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Von den mütterlichen Symbolen
von Annemarie Viebig

Leer„Wo aber volle Einsicht in das Wesen vorhanden ist, da ist auch das Wesen selbst vorhanden” (Vilmar). Das könnte fast so klingen, als verachteten wir die unbewußten, wachstümlichen Kräfte des Lebens. Aber Kräfte können verschwinden hinter wesenlos gewordenen Formen, die zu Larven geworden sind, und dann bedarf es der Gnade der Ein-sicht, der Er-kenntnis, um uns des Wesens wieder zu er-innern und um dieses Wesen wieder zu wecken und ins Leben zurückzurufen. Wenn solche Einsicht allerorten gleichzeitig auftaucht und unter den verschiedensten Zeichen, so erweist das Wesen, das dahinter steht, sein außermenschliches, sein schöpfungsmäßiges Sein, seine „Reife”, seine „erfüllte Zeit.” So geschieht es heute mit der mütterlich-fraulichen Seite des gesamten Lebens, und alles Geschrei über Rückfall ins Heidentum und ins „finsterste Mittelalter” täuscht uns nicht darüber hinweg, daß die eine ursprünglich gewaltigste Seite der Schöpfung aus langer Nichtachtung und Verlarvung sich aufreckt und gebieterisch Achtung heischt.

LeerUnser vordergründiges Leben hat im Lauf der letzten Jahrhunderte immer eindeutiger die männliche Lebensseite zur Entfaltung gebracht; Geist und Tatendrang, Beherrschung der Erde und der Natur, tausendfältige Gestaltung zuerst der Hintergründe und hernach der Vordergründe mündeten allmählich in plattesten Verstand, in kahle, abgelöste Vernunft, in die Orgien der Technik, des Verkehrs, der Wirtschaft und wie alle die entseelten gigantischen Gebilde eines denkbar unmütterlichen Zeitalters heißen. „Nie gab es so wenig weibliche Atmosphäre in der Welt, wie in dieser brutal geschlechtsegoistischen Phase des niedergehenden, nicht mehr durch die Dynamik des Lebens, sondern die der Maschine bestimmten männlichen Weltalters” (Otfried Eberz „Vom Aufgang und Niedergang des männlichen Weltalters.” Bergstadt-Verlag Breslau).

LeerNun stehen die Mächte der dunklen, mütterlichen Erde wieder auf, des rätselvollen Schoßes, der Heimat der „Dämonen” und der noch immer nicht gestorbenen „Geister” in Landschaft und Volk. Die große Urmutter der Antike wacht wieder auf, die Spenderin von Leben und Tod, die ihre Kinder aus- und einatmet, unsägliches Grauen und unendlichen Segen verbreitend. Aus abgründiger Tiefe, in der auch die „große Hure” und die „Amazone” daheim sind, hebt sich, aus mythischen Zeiten des Menschengeschlechtes aufsteigend und bald lichter, bald verhüllter die Geschichte durchschreitend, die Mutter empor, deren Symbole Ähre, Mauer, Grabmal, Herd und Altar die innerste Gestaltung des menschlichen Lebens bedeuten.

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LeerWer hat sie heraufbeschworen, die Symbole der Mutter? Wie viele Augen sind es, die sie emporwachsen sehen in dieser völlig a-mythischen, a-symbolischen Zeit?! Da ist zuerst die  Ä h r e . Der schweifende, nomadisierende Mann, der ewige Jäger und Fuhrmann aller Straßen, - wie er im Volkslied erscheint, - wird gebunden durch den Ackerbau, die Gabe des Weibes. Damit erst war das Wurzelschlagen in einem Heimatboden gegeben, die Liebe zur Scholle, die Treue zur Erde. Die Ähre wird zum ersten Sinnbild der mütterlichen Frau, die geheimnisvolle Ähre, Nahrung und Same zugleich. „Im Aufbewahren der Erntefrüchte und des andern Besitzes, in der Aussaat neuen Samens wurzelt die Religion, und sie wurzelt am tiefsten im Weibe.” (Muschg „Gotthelf”. C. H. Beck-München).

LeerDas zweite Symbol ist die  M a u e r , das Symbol von Heim und Eigentum. Mauer bedeutet Umfriedung im tiefsten Wortsinn. Das rechte erdgebundene Weib ist ohne Heim und Eigentum nicht zu denken, beide sind nur Erweiterungen seines eignen Seins, und nur solche Weiber wurden in der Geschichte zu Hyänen, denen man beides nahm. „Das Weib behauptet die Familie gegen den Staat.” (Der Staat ist eine rein männliche Gestaltung.) In der Schweiz des Jeremias Gotthelf nannte man die Familien nur nach den Höfen, auf denen sie lebten, und Jeremias Gotthelf sagt einmal: „Und laßt euch nicht irren durch ödes Geschwätz unseliger Toren, es ist nicht der Staat, nicht die Schule, nicht irgend etwas anderes des Lebens Fundament, sondern das Haus ist es. Nicht die Regenten regieren das Land, nicht die Lehrer bilden das Leben, sondern Hausväter und Hausmütter tun es, nicht das öffentliche Leben in einem Lande ist die Hauptsache, sondern das häusliche Leben ist die Wurzel von allem, und je nachdem die Wurzel ist, gestaltet sich das andre.”

LeerG r a b m a l ,  H e r d  und  A l t a r  [Herd und Altar] haben die gleiche Gestalt, und bis tief in die Geschichte hinein ist aller dreier Sinn geheimnisvoll miteinander verschlungen und verwoben. Die Hausmutter hütet des Herdes Feuer, der Herd war das Sinnbild der Familien- und Sippengemeinschaft. Des Herdes Feuer war heilig, und in dieses Heiligtum wurden die Toten des Hauses mit einbezogen. In der Steinzeit gab man den Toten Herdgeräte mit ins Grab, oder man begrub die Toten gar im Herde selbst, und die Lebenden überließen das Haus den Toten. Herd und Grabmal hängen auch aufs engste mit Ähre und Mauer zusammen. Nur im Heimatboden, nur im Acker, dem man die Treue hielt, nur in der Umfriedung der Mauer, nur dort, wo der Herd stand für die kommenden und gehenden Geschlechter konnte man seinen Toten ein Grabmal errichten. Das Gedächtnis der Toten aber bedeutete Geschichte, bedeutete Tradition, bedeutete Pflege der Sitte, bedeutete Wachstum bodenständiger Kunst und Kunstfertigkeit, bedeutete Volkwerdung.

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LeerUnd schon in mythischer Vorzeit wird das Grabmal zum Altar, zur Stätte der Anbetung höherer Mächte, des Flehens um Überwindung des Todes und Auferstehung zu höherem Leben, zur Opferstätte. Auf den Sarkophagen der Märtyrer haben die Christen in den Katakomben das heilige Abendmahl gefeiert, haben Brot und Wein des ewigen Lebens genossen über den Grabmälern ihrer Toten. Es drängt sich uns auf, eine Fülle der Erscheinungen des heutigen Lebens ans diesen mütterlichen Symbolen zu deuten. Verworren und durch die verschiedensten Zusätze und Absichten unkenntlich gemacht, leuchten dennoch diese Symbole überall hindurch. Wieviel Rückkehr zur Ähre überall, in Siedlung und Wanderung, im Erringen heimatlichen Bodens, leibhaft und auch geistig gemeint! ^Wieviel Sehnsucht nach der Mauer, nach der Umfriedung durch das eigne Heim für Familie, Schule, Bund und Gemeinschaft vielerlei Art! Welches Ringen um eine tiefere Erfassung des Eigentumsgedankens gegenüber dem wurzellosen, angeblich menschheitsbeglückenden Kommunismus! Wieviel Ringen um Sinn und Werk des häuslichen Herdes, wieviel Pflege der Geschichte des eignen Volkes, der väterlichen Kunst und Sitte im Zeichen des Grabmals, wieviel Ringen endlich um wahres Heiligtum im Zeichen des Altars!

LeerSo wie aber die „Einsichten”, die Jugend- und Erneuerungsbewegung aller Art uns brachte, nicht in noch wurzelstarker ländlicher Erde erwuchsen, sondern in wurzellosester Großstadt, so scheint die Einsicht in das Wesen der mütterlichen Symbole nicht zuerst in der Frau, sondern im Manne zu erwachsen. Das erweist schon das einschlägige Schrifttum. Zunächst entdeckte man J. J. Bachofen, den so gut wie unbekannten Basler Mitbürger und Zeitgenossen Nietzsches, und sein „Mutterrecht”, das Bachofen für die mythische Vorzeit nahezu aller Völker nachweist, und das man nun nicht mehr als eine mehr oder minder wissenschaftliche Schrulle, sondern als ein Urbild der Menschheit begriff. Aus diesem Begreifen heraus sind auch die Einleitungen zu dem großen von C. H. Beck-München herausgegebenen Bachofenbuch von Manfred Schroeter und Bäumler geschrieben. Prof. Ernst Bergmann schreibt sein Buch zur Soziosophie der Geschlechter; von großer Leidenschaft erfüllt ist das oben erwähnte Buch von Otfried Eberz. Tiefsinnig ist das jüngst erschienene Gotthelf-Buch von Walter Muschg (C. H. Beck), das die Gestalt des Jeremias Gotthelf vor dem großen und großartigen Abgrund und Hintergrund der „Mütter” zeigt. Eine der wenigen Frauen in diesem Kreise ist Sir Galahad, deren Buch „Mütter und Amazonen” oft mehr als feuilletonistisch, aber sehr kurzweilig ist.

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LeerEines hebt sich auch aus dem Schrifttum klar heraus; es handelt sich keineswegs nur um Eigenschaften und Gaben der Frau als solcher, es handelt sich um die eine Seite des Lebens überhaupt, die in jedem Geschlecht, gleich ob Mann oder Frau, der andern, der „männlichen” Lebensseite die Waage halten muß. Eberz gipfelt in dem Gedanken der Bipolarität, der Zweigeschlechtlichkeit, die allein den vollen Menschen, sei er Mann oder Weib, ausmache. Während heute in einer Fülle von Männern die mütterliche Lebensseite erwacht, scheint noch immer ein erheblicher Teil der Frauenwelt und besonders der Frauenbewegung, - unbeschadet aller bedeutungsvollen Erfolge, die sie dem weiblichen Geschlecht errang, - dem rein männlichen Weltalter anzugehören. Ihr Schrifttum ist noch immer weithin a-mythisch, a-symbolisch, und man verzeihe mir das Wort a-dämonisch; es ist voller ratio, voller bürgerlicher Humanität, von bestem sittlichem Wollen erfüllt. Aber die „Mütter” haben es zumeist nicht diktiert. „Die Frauenbewegung ist eine planetarische Erscheinung geworden”, sagt Eberz. „Sie bedeutet eine elementare Erhebung des weiblichen Gegenpols, die nur das Symptom für eine ebenso planetarische Erscheinung, den Niedergang des männlichen Poles, ist. Doch jetzt, wo der ökonomisch-politische Befreiungskamps der Frau gewonnen ist, droht der Sieg zur Niederlage zu werden: nicht die Frau hat die ökonomische Männermaschine erobert, sondern diese die Frau.”

LeerEberz spricht weiterhin die Hoffnung aus, daß diese hinter uns liegende Epoche nicht Selbstzweck, sondern nur Befreiung der Frau zu ihrer eigentlichen religiösen und metaphysischen Bestimmung bedeute. „Die Welt wartet jetzt auf jene genial weiblichen Frauen, welche berufen sind, als Prophetinnen, Priesterinnen und Lehrerinnen ihres Geschlechts das durch die männliche Unipolarität zerstörte kosmische Gleichgewicht der Pole wiederherzustellen.”

LeerUnsere Aufgabe ist es heute, einen Einklang der mütterlichen Symbole mit Christentum und Kirche und deren höchsten Werten zu finden, was den bisherigen Kündern nicht als Aufgabe erschien. Uns scheint heute die Zeit der wahren Mutter Kirche aufzusteigen, die nicht nur den Logos, nicht nur das Wort und vor allem das Wort vom Kreuz bewahrt, sondern die sich anschickt mit der Botschaft vom Osterfürsten die Auferstehung allen Lebens laut zu künden und mit dem dritten Artikel die Herrlichkeit Gottes lebendig und klar der Welt vor Augen zu rücken. Je mehr wir in das Wesen der Mutter Kirche eindringen, um so lebendiger werden uns die mütterlichen Ursymbole der Ähre, der Mauer, des Grabmals, des Herdes und des Altars. Nur der heilige Geist der Kirche kann sie zur Verklärung und Vollendung führen; sein Werk geht über die Heiligung des Menschen hinaus auf die Erlösung und Heiligung der Schöpfung.

Das Gottesjahr 1933, S. 91-95
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-12
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