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von Rudolf Spieker |
In uns allen haben sich Reste einer Verbundenheit mit der Erde erhalten. Wir nehmen den Anblick frischgepflügter Ackererde, die breitschollig und glänzend in der Frühlingssonne liegt, in uns auf und atmen den Geruch der Erde als einen Geruch des Lebens; Erdgeruch ist stärkend wie der Geruch von Brot. Die Füße, die nur noch Pflaster und Asphalt kennen, schreiten elastisch über die natürliche Erde, und es ist nicht nur ein Einfall jugendlicher Schwärmer, dann die Schuhe abzustreifen, um die Erde an den Bloßen Füßen zu spüren. Wenn in der Großstadt das Pflaster aufgerissen wird, strömen die Kinder herzu, graben sich ein, und man läßt sie gewähren, denn sie haben ein Anrecht auf die Erde wie auf ihre Mutter. Im Kriege war die Erde der schützende Leib, der die Kämpfer umfing und ihnen das Gefühl der Geborgenheit gab, selbst wenn er ihnen jederzeit zum Grabe werden konnte. Der Anblick der vom Kriege zerrissenen und zerwühlten Erde blieb vielen im wie eine Schau des Grauens, die den Menschen ebenso nahe anging wie der Anblick zerfetzter menschlicher Leiber. Zuletzt sind die drei Hände voll Erde, die wir den Toten nachwerfen, ein Ausdruck der tiefen Zugehörigkeit des Menschen zur Erde, von der er genommen ist. Hinter diesen bei uns noch vorhandenen Resten einer Erdverbundenheit schlummern uralte Ahnungen und Erkenntnisse, die sich in Volksbräuchen und Volksglauben erhalten haben bis auf diesen Tag. Man legte das neugeborene Kind auf bloße Erde (Württemberg, Schlesien) und hob den Kranken, wenn der Tod herannahte, aus dem Bett und bettete ihn auf die Erde (Siebenbürgen) oder bedeckte ihn mit etwas Erde (Thüringen). So ließ sich einst Franz von Assisi sterbend auf die nackte Erde niederlegen, von der er gekommen war. Man glaubte, daß die Kinder, auch wenn sie aus Bäumen, Felsen oder Teichen geholt werden, vorher drunten in der Erde waren. Auch in der Bibel begegnet uns eine Spur dieses Glaubens: „Es war Dir mein Gebein nicht verhohlen, da ich im Verborgnen gemacht ward, da ich gebildet ward unten in der Erde” (Ps. 139,15). Von der Erde kommt das Leben, die Erde nimmt das Leben wieder zu sich, sie ist unser aller Mutter. Sie ist in dem Hessischen Hausspruch gemeint: „Es ist eine Mutter fein,Der Glaube an die „Mutter Erde” bildet bei vielen Völkern den Kern und Ausgangspunkt ihrer Religion. Ihr wurden Opfer dargebracht. An sie ergingen uralte Anrufungen, welche die Fruchtbarkeit des Ackers und der Ehe erflehen. Denn Säen und Wachsen, Zeugen und Geborenwerden sind im Wesen derselbe Vorgang, dem die Kraft der mütterlichen Erde zu Grunde zu liegen scheint. Deshalb stehen im Mittelpunkt der Feiern von Eleusis uralte Bräuche, welche die Erde als Urmutter alles Lebens verehren. Zu ihr geht im Tode alles Leben ein und aus ihrem Schoße geht es in neuer Geburt wieder hervor. Es scheint nicht Zufall, daß Christus gerade zu den Griechen, welche die Feiern von Eleusis kannten, das Wort vom Weizenkorn sagt, welches in die Erde fallen und sterben muß, ehe es Früchte trägt. Die Bibel bekennt sich auf ihrem ersten Blatt zum Glauben an den Schöpfer Himmels und der Erde; da ist kein Raum mehr für eine irdische Muttergottheit. Die Bibel hat klar gesehen, daß die Verehrung der Erde den Menschen festhält am Staube. Der Kampf der Propheten gegen orientalische Muttergottheiten trifft zugleich die zügellose Gier der Sinne deren Befriedigung gerade die Kulte der Erdmutter am weitesten entgegenkamen. Wo das Erschaffene, das Geschöpf, mehr geehrt wird als der Schöpfer, da Folgt aus dieser Vertauschung die Verzerrung und Entartung des ganzen Lebens (Röm. 1,28 ff.). Auch die Erde ist ein Teil der Schöpfung, durch die der Riß hindurchgeht, die Folge der Entzweiung vom Schöpfer, die angehoben hat beim Menschen. Darum nimmt die Erde teil an dem Fluch, der über den Menschen gesprochen ist. Von sich aus bringt der Acker Dornen und Disteln, und mit Kummer soll sich der Mensch darauf nähren sein Leben lang. So ist die Erde der Ort und Schauplatz bitterer Leiden, in denen die „Mutter” Erde selber für ihre Kinder keinen Trost hat, wie es Stephan Sinding in einem gewaltigen Bildwerke zum Ausdruck gebracht hat (Kopenhagen). Die ganze Unbarmherzigkeit zeigt uns das erstarrte Angesicht der Mutter Erde im Winter. Die Erde kann nicht retten vor den Schrecken und dem Grauenvollen, denn sie ist selber der Vergänglichkeit und dem Tode unterworfen. Es ist nicht wahr, daß die Mutter Erde von sich aus das Leben hervorbringt. Sie kann nicht zeugen, sie kann nur das Leben empfangen und es wieder zurücknehmen, daß es Staub und Asche werde. Sie ist, für sich allein gelassen, ein „Gräberstern”, mit der Asche aller der Lebewesen durchsetzt, die sie in sich zurückgenommen hat. Sie selber wird veralten wie ein Gewand, die Elemente werden vor Hitze schmelzen und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden verbrennen. Der Seher der Offenbarung aber schaut einen neuen Himmel und eine neue Erde, „denn der erste Himmel und die erste Erde verging”. Erde ist der Stoff des Schöpfers, ist Mittel der Verleiblichung, sie macht das Schöpferwort sichtbar. Und als Christus, das „Wort”, Fleisch ward, da nahm er auch Erde an als sein Gewand. Darin hat alle menschliche Gestaltungsaufgabe ihren Grund und ihr Vorbild, daß Gottes Gedanken nicht blutleere Ideen sind, sondern vor uns sichtbare Zeichen aufrichten, die von Gottes Schöpfergeist Zeugnis geben: „Du lässest aus Deinem Odem, so werden sie geschaffen, und verneuest die Gestalt der Erde.” Freilich gehört damit sofort der andere Satz zusammen: „Du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub.” Irden Gefäß sind wir, gar leicht zerbrechlich. Unsere Leiblichkeit ist wie eine Hütte, von deren Wand der Staub rieselt. Irdische Leiblichkeit, sei es Fels, Pflanze oder Menschenleib, kann niemals dem Schöpfergedanken gleichgesetzt werden, als wäre sie eine vollkommene Darstellung dessen, was der Schöpfer gewollt hat. Denn die Schöpfungseinheit ist zerbrochen, durch jedes Gefäß geht der Bruch, und alle irdische Gestalt ist nur ein vom Schöpfer aufgerichtetes Zeichen, welches im Vergehen auf seinen Ursprung hinweist. Wo irdische Leiblichkeit durchscheinend wird für das göttliche Leben, da steht sie dem Tode nahe wie bei Christi Verklärung. Es heißt in der Schrift: „Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde.” Er hat in die Erde unauslöschlich das Zeichen eingegraben, unter dem sie in Wahrheit steht und das für den Sehenden allen irdischen Dingen aufgeprägt ist, wie Luther bezeugt: „St. Paulus hat mit seinen scharfen apostolischen Augen ersehen das liebe heilige Kreuz in allen Kreaturen.” Wir haben es erkannt in der Vergänglichkeit alles dessen, was aus Erde geschaffen ist. Christus hat sein Kreuz über der Erde aufgerichtet als Zeichen des Gerichts. Er hat in seinem Tode den Bruch sichtbar gemacht, der durch alles Irdische hindurchgeht, und es ist schon der Anfang des Endgerichts über die Erde beschrieben, wenn der Evangelist beim Sterben Jesu berichtet: „Und die Erde erbebete, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf.” Christus hat aber auch ein Zeichen gegeben, wie das Leben der Erde soll neugeschaffen werden, wenn es hindurchgegangen ist durch das Gericht. Wir meinen das Zeichen des Jonas, das uns immer wieder in den unterirdischen Grabkammern der alten Christen begegnet, denn es redet zu ihnen vom Geheimnis der Wandlung und Auferstehung: „Gleichwie Jonas war drei Tage und drei Nächte in des Walfisches Bauch, also wird des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein.” Die Erde ist nicht schon erneuert, weil sie das Blut Christi getrunken und seinen Leichnam in sich aufgenommen hat. Die Erde w a r d nicht sein Leib und wir haben durch das leibliche Essen des Brotes beim Abendmahl nicht schon wirklich den lebendigen Keim der neuen Erde in uns aufgenommen. Dagegen empfängt beim Sakrament des Altars ein Stücklein Erde, das Brot, das aus der Erde gewachsen ist, die Verheißung, daß es als ein Zeichen sichtbar machen soll Christi Leib - indem es g e b r o c h e n wird! Dies Stücklein Brot steht stellvertretend für die ganze Erde und weist darauf hin, daß auch sie durch das Zerbrechen hingeführt werden soll zur neuen Schöpfung. Wenn wir heute unseren Zusammenhang mit der Erde neu entdecken, so wird uns damit zunächst nur zur Gewißheit, daß wir des Todes sind. Es ist nur ein Akt des Gehorsams, wenn wir im Tode den irdischen Leib der Erde zurückgeben - wir geben ihn dahin in die Bestimmung des Schöpfers: „Du bist Erde und sollst zu Erde werden”. Unsere Nähe zur Erde wird erst dann wieder verheißungsvoll, wenn wir das Zeichen sehen, das Christus unverwischbar der Erde aufgeprägt hat, und uns diesem Zeichen beugen. Es gibt auch für die Erde kein anderes Zeichen der Verheißung als das Kreuz. Das Gottesjahr 1932, S. 61-64 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-15 |