|
von Wilhelm Geyer |
Die Berge sind streng. Sie sondern. Nicht jeden lassen sie in ihr Geheimnis schauen und vielleicht Keinem haben sie es ganz offenbart. Sie stnd eine eigene Welt. Ihre Hauptkraft ist, daß sie den Menschen lösen: lösen ans dem Sumpf der Städte in den Niederungen - wie ein Sieger schaut er dort hinunter und wie ein Befreiter -, lösen von allem Kleinen, Unwesentlichen, überflüssigen, von allem Ballast des Lebens - wie stillos ist plötzlich manches, was der Neuling hier oben aus dem Rucksack holt, er schämt sich schier ; ein andermal läßt er's drunten -, lösen von dem, was wir scheinen - Bezirksamtmann, Abiturient, Straßenbahnschaffner, Gendarm, Pfarrer, Tünchergeselle, alles versinkt, zählt hier nicht, fällt ab. Ich will auch den Namen dessen nicht wissen, den ich im Felsen kletternd getroffen habe; ich habe sein Wesen gespürt, das ist mehr. Hier gilt, was der Mensch ist und das ist herrlich. Die im Krieg waren, wissen, was es darum ist, in der Zone sein zu dürfen, wo nur noch gilt, was einer ist. Da wird die Atmosphäre sauber, wunderbar stark und männlich. In den Bergen kommt das wieder. Nicht in den Hütten am halben Weg, wo noch dumm geredet und groß gesprochen wird, auch nicht auf den berühmten Gipfeln, wo „man gewesen sein muß”, aber in der machtvollen Einsamkeit der Pürschpfade, in der wuchtigen Größe der steinernen Wände, in der duftenden Stille der hohen Matten, wo die sonnendurchleuchteten kleinen Bergblumen stehen und die Murmeltiere pfeifen. Fernab von allem, was ihn sonst bewegt, ist der Mensch; die geläuterte Welt ist um ihn, die Luft ist leichter, feiner, reiner, - alles ist reiner, unberührt, vom Menschen nicht verdorben, und er will's nicht verderben, es ist ihm leid, daß er mit eisernen Sohlen auf den bunten Teppich tritt, er möchte ihn schonen; daß er durch sein Kommen die Tiere erschreckt, er will ihren Frieden nicht stören; daß er mit seiner Stimme die Stille stört, er redet sparsam. Mögen sie drunten jodeln und schreien, hier wird man still. Es ist ein heiliger Bezirk. Was wollte auch die Stimme des Menschen in den Weiten, die sich um ihn auftun, was ist er noch vor den Riesen, die um ihn gelagert sind? ein Punkt, ein Nichts; ein Nichts, das nur überglücklich sein kann, daß es da sein darf, und das nicht weiß, wie es seine übergroße Dankbarkeit sagen soll. Es mag Menschen geben, die in den Bergen Herrschergefühle empfinden, wenn sie einen Gipfel bezwungen haben - es ist so etwas dabei in Augenblicken -, das Eigentliche ist es nicht. Das Wirkliche und Dauernde ist die innere Dankbarkeit für die Gunst, die uns in diese Welt hat kommen lassen, ist das große, ehrfürchtige Schauen und Spüren des Größeren, das uns umgibt und irgendwie in sich aufgenommen hat. Wir nennen es nicht Gott, aber wir spüren das Mächtige Gottes, ahnen die Größe und Reinheit seiner Schöpfung und die Übergewalt seines Wirkens, der die Berge türmte in seiner Kraft und der sie wieder stürzen kann, daß sie hinfallen mitten ins Meer. „Was ist der Mensch, daß Du seiner gedenkst und des Menschen Kind, daß Du dich seiner annimmst?” Unbegreiflich ist's, daß der Größte des Kleinen gedenkt und der Hohe zum Niedrigsten sich neigt, daß ich überhaupt etwas bin vor ihm, der ich mich selber nicht mehr wissen und rechnen kann. Dort haben Menschen Balken auf den Gipfel geschleppt und das Kreuz ausgerichtet. Wollten sie das sagen?: Das Kreuz redet in dieser stillen Welt. Vom Augenblicklichen gelöst, aus dem wechselnden Geschehen des Tages mit seinen vielen Eindrücken genommen, darüber gestellt, ist das Großzügige in allem. Was bedeuten die Dinge, die unten das Leben bestimmen und ausfüllen, was sind die Wünsche und Ziele, die uns unten beherrschen? - verächtliche Eitelkeiten, die vergehen wie die Täler vergehen und die Vorhöhen versinken, wenn sich der Abendnebel darüber breitet. Langsam versinkt das Land unter uns, die Nacht verhüllt es, und oben ist noch Licht und die Gipfel leuchten nach im glühenden Glanz. Dann schwindet das Tageslicht, aber die Spitzen ragen dunkel und blau unter den funkelnden Sternen. Es ist unheimlich still und einsam geworden. Noch sitzen wir an dem Hang, der wie ein Gerölltrichter den bleiern glänzenden See umgibt. Die Gemsen, die sich bei der Dämmerung unter die Latschen getan haben, ruhen noch - sonst wissen wir im Umkreis von nichts Lebendigem. Der Wind wird kühl, er streicht lautlos über die Steine. Wir wandern zur Hütte, die wir unten wissen, sie ist klein und leer. Wir werden dortums Feuer sitzen und bald schlafen. Im Gehen kommt uns der Vers: Gott, laß uns dein Heil schauen,Wir denken an den, der Nächte auf den Bergen war, allein in der redenden Einsamkeit und der am Morgen ins Tal hinabstieg und tat, was der Vater ihm offenbart hatte. Das Gottesjahr 1932, S. 75-77 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-11-27 |