter der lebendige Menschen die Räume ihres Lebens, ihres Werkes und ihrer Freude in ganz anderem Stil wohl eingerichtet hatten. Die fromme Innigkeit und die selige Schau der alten Meister wurde in Museen bewahrt; eine aus dem Glauben geborene Musik wurde in Konzertsälen beklatscht. War es nicht der ehrliche Ausdruck dieser Entwicklung, ehrlicher als der schimmernde Brokatmantel einer innerlich ausgehöhlten Christlichkeit, wenn der säkularisierte Staat des 19. Jahrhunderts in alten Kirchenräumen Fabriken einrichtete oder darin bis zum hohen Gewölbe hinauf nützliches Heu stapelte? Auch die Theologen, ja gerade sie, wußten kaum mehr, daß ihre Theologie von Geheimnissen des Lebens künden sollte. Ja diese ganze Entwicklung feierte ihren letzten Triumph in einer Theologie, die den Ehrgeiz hatte, theologisch nachzuweisen, daß es so ganz recht und in Ordnung sei, daß man eben nicht nach geistlichen Erfahrungen, nach geistlichen Wirklichkeiten in der Kirche fragen dürfe, sondern daß die Kirche nur von diesen ungreifbaren Dingen zu reden habe. Wenn ein junger Theologe selbstsicher sagen kann, die Erlösung bestehe darin, daß man die richtige Christologie hat, kann es dann irgendjemanden wundern, wenn diese Theologie keinen lebendigen Menschen mehr interessiert, daß lebenshungrige und lebensnahe Menschen in dieser theologischen Arbeit nur noch einen seltsamen und belanglosen Sport draußen vor den Toren des wirklichen Lebens zu sehen vermögen? Das ist es, was sich in unsrem Volk und in unsrer Kirche ereignet. Die Fassade wird eingerissen. Die Gespenster unsrer Gedanken werden in ihrer nackten Ohnmacht offenbar. Es ergeht ein Gericht über unsre Kirche, so furchtbar, so unerbittlich, wie es eben nur die Gerechtigkeit Gottes verhängen kann über die, die das anvertraute Pfund vergraben oder verloren haben. Wir können die nicht schelten, die in ihrem Ungestüm doch nur die Werkzeuge des göttlichen Zornes sind. Sie sind im Recht. Sie sind überwältigt von einer göttlichen Begegnung. Das Geheimnis des Blutes singt in ihnen sein gewaltiges Lied; das Volk hat von ihnen Besitz ergriffen als ein göttliches Gebilde. Sie glauben an Deutschland mit all der Inbrunst, mit schauernder Ehrfurcht, bereit zu jedem Opfer, wie nur je ein Mensch an seinen Gott hat glauben können. Und dieser Glaube, wie jeder echte Glaube, ist notwendig stärker als jede blutleere Theologie, als jedes „Christentum”, aus dem die Kraft und die Lebensmächtigkeit entflohen ist. Ungezählte Menschen fühlen ihr Sein durch eine neue Würde geadelt, da endlich, endlich in ihren öden Alltag das Licht eines überirdischen Glanzes gefallen ist; Menschen, an denen der schönste Kultus der Kirche als ein ästhetisches Spiel oder als eine unverstandene Merkwürdigkeit vorübergerauscht war, vollziehen, hingegeben mit Leib und Seele, in Liedern und Prozessionen und lodernden Feuern die Liturgie des neuen Glaubens, des uralten Glaubens an die uralten Götter. Viele, viele meinen noch harmlos und rührend, weil sie es so gern meinen möchten, daß man über all solchen Kultus das Zeichen des Menschensohnes setzen könnte, und daß nun endlich unser Volk zu seinem christlichen Erbe zurückgefunden habe. Andere aber haben den Mut gefaßt zu bekennen, was sie erkannt haben: Wir sind nicht Christen und können und wollen nicht mehr Christen sein. Sie wahren die Ehrfurcht vor dem christlichen Glauben der Väter und schützen seine Reinheit, indem sie bekennen: dieser Glaube der Väter ist nicht mehr unser Glaube. Sie verschmähen es, die Gottesferne des Lebens oder den Kultus der Götter mit christlichen Worten und christlichen Zeichen zu verdecken. Eine christliche Kirche, die nichts hat als Worte, Worte, Worte, die nur eine heilige Lehre überliefert, deren Kraft zu heilen und zu wandeln sie selber nicht mehr traut, die kann sich noch dem Ansturm der Gottlosen gegenüber in dem Pathos ihrer Rede verschanzen. Aber sie ist verdientermaßen wehrlos vor der fröhlichen Sicherheit derer, die einen Gott gefunden haben. Und ist nicht unser eigenes Herz, meine Freunde, dort, wo das lebendige Leben ist, dort, wo die Götter beglückend und berauschend, verpflichtend und wandelnd die niedrigen Seelen zu sich emporheben und in den matten Herzen die heilige Flamme des Opfers entzünden? Sind nicht die andern mit einem Gott im Bunde, der zwar nicht größer, aber stärker ist als der unsre? Wollen wir fernerhin unsre heimliche Andacht halten in der Grabesstille eines Museums, während draußen die Straßen widerhallen von Schritt und Lied eines neuen Kultus, und das junge Geschlecht marschiert hinter den Sturmzeichen des neuen Glaubens? Nun geht es um Wahrheit und Wirklichkeit. Es ist nicht mehr selbstverständlich, daß wir an Jesus Christus glauben. Es war nie selbstverständlich. Glaube an Jesus Christus, das war immer das unerhörte Wunder, das am Rande, an der Grenze menschlicher Existenz erfahren wurde. Das Kreuz war immer das Zeichen des Sieges und der Hoffnung da, wo die Menschen und ihre Völker verloren sind. Christusglaube steht wieder genau an dem Ort, der ihm gebührt. - Es ist wahrlich nicht damit getan, daß wir die feierlichen alten Worte wiederholen. Wir können nicht mit den Bekenntnissen der Vergangenheit unter dem Arm oder in unsrem Kopf ausziehen zum Streit gegen die Götter der Zeit. Es ist uns manchmal zumute, als müßte alles ganz neu entdeckt, ganz neu erfahren und in neuen Worten gesagt und gesungen werden. Aber wenn da ein Weg ist, den man betreten, eine Tür, durch die man gehen, ein Licht, in dem man wandeln, ein Brot, von dem man leben kann, dann sind wir eben dies und nichts anderes unsren Brüdern und Schwestern schuldig, als daß wir in stammelnden Worten reden von dem, des das Herz voll ist, und mit unsrem Dienst, mit unserer Liebe, mit unserem Opfer Zeugen werden von dem Herren Jesus Christus. Dies sind wir schuldig unsren christlichen Brüdern. Ihnen schulden wir, daß wir das heilige Erbe unsrer Kirche mitten in der gegenwärtigen Stunde und dem Lebensraum unsres Volkes entfalten. Durch unseren Dienst sollen die ehrwürdigen Worte, wenn es Gott gefällt, zu neuer Lebensmächtigkeit erweckt werden. Um unsretwillen sollen unsre Brüder und Schwestern daran glauben lernen, daß Christentum nicht eine Weltanschauung ist, sondern „die Kraft Gottes, zu retten alle, die sich ihr anvertrauen”. Aber eben dies sind wir auch schuldig unsren heidnischen Brüdern. Wir sind nicht ihre Feinde. Wir müssen sie lieben um der Glut ihres Herzens willen, lieben, weil ihre Götter sie gelehrt haben zu dienen und zu opfern. Aber weil Christus die Herren dieser Welt überwunden hat, darum sind wir ihnen schuldig das Wort von dem Herrn und Sieger. Weil alle Götter dieser Welt schließlich doch mit dieser Welt vergehen, darum ist in dem Reiche Christi erfüllt, was der heidnische Glaube unsrer Ahnen in einer Götterdämmerung vorausgeahnt hat. Und darum sind wir unsren heidnischen Brüdern schuldig das Lied von dem Morgenstern, der in der Dämmerung aller Götter das Licht des ewigen Tages verkündet. Und, ist es allzu kühn, wenn wir sagen, vielleicht seid ihr, unsre heidnischen Freunde, eines Tages weiter geöffnet und tiefer bereit, die Botschaft von Christus zu empfangen, ihr, die ihr die Macht und die Ohnmacht der Götter erfahrt, als ein Kirchenvolk, das den Tempelgesang von Tod und Auferstehung zu einer geistlichen Dekoration seines sehr irdischen Behagens entwürdigt hat. Es muß ja Streit sein um diesen Glauben. Niemals hat Christus seinen Jüngern etwas anderes verheißen. Dieser Streit geht nicht um Worte, sondern es ist der Streit um die Wahrheit und die Wirklichkeit Gottes. Darüber sind wir Rechenschaft und Verantwortung schuldig, was der Sinn und der Inhalt dieses Glaubens ist. Was ist das für ein Ruf, den wir gehört, was für ein Bild, das wir gesehen haben, was für ein Licht, das auf unseren Weg gefallen ist, was für eine Kraft, die uns heimsucht? Daß wir diese Antwort nicht schuldig bleiben, unsrem deutschen Volk und aller Welt nicht schuldig bleiben, das lohnt alle Mühsal, alle Bedrängnis und alles Leiden. Gott sei gelobt und gepriesen, daß es heute ein Wagnis ist, an Jesus Christus zu glauben. Darum, weil es nicht mehr selbstverständlich ist, weil jeder wissen muß, was er damit sagt und tut, und auf welchen Weg er sich damit begeben hat, darum laßt uns gemeinsam auf diesen Blättern davon reden, was das heißt: Ich glaube an Jesus Christus. Das Gottesjahr 1934, S. 25-31 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-11 |