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von Adolf Köberle |
Man hat nicht mit Unrecht gesagt, die tiefste Not unserer Zeit liegt . darin, daß ihr der Sinn der Arbeit verloren gegangen ist. Neben dem Millionenheer derer, die unfreiwillig-gewaltsam auf die Seite gestellt sind, bleiben heute übrig eine kleine Zahl von vornehmen Nichtstuern, die sich mit Luxus und Langeweile durchs Leben quälen, und die Schar derer, die wohl noch Arbeit haben, aber dafür darin in einer nervenaufreibenden Hast und dauernden Überforderung früh zu Tode gejagt werden. Aber die eigentliche Arbeit, die in sich selbst Freude und Sinnerfüllung trägt, die nicht altert, sondern jung erhält, die täglich neu als Lebensbrot voll Dankbarkeit aus Gottes Hand genommen werden kann, findet man kaum mehr unter uns. Die christliche Kirche, unser Pfarrerstand, unsere Gemeinden sind in ihrer allereigensten Lebensbetätigung in diese Gegenwartsnot durchaus mit hineingerissen. Man kann sagen: es gibt unter uns eine faule, schläfrige, behäbige Kirche, und es gibt eine betriebsame, hastige, nervös geschäftige Kirche, aber es fehlt uns noch eine kraftvolle Verwirklichung der „arbeitenden” Kirche. Es gehört heute in weiten Kreisen zum guten Ton, über die geschäftige Kirche zu Gericht zu sitzen, wobei dann gewöhnlich die amerikanische Christenheit als Musterbeispiel eines solchen falschen, verzerrten Hetzbetriebs aufmarschieren muß. Dem gegenüber ist es überaus notwendig, daran zu erinnern, daß die Kirche nicht nur geschädigt und verdorben wird durch ein Zuviel an Organisation und Wohlfahrtsrummel, sondern ebenso durch ein Zuviel an Bequemlichkeit, durch ein Zuwenig an Dienst, Opfer, Zucht und Treue. Wir wissen alle, wie die verschlafene Kirche aussieht, wo sie zu finden ist und wie verheerend sich dieser Zustand auswirkt. Die faule Kirche beginnt bei dem Theologiestudenten, der sich den Sturmwind des Zeitgeistes, der Wissenschaft und der Forschung nicht tüchtig um den Kopf brausen läßt, der nicht ehrlich und leidenschaftlich in Herz und Verstand um persönliche Klarheit des Glaubens ringt, sondern statt dessen sich nach ein paar kneipfesten Semestern die kirchliche Lehre aus den nötigen Kompendien aneignet. Die träge Kirche ist da, wo der Hirte und Führer einer Gemeinde die Aufgabe der Predigt nicht ernst nimmt, die weiten Wege zu den Kranken scheut und die Konfirmandenjugend sich selbst überlassen laufen läßt. Millionen von Menschen aber sind über diesem vielfachen Versagen der schläfrigen Kirche an Gott verzweifelt. Sie haben sehnsüchtig ausgeschaut nach dem Dienst, nach der Arbeit, nach dem Angriff der Christenheit. Man hat gewartet im Proletariat, draußen in den Kolonien unter den heidnischen Völkern, hat gewartet in den Häusern der Gebildeten. Aber als nichts geschah, als nicht genug geschah, da wanderten die Massen ab in das Lager von Freidenkertum und Atheismus oder suchten sich sonst irgend einen Religionsersatz. Mau hatte das Vertrauen verloren zu einer Kirche, die wohl viel vom Licht der Welt redete, aber selbst nicht leuchtete, die das Erbarmen Gottes zwar laut pries, aber selbst nicht barmherzig war. Aus dieser Not heraus ist die hastige, betriebsame Kirche entstanden. Hier erschraken Menschen zu tiefst vor all den schweren Versäumnissen und Verschuldungen, die die Christenheit in Vergangenheit und Gegenwart zu einem riesenhaften Berg hat anwachsen lassen. Nun wollte man in wildem Eifer zupacken und an allen Ecken und Enden zugleich retten, aufbauen und wieder gut machen. Keiner hat ein Recht, diese Unrast zu schmähen, diese verzehrende Geschäftigkeit zu bespötteln, der noch nicht schlaflose Nächte durchlitten hat, gequält von der unendlichen Schuld der Kirche, von dem tausendfachen Versagen ihrer Diener und Gemeinden im tätigen Leben. Und doch, wenn wir dorthin blicken, wo heute aus einer solchen tiefen Schuldverhaftung heraus mit letzter Hingabe geschafft wird, sei es drüben in der westlichen Christenheit, sei es bei uns daheim im Werk der Inneren Mission oder in dem Schwungbetrieb einer einzelnen, deswegen vielleicht berühmten Gemeinde, so wird man die schwere Sorge nicht los, daß über all diesem angestrengten Sich-Plagen und -Mühen viel zu viel unselige Marthahast liegt und viel zu wenig Weisheit der Maria. Der persönliche Ehrgeiz der Wohltäter und Dienenden ist keineswegs gebrochen. Das äußere Erfolgsrechnen nimmt einen viel zu breiten Raum ein. Man will nirgends fehlen, nur um überall mit dabei zu sein. Die Gesundheitskräfte brechen bei den Meisten, die in dieser Art mitmachen, unverhältnismäßig früh zusammen. Ja, es kommt zu Entgleisungen in die schlimmste Weltlichkeit, daß man zuletzt erschüttert vor den Trümmern steht und das Gegenteil von dem erreicht sieht, was ursprünglich mit brennendem Herzen und ehrlichem Rettersinn begonnen wurde. Das Wort „Devaheimskandal” sagt uns im evangelischen Deutschland der Gegenwart in diesem Zusammenhang genug. Das Kämpfen und Arbeiten ist ja an keiner Stelle im Evangelium verboten, im Gegenkeil es ist überall mit größter Klarheit und Dringlichkeit geboten. Es fragt sich nur, wie wir rechtschaffen dienen lernen. So lange der Mensch auf sich steht, auf sich selbst vertraut, höhlt ihn jeder ernsthaft geleistete Dienst in kürzester Frist unfehlbar aus. Von der heutigen Zeitlage gilt dieses Gesetz stärker denn je. Wir werden trotz eines noch so gut gemeinten Helferwillens bald gereizt und erschöpft. Wir hungern nach Erfolg und Anerkennung. Es strömt kein Segen davon auf andere aus, ja wir kommen zuletzt vielleicht gar selber unter die Räder der gleichen Weltlichkeit, aus der wir andere durch unser Werk eben befreien wollten. Woran liegt das? Es fehlt an der Grunderkenntnis des christlichen Lebens. Alles Geben kommt aus dem Empfangen, alles Lieben aus dem Geliebtsein, alles Gehorchen aus dem Hören. Wer meint, das Sitzen zu Jesu Füßen mache seßhaft, der ist noch nicht zu seinen Füßen gesessen. Die Kirche, die gleich wie Maria in Bethanien auf die Stimme des Christus lauscht, hört ja aus seinem Munde gerade das Wort von der Nachfolge, vom Kreuztragen, von der Kraftausrüstung, von der Vergebung, die getrosten Mut zum Weiterwandern gibt. So gerufen, so ausgerüstet kann und darf die Kirche freudig an die Arbeit gehen. Sie wird nicht träge sein angesichts der unaufhörlich steigenden Weltnot, sondern eifrig und angriffsbereit. Sie wird bei ihrem Tun nicht hastig und ehrgeizig werden, nicht oberflächlich und lärmend sich gebärden, sondern von einer stillen, zähen und geduldigen Treue sein. Eine neue Art von Dienst bricht sich auf diesem Grunde Bahn, die jeder mit unendlicher Beglückung und Dankbarkeit empfindet, der bisher nur die schläfrige oder die geschäftige Kirche gekannt hat. Die Menschheit wartet heute auf den Segen der arbeitenden Kirche. Das Gottesjahr 1933, S. 46-49 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-12 |