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von Karl Bernhard Ritter |
Wie wir im Wechsel von Einatmen und Ausatmen der Gnade des Lebens inne werden, so atmet die Erde im Wechsel der Jahreszeiten. Sie saugt die Kräfte der Sphären in sich hinein, sie sammelt ihr Leben in Wurzeltiefen, wenn die Nächte lang werden und in kurzen Tagesstunden die Sonne nur ferne und kraftlos am Horizont steht. Sie sprüht und glüht und verschwendet sich und hebt sich dem Himmel entgegen im steigenden Sommer. Sie ruht still und veratmend auf der Mittagshöhe des Jahres unter der warmen, goldenen Sonne, die den ganzen Himmel erfüllt. Die Kinder aber der Erde haben teil an diesem geheimnisvollen Wechsel des Lebens. Der Reigen des Jahres führt sie durch die schweigende, kühle Nacht des Winters, den drängenden Traum des Frühlings und die fruchtende Stille und Glut des Sommers zur Reife und Einkehr des Herbstes. Nacht und Tag, Morgen und Abend kehren wieder im großen Kreislauf des Jahres. Die Sonne ist die große Führerin dieses Reigens. Mit der Erde durchschreitet der Mensch unter ihrer Führung alle Reiche des Jahres. So arbeiten und bilden die mächtigen, belebenden Kräfte der Schöpfung an unserer Seele. Nur wem die tiefe Einkehr in sich selbst und das gesammelte In-sich-selber-Wohnen, die Besinnung in der Ablösung von allem Draußen, das Warten und Werden im Verborgenen, und wem nicht minder der drängende Traum und die strömende Fülle des Gefühls, die Hingabe an die strahlende Weite, die Öffnung für alle Offenbarungen des Lichts vertraut ist, dessen Seele wird reif, Frucht zu bringen. Ist es nicht ein Zeichen unseres Abfalls, daß wir zu allen Zeiten Frucht fordern und Leistung erquälen, daß wir nicht Raum geben dem Schöpfer, der an uns arbeiten will; der Werde- und Reifezeiten, die Zeit der Einkehr und die Zeit der Frucht schenkt, wie es ihm gefällt; der uns hineingestellt hat in die heilige Ordnung der geschaffenen Welt? Unsere Freiheit ist zum Frevel geworden, unsere Herrschaft über die Natur zur Not. Weil wir willkürlich, selbstherrlich uns losgerissen haben von ihrem tragenden Grunde, herausgetreten sind aus dem belebenden, wirkenden Einklang der Kräfte des Alls, darum verdorrt unser Leben. Die Alten wußten, daß nur das ganze Jahr im Wechsel seiner Zeiten zu dem ganzen Menschen spricht. Sie wußten, daß das spielende Kind und die vom Geist ergriffene Jugendkraft, die reifende, fruchtende Fülle des Mannes- und Frauentums und die gesammelte Weisheit des Alters ihre Zeiten haben im Wechsel des Jahres. Sie wußten, daß der Mensch in sich bewahren soll, was die Jahreszeiten ihm bringen, will er ein ganzer Mensch sein. Denn der vollkommene Mann eint in sich das träumende Spiel des Kindes und das Feuer begeisterter Jugend, die liebende Hingabe des Gemütes und Willens mit der Klarheit gesammelter Gedanken und der strengen Formung kristallener Kühle. Aber wie die Zeiten des Jahres ihre Geschenke bringen, so führen sie uns auch durch die Prüfungen und läuternden Stufen des Werdens. Und wenn der Seele die bindende Mitte fehlt, der heilige Führer, der sie geleitet, dann werden die Kräfte des Jahres zur Versuchung dem, der ihnen hilflos und haltlos preisgegeben ist. Die Gaben des Schöpfers werden zur Versuchung dem, der den Schöpfer vergißt. Wenn die Erde in der Nacht des Winters ganz in sich selbst gekehrt ist und der Mensch in sich selbst hineinsinnt, dann tritt die Versuchung an ihn heran, sich in sich selbst zu verlieren, sich im Labyrinth wesenloser Gedanken zu verirren; er ist in Gefahr zu veröden, zu erstarren. Bedrängt ihn im Frühling der steigende Strom der Empfindungen, pocht das erwachende Blut, dann schweift er zuchtlos und ohne Maß und vergeudet das Leben, das nur in gesammelter Hingabe und wartender Geduld reift und Frucht bringt. Die Sonne am Himmel ist das geschaffene Bild der Christussonne, die das heilige Jahr regiert Christus ist es, der die Zeiten erfüllt und die Seele auf ihrem Wege durch die Stufen und Wandlungen des Lebens führt und erlöst. Mitten im kalten Winter wird er geboren in der Seele, darf der Mensch Maria sein, die das Wunder des göttlichen Geistes an sich erfährt. Dem aufbrechenden, strömenden Leben des Frühlings weist Christus den Weg des Opfers. Nur im Opfer wirb das wahre Leben gefunden: „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erhalten.” So führt das Christusjahr in den Wochen der Passion die Jugend zur heiligen Zucht, zur heroischen Hingabe im Dienst und läßt sie erfahren, daß nur die Bereitschaft zum Leiden den Versucher überwindet. Auf der Höhe des Jahres steht Johannes der Täufer und weist uns hin auf die Erfüllung des Lebens, das ganz zum Gehorsam wird: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen”. Am Ende aber des Jahres ruft uns St. Michael auf zum Kampfe des Geistes gegen alle finsteren Mächte und weiht uns zu Streitern im Heere des Lichts gegen die Fürsten und Mächte des Abgrunds. Wie das Sonnenjahr der Erde und das Christusjahr der Seele ineinander verschlungen sind, eins das andeee in sich trägt, wie Weissagung und Erfüllung, das tritt vor allem an den Polen des Jahres heraus, zur Zeit der Wintersonnenwende und der Sommersonnenwende. Diese Pole bezeichnen zwei ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Richtungen des Lebens. Ganz äußerlich gesprochen wendet sich das Leben zur Zeit der Wintersonnenwende nach unten und nach innen, zur Zeit der Sommersonnenwende nach oben und nach außen. Im Winter zieht sich das Leben der Pflanzen zusammen, in die Wurzel zurück, es birgt sich gleichsam im Innern der Erde. Das äußere Licht nimmt ab, Dämmerung und Nacht hüllen die Erde ein. Die Erde ist kühl, die Luft klar. Das Wasser, das Element der Geburt, des Wachstums, kristallisiert zum Eis. Aber der scheinbare Tod ist kein Tod, er ist ein Schlaf. Das Leben der Erde wartet auf seine Auferstehung. Der Winter ist die Zeit der Träume und Ahnungen, der inneren Gesichte. Die Nacht des Winters ist die Stunde der Empfängnis. Im Verborgenen, im verschlossenen Schoß der Seele wird das Leben empfangen. Da das äußere Sonnenlicht erloschen ist, glüht das Licht im innersten Raum. Die Sinne ziehen sich zurück aus der Welt der Erscheinungen und die Kräfte des Geistes sammeln sich, bereit, das Wort zu vernehmen, das ins Innere hineingesprochen wird. Der Winter ist die Zeit der geistigen Verkündigung. Die verkündigende Kraft formt sich das Gefäß ihrer irdischen Wohnung. AllleS Seelische ist herb, verschlossen, zurückgedrängt, der Winter ist die keusche Zeil den Jahres, ist die Zeit der jungfräulichen Einfalt. Wenn die Tage und Nächte der Wintersonnenwende erfüllt sind, wenn die Adventswochen enden, wird das Kind der Jungfrau geboren. „Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel wie eines gewaltigen Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie saßen. und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer, und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen”, so beginnt die Erzählung vom Fest der Pfingsten, von der Ausgießung des heiligen Geistes. Der Mensch erlebt seine eigene Geistesgeburt. In Wehen und jauchzendem Überschwang drängt biese Geburt ans Licht. Der Mensch erhebt sich über die Erde, über sich selbst. Er will sich selbst hineinschenken in die geistige Welt,. Träger und Zeuge des Geistes werben. Jung, voll von den Gaben des Geistes, im Lichtrausch der Begeisterung, wird die Erde und ihre Fülle dem Himmel dargebracht. Es ist ein Hinopfern der Herrlichkeit der Welt an die Sonne des Geistes. Inbrünstig, ekstatisch läutert sich die Menschenseele, verbrennt sie im Aufbruch zu Gott. Im Winter baut sich der Geist eine Stätte im Innersten der Erde. Im Scheitelpunkt des Jahres bringt sich die Erde dem Geiste dar. Die stärksten Spannungen, Sammlung und Hingabe, Empfangen und Sichopfern, keusche Stille und hochzeitlichen Rausch, Demut und Jubel umschließt das Jahr der Erde, umschließt das Jahr der Seele. Aber beides, die Nacht und der Tag, Tod und Leben werden geheiligt, gereinigt, erfüllt durch die Gnade. Daß wir als Kinder der Erde hineingestellt sind in den Kreis des Sonnenjahres, befreit uns von dem Wahn, da wir aus uns selbst zu leben versuchen. Wir leben von den Kräften, die alles Geschaffene bilden und nähren. Daß wir das Christusjahr begehen, öffnet uns die Augen für den Sinn und das letzte Ziel alles werdenden, reifenden und sich erfüllenden Lebens. Das Christusjahr begehen heißt den in sich wirken lassen, der allein uns durch seine Gnade vollenden kann. Christus lebt in der Menschheit sein Leben weiter im Kreis des heiligen Jahres, in dem sein Leben sich immer aufs Neue wiederholt und uns Anteil gewährt an dem Ereignis der Erlösung. Er spricht: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volles Genüge haben.” Im Kreislauf des Jahres entfaltet er die Fülle seiner Offenbarungen. Im Wandel der Zeiten wandelt er unsere Seele und führt sie ihrer Vollendung entgegen, läßt sie reifen für die ewige Ernte. Das Gottesjahr 1932, S. 100-104 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-11-27 |