Des Menschen Seele sehnt sich nach Stille und soll dies Sehnen nicht verleugnen. Denn es ist ihr Leben, und wir sollen leben.
Leben braucht Atem. Und die Stille ist das Atemholen der Seele. Da hören wir den Schlag des eignen Herzens. Da werden wir bereit, Offenbarung zu empfangen.
Stille ist der Weg in die Tiefe. Der Meeresgrund ist stille: - und hat sein eignes Leben.
Stille kann Angst vertreiben: wenn der verzerrte Vordergrund des Tageslebens seine Macht vor dem tiefer blickenden Auge verliert. Aber sie kann auch in Angst stürzen, wenn die Hintergründe des Seins in ihrer Dämonie sichtbar werben.
Stille kann Versuchung niederschlagen, wenn uns Verwirrung geschwächt und den nicht Bereiten unsicher gemacht hatte. Aber sie kann auch Versuchung heraufführen, wenn sie Stunde der Entscheidung und des Sieges werden soll. Jesus ging in die Wüste und der Versucher trat zu ihm.
Darum dürfen wir in der Stille nicht allein bleiben mit uns selbst:
Stille hat darin ihren Sinn, daß wir in ihr Gott begegnen.

Gott ist zwar nicht daran gebunden, daß er uns nur in der Stille begegnen könnte. Glaube sieht überall Gottes Hand am Werk. Aber Gott hat uns so geschaffen, daß die Stille uns das Eindringen in die Tiefen seiner Offenbarung erleichtert.
Nur wer Stille findet, sich in Gottes Wort zu vertiefen, darf erwarten, daß es sich ihm öffnet und zu ihm redet. Die Zeit dieser Stille ist wichtiger als vieles Tun, das uns wichtig scheint und durch sie unwichtig wird, uns zur Befreiung.
Nur wer Stille findet und Sammlung zum Gebet, darf von solcher Stunde sagen, daß er in ihr bete. Und nur wem diese Stille und Sammlung Regel ist, darf sagen, daß er ein Beter sei.
Dem Beter antwortet Gott, auch wenn er ihm nicht zu antworten scheint.
Dem Warten in der Stille ist Gott bereit, daß er komme und gebe in den Menschen seinen Geist.
Ehrliche Stille darf deshalb nicht Ersatz sein wollen für Ringen und Überwinden. Sondern sie muß sie begleiten und ihre Kraft in das Ringen geben. Denn Gott fordert den ganzen Menschen und nur dem ganz Bereiten will er sich offenbaren.
„Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade”: Der Weg der Stille hat kein Ende, sondern führt in die Fülle der Offenbarung hinein und immer weiter über Menschenvermögen und -begreifen.

Wer in die Stille geht, dem wird die Alltäglichkeit zur heilsamen Fremde. Aber aus der Stille heraus wird er ihr Herr und lernt das Nichtige vom Wesenhaften scheiden.
Der Weg der Stille ist der Weg vom wirren Vielerlei zur gestalteten Fülle.
Stille ist das stärkste Tun. Manch' äußeres Tun ist siegreich auf seiner Ebene. Aber keines ist ohne sie gesegnet. Überall ist ein Warten auf ein Tun, das aus der Stille quillt, und den Stempel ihrer Weisheit und Güte trägt, und also segnet.

Mit den andern ist Stille nicht oft möglich. Für die andern ist sie immer, auch wenn sie zuerst nur für uns ist.
Stille ist Weggehen von den andern und durch dies Weggehen Begegnen mit ihnen. In der Stille des Alleinseins begegnet dir dein Weib, dein Kind, dein Freund. Und du siehst ihr inneres Gesicht und hörst die Sprache ihrer Seele.
In der Stille hören wir den Notschrei der Welt und lernen ihr Leid mittragen. Nur die mittragen können, sind die wahrhaft Starken und Helfenden.
Wer aus der Stille kommt, schaut hinter die Masken. Er muß dann viel Liebe und Weisheit haben, um recht zu reden. Aber wo er es kann, ist er Helfer in Nöten, denen nur wenige zu helfen vermögen.
Menschen der Stille wecken das tiefe Vertrauen, in dem heimliches Leiden Macht findet sich zu offenbaren und die Wohltat der Lösung erfährt.
Unsere Stille ist Bereitung zum Priesterdienst.

Stille schafft Einzelne, wenn sie in der Selbstsucht genossen wird. Aber wenn wir uns in ihr von Gott gerufen wissen und vor Gott in ihr stehen, dann schafft sie Kirche.
Kirche ist Gemeinschaft derer, die als Gerufene im Dienste Gottes stehen. Das ist echte Gemeinschaft, weil die Gerufenen nicht eigene Wege gehen, sondern den Willen Gottes erfüllen. So ist Kirche das stärkste Band der Gemeinschaft, das es auf Erden gibt; und ist aus der Stille.
Wissen um gemeinsame Stille vor demselben Gott, das ist das Geheimzeichen der Christen.
Kirche, die aus der Gabe und dem Gehorsam der Stille lebt, lernt gerecht sehen und in Liebe urteilen auch über die, die sich Kirchenfeinde nennen. Viel Haß ist da enttäuschte Liebe und viel Schelten heimliches Leid. Ob hier wohl die Stille neue Brücken schlagen könnte? Sie würde ja den andern etwas von Glauben und Liebe zeigen!
Das Recht der Kirche ist nicht begründet in ihrer Geschäftigkeit, sondern in ihrer Stille. Echte Stille wandelt die Geschäftigkeit in Tat, in so wenig oder so viel Tat, wie der Auftrag der Kirche es fordert und wie die Segensaufgabe wirklicher Tat es zuläßt.
Die Kraft der Stille in der Kirche soll so stark quellen, daß sie die Unrast des Weltlebens durchströmend die erreicht, die Stille suchen, und sie vor die Wahrheit Gottes führt.
Das Gottesjahr 1933, S. 43-45
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