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von Paul Tillich |
Als der Menschengeist in den ältesten griechischen Philosophen zum erstenmal die Frage nach dem „Was ist es” der Dinge stellte, war die erste Antwort: Das Wasser. Das Wort, das von Thales berichtet wird: „Das Beste aber ist das Wasser” enthält in sich die eigentümliche Mischung von mythischem Urklang und rationaler Begrifflichkeit, die das ganze vorsokratische Denken auszeichnet. Es ist darum falsch, wenn man das Wasser bei Thales wie Luft und Feuer bei den übrigen Naturphilosophen als Gegenstände im Sinne der modernen Naturwissenschaft auffaßt. Solche Gegenstände gibt es erst, nachdem die Philosophie eine längere Entwicklung durchgemacht hat; sie stehen aber nicht an ihrem Anfang. Man hat mit Recht gesagt, das Wasser des Thales ist „metaphysisches” Wasser, d. h. im Wasser wird die „Arché”, das Prinzip des Seins überhaupt angeschaut. Nicht als wäre für Thales die Arché noch etwas hinter dem Wasser gewesen. Aber das Wasser hatte für ihn noch die Qualität, gleichsam mehr zu sein als es selbst, nämlich Prinzip. Blicken wir auf die Schöpfungsgeschichte, so findet sich gleichfalls das Wasser in einer gewissen Doppelbedeutung. Das Wasser des Chaos, über dem der Geist Jahwes schwebt, ist ein anderes Wasser, als das Produkt der Scheidung von Festem und Flüssigem am zweiten Schöpfungstag. Im Urwasser des Chaos ist Flüssiges und Festes noch ungeschieden. Die Wasser über und unter dem Himmelsgewölbe, die am zweiten Tage an besonderen Orten sammeln, haben schon als Gegensatz das Trockene. Trotzdem hat auch dieses durch Gegensatz bestimmte Wasser noch chaotische Qualitäten. Es ist der Ort der im Buch Hiob genannten Chaos-Tiere. Auch steht die Verwandtschaft von Wasser und Chaos im Hintergrund der Sintflutsage: Die Sintflut ist die Drohung, daß alles wieder vom Chaos verschlungen wird; und der Regenbogen der Noahgeschichte ist das Symbol, daß die Form sich für immer gegen das Chaos halten soll. Der halbdämonische Charakter des Wassers wird deutlich in der merkwürdigen Stelle der Offenbarung Johannes, wo der Visionär das „gläserne Meer gleich dem Krystall” schaut (4,6). Das Meer ist da, aber es ist durchsichtig geworden. Was aber durchsichtig ist, hat seinen mythisch-dämonischen Charakter verloren. Schärfer wird der dämonische Charakter des Meeres in der Endvision ausgedrückt (21,1). Hier heißt es, das Meer ist nicht mehr. Es hat soviel Chaotisches, soviel Dämonisches in sich, daß es der eschatologischen Verwandlung nicht zugänglich ist und verschwindet. Eine unbedingt positive Wertung erfährt das Wasser dagegen in der Bibel als Quelle und Strom, die das Lebendige erquicken und das Land fruchtbar machen: Also das in die Form aufgenommene, in sie eingeordnete Element. Am „Wasser des Lebens”, sowie in den Paradiesesströmen ist nichts Dämonisches mehr vorhanden. Eine besondere Vertiefung erfährt diese Bedeutung des Wassers durch die Tatsache, daß der Mensch wie viele andere Lebewesen im Mutterleib vom Fruchtwasser eingehüllt ist, sodaß seine Geburt im eigentlichsten Sinne aus dem Wasser erfolgt. Darauf spielt das Nikodemusgespräch an, die Frage ob jemand in den Mutterleib zurückkehren kann und die Antwort, daß man aus Wasser und Geist (aus Chaos und Form) wiedergeboren werden muß. - Diese Dinge haben sich der Gegenwart durch die psychoanalytischen Einsichten neu erschlossen. Wir wissen, wie stark die Mutterleibsituation für das ganze spätere Leben nachwirkt, und wie die mehr positive oder mehr negative Nachwirkung des Getragenseins im Mutterleib wichtige Typenunterschiede der Menschen bewirkt: der dem Mütterlichen, Umfangenden, Fließenden, Chaotischen zugewandte Typus steht gegenüber dem auf das Männliche, Freie, Feste und Gestaltete gerichteten Typus. In beiden Typen ist auch die Resonanz auf Wasser, Meer, Wolken usw. ganz verschieden. Bei den einen entsteht eine positive, bei den anderen eine negative Mutterleibresonanz. Der erste hat es leichter, sich zu wandeln, weil seine Form weniger fest ist, der zweite muß die Form zerbrechen, um in das Wasser der Wiedergeburt tauchen zu können. Er tut es seltener, dann aber radikaler. Auch für die Typologie der Religion und Frömmigkeit ist dieser Gegensatz entscheidend. Auch die reinigende Kraft des Wassers ist zu verstehen aus seiner Fähigkeit, in sich aufzunehmen und zu vernichten was an falscher, unrichtiger Stelle ist. Hier wäre zu erinnern an das Nietzschewort, daß man ein Meer sein muß, um einen unreinen Strom aufzunehmen, ohne selbst unrein zu werden. Die „nichtende” Kraft des Wassers ist zugleich ihre reinigende. Unter diesen Umständen muß erklärt werden, daß das Wort vom „schlechten (schlichten) Wasser” in Luthers Katechismus unzulänglich ist zur Charakterisierung der sakramentalen Situation. Luther stand in notwendiger Opposition gegen eine Sakramentsmagie, die an den sakramentalen Gebrauch des Wassers an sich Heilswirkungen knüpfte. Seine Gegenthese war die völlige Profanisierung und Entmächtigung des Wasser an sich. Aber ein „An-Sich” in diesem Sinne gibt es nicht, sondern verschiedene Verstehenskorrelationen, in denen sich verschiedene Schichten des Seins erschließen: Dann aber ist zu fragen, ob die Sakramente schaffende Geisteslage nicht einen Zugang zu den sakramentalen Elementen hatte, der uns verloren gegangen ist oder nur auf Umwegen der Mythenforschung und Psychoanalyse wieder entdeckt werden kann. Und dann könnte das Wasser nicht nur zufällig und nicht nur äußerlich symbolisch, sondern um seiner spezifischen Seinsmächtigkeit willen zu sakramentaler Bedeutung gelangt sein. Das Gottesjahr 1932, S. 65-67 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-15 |