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Der sehr fleißige Pfarrer
von Wilhelm Stählin

LeerEin Freund hat wohlmeinend den Titel gerügt; man dürfe nicht in Superlativen reden, und es genüge vollkommen vom fleißigen Pfarrer zu sprechen. Ich will aber wirklich vom sehr fleißigen Pfarrer erzählen.

LeerEs gibt faule Pfarrer. Das ist gewiß nicht ein besonderer Makel des Pfarrerstandes. Aber weil die Kirche in der Welt ist und in dieser Welt die Trägheit des Fleisches eine überaus große Macht ist, so wäre es zum verwundern, wenn es nicht auch faule Pfarrer gäbe. Es gibt Pfarrer, die wissen es wohl einzurichten, daß sie viel Zeit übrig behalten für ihre Liebhabereien, es sei Stammbaumforschung, Bienenzucht oder Schachspiel. Es gibt Pfarrer, die lassen sich nicht aus der Ruhe bringen, wenn ihnen während der Hausmusik gemeldet wird, die alte Häuslerin liege im Sterben und verlange nach geistlichem Zuspruch; „Die stirbt auch ohne mich”, und spielen den schönen Satz zu Ende. Ich sage kein Wort, um die faulen Pfarrer zu entschuldigen.

LeerMan soll aber das langsamere Tempo unserer Väter, die behagliche Ruhe, die über manchem Landpfarrhaus lag, und die bedächtige Muße so manches Pfarrers nicht Faulheit schelten. Sie waren nicht faul, aber sie ließen sich Zeit; sie gönnten sich selber Ruhe und hatten Zeit für die Menschen, die zu ihnen kamen.

LeerAber dieses Idyll ist ausgestorben. Die Pfarrer sind viel fleißiger geworden, und vielleicht waren sie im Durchschnitt noch nie so fleißig wie heute. Muß nicht der Pfarrer sehr fleißig sein? Von allen Seiten kommt die Arbeit angekrochen und reißt ein Stück nach dem andern aus dem Tag, ach aus jedem Tag, heraus. Unnötige Arbeit: verdrießliche Schreiberei und unnütze Berichte, Sitzungen, in denen 10 Männer 3 Stunden brauchen zu dem, was einer allein in einer halben Stunde erledigen könnte, Vereinsfeste, bei denen der Pfarrer eigentlich gar nichts zu tun hat aber eben da sein und seine guten Stunden verschwenden muß: diese und ähnliche Dinge, an denen kein Pfarrer, der wirklich arbeiten will, seine rechte Freude haben kann.

LeerAber dann auch die viele große, ernsthafte und wichtige Arbeit. Da kommen die Vereine und fordern den Dienst ihres Pfarrers; ist es nicht schön, daß sie kommen und etwas wollen von ihrem Pfarrer? Der Männerverein und der Frauen-Missions-Verein und der Evangelische Bund und der Kirchenchor; sie wollen den Pfarrer bei ihren Abenden sehen, und wenn geistliches Leben unter ihnen erwacht ist, dann wollen sie auch, natürlich jede Gruppe für sich, ihre Bibelstunde. Man muß die Frauenhilfe organisieren, man muß allwöchentlich mit ihnen zusammensein und denen, die ein besonderes Amt bekleiden, auch etwas besonderes an geistlicher Vertiefung bieten. Man sollte sich auch der gebildeten Freuen annehmen und gründet also einen Kreis gebildeter Frauen für religiöse Besprechungen; es scheint zwar nichts, rein nichts, dabei heraus zu kommen, aber es ist Saat auf Hoffnung. Und da marschieren die Jugendvereine auf, und der Pfarrer freut sich, daß sie nicht abseits von Kirche und Pfarramt ihre Sonderwege gehen; so geht er hin und hält ihnen Vorträge und Bibelstunden und geht am Sonntag, wenn er sich einmal frei machen kann, mit ihnen auf Fahrt und treibt mit ihnen jeglichen Sport.

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LeerUnd man muß doch vor allem seine Gemeinde kennen; also viele Hausbesuche machen, die doch durch nichts anderes ersetzt werden können; 6 Besuche am Tag ist ein sehr bescheidener Durchschnitt, das gibt immerhin 2000 Besuche im Jahr; muß der sehr fleißige Pfarrer nicht wenigstens so viel Besuche in sein Tagebuch eintragen können? Und selbstverständlich muß der Pfarrer die freundlichen Beziehungen zum Kriegerverein einerseits, zu den Gewerkschaften andererseits pflegen und muß schon aus diesem Grunde die Tageszeitungen, die in seiner Gemeinde gelesen werden, selber regelmäßig lesen; selbstverständlich auch mitarbeiten bei den Fürsorgeämtern und, wenn es sein kann, ein wohlaufgezogenes kirchliches Jugend- und Wohlfahrtsamt leiten, das allein seine 1500 Briefnummern im Jahr hat. Und die kirchliche Pressearbeit nicht zu vergessen! Der Pfarrer muß ein Gemeindeblatt herausgeben, um auch die Fernerstehenden in Verbindung mit der Kirchengemeinde zu halten; darum regelmäßig eine erbauliche Betrachtung, eine kirchliche politische Wochenschau, und Berichte über die kirchliche Arbeit!

LeerWenn dann daneben noch 15 oder 20 Religionsstunden in den verschiedenen Schulen der Stadt zu geben sind, dann geht das alles nur bei strengster Zeiteinteilung. Daneben tut der sehr fleißige Pfarrer natürlich auch etwas für seine eigene geistige Fortbildung; gerade darin erweist sich sein ernsthafter Fleiß. Man muß auch theologisch auf dem Laufenden sein; man muß allerhand Zeitschriften halten und wenigstens etliches davon lesen; manchmal, wenigstens in den Ferien, auch ein Buch! Es ist ein Jammer, daß fast überall so viel Gescheites drin steht, das man doch nicht übersehen darf! Man muß die soziale Frage studieren, um über die verworrene Lage der eigenen Gemeinde ein besseres Urteil zu gewinnen. Man muß sich auch mit dem Gebildeten unterhalten können und muß also doch einige moderne Romane, die eine oder andre Illustrierte Zeitung lesen, hie und da ins Theater gehen und sollte auch die berühmtesten Filme gesehen haben, um die Menschen, denen man predigen soll, zu kennen aus dem, was sie sehen und hören.

LeerUnd was von alledem dürfte man denn nun lassen? Das Ideal, das gläubig bewunderte Ideal, ist die durchorganisierte Gemeinde, die in dem Pfarrer ihren viel gewandten und nie versagenden Betriebsleiter hat. Aber dieses Ideal, einst das große Ziel derer, die aus einem toten Verwaltungsapparat lebendige Gemeinden schaffen sollten, ist allmählich zu einem Ungeheuer geworden, das dem armen Pfarrer das Blut aus dem Leibe saugt. Und die wohlorganisierte Gemeinde ist wie eine gefräßige Spinne, in deren Netz der arme Mann unrettbar gefangen ist. Unerbittlich und selbstverständlich, als ob es gar nicht anders sein könnte, frißt die Gemeinde mit ihren Ansprüchen den Pfarrer auf.

LeerDenn was ist denn die Frucht von all diesem unendlichen Fleiß? Es gibt Dinge, die kann man mit dem Fleiß bewältigen. Eine strenge Zeiteinteilung, die keine Stunde, ja keine Viertelstunde vergeudet, macht erstaunlich viel möglich; alles kommt zu seinem Recht, und wenn dieses „Recht” nur eine Viertelstunde ist! Aber es gibt Dinge, die man schlechterdings nicht aus der Hetze heraus tun kann. Reden halten kann man, wenn man ein tüchtiger Redner ist, mit erstaunlich kurzer Vorbereitung und in erstaunlich großer Zahl; aber beten kann man nur aus der Stille, an den Altar kann man nicht, vom eiligen Lauf noch schnaufend, treten um schnell Liturgie zu halten.

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LeerSeelsorge kann man nicht treiben ohne Zeit, ohne viel Zeit. „Auch der Kirchentreue findet selten den Weg zum Pfarrer. Ja warum? Sehr äußerlich: es hat sich eisern eingeprägt: ein Pfarrer ist ein Mann, der keine Zeit hat. Er kann sie nicht haben, denkt man, auch wenn er es höflich versichert. Man lese den kirchlichen Vereinswochenzettel mit seiner so treu gemeinten und so heillosen Betriebsamkeit, und da will man diesem Mann noch eine Stunde persönlich rauben?” So schrieb mir vor einigen Monaten eine Frau in schwerster Sorge um unsre Kirche.

LeerUnd die Menschen, die heute wirklich Kirche suchen und nach Kirche sich sehnen, die suchen nicht den kirchlichen Betrieb, auch nicht den sehr fleißigen Pfarrer, sondern den priesterlichen Menschen, der aus der Stille kommt und von dem eine geheimnisvolle Kraft ausströmt, die nur aus der Stille und aus der Ruhe kommt. Es liegt ein Fluch über diesem sehr fleißigen Pfarrer. Ihr kennt doch die Geschichte ans dem alten Volksspiel vom Doktor Faust: Der Fürst der Hölle sucht den schlimmsten Teufel um Fausts Seele zu gewinnen; und da kommen sie alle, die Teufel, und erzählen von ihren besonderen Künsten und Bosheiten, aber es ist alles nicht schlimm und nicht verderblich genug; bis schließlich ein kleines Teufelchen sagt, es könne nichts besonderes, aber mache alles schneller als alle anderen. Der ist der Rechte, der schlimmste Teufel. Geschwindigkeit ist eine Hexerei.

LeerWas soll man denn raten, wie soll man helfen? Darf man dies und jenes Werk einfach liegen lassen, weil man nicht mehr kann? Darf der Pfarrer sich auch einmal an Jesus erinnern, der die Kranken in Kapernaum hat warten lasten und in die Wüste entfloh um zu beten? Darf er durch sein Nicht-Arbeiten, durch sein Stillehalten, durch Stunden des Schweigens, der Besinnung, der Meditation, ein lebender Protest sein gegen den Götzen des Betriebs, der „Arbeit”, der Vielgeschäftigkeit, an der ja nicht die Kirche allein krankt? Oder ist der sehr fleißige Pfarrer in einem ganz unentrinnbaren Verhängnis? Er meint es herzlich gut und ist bereit sich zu opfern; er könnte nicht ruhig schlafen, müßte er sich eines abends sagen, ich bin heute faul gewesen.

LeerEr tut seine Pflicht, oder was er für seine Pflicht hält, bis er eines Tages daran zerbricht, oder vielleicht seine Frau, oder seine Ehe, oder seine ganze Familie zerbricht an diesem großen Fleiß. Und wenn er sich einmal Stunden oder Tage oder Wochen nimmt zur Pflege seines eigenen inneren, geistlichen Lebens, so ist unversehens doch nur ein neues Stück Arbeit daraus geworden, sehr schön und fruchtbar, aber es raubt ihm halt wieder Zeit, die er nicht entbehren kann; und das Gehetze ist schlimmer als vorher. Und manchmal ist der sehr fleißige Pfarrer in seinen Nächten gejagt von der quälenden Angst, dieser ganze kirchliche Betrieb und er selber mitsamt seinem Fleiß könnte unter einem Fluch stehen und das alles könnte eine raffinierte List des Teufels sein, um die Arbeit der Kirche zuschanden zu machen. Denn sie ist unschädlich geworden für den Teufel, wenn aus dem priesterlichen Dienst ein gut funktionierender Betrieb geworden ist. Gott lächelt über den sehr fleißigen Pfarrer, und der Teufel grinst.

Das Gottesjahr 1933, S. 49-52
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-12
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