|
von Wilhelm Stählin |
Das „Gottesjahr 1932” handelt von der Natur. Ähnlich wie im Vorjahr, als wir uns mit der Bibel beschäftigten, hat uns eine ganz bestimmte Not dazu gedrängt, einen Band unseres Jahrbuchs unter dieses Thema zu stellen. Wir kommen so schwer zum richtigen Denken über die Natur und können uns so schwer in ein richtiges Verhältnis zu ihr stellen. Es gibt viele fromme Christenmenschen, die meinen, mit der Natur habe der Glaube nichts zu schaffen. Sie achten und schätzen in der Religion, auch in ihrem Christentum, das Reich der Innerlichkeit, der „Seele”, und meinen, daß Gott es ausschließlich mit dieser Innenwelt menschlichen Geistes zu tun habe. Ja sie achten die Welt der Religion um deswillen, weil sie ein Gegengewicht bildet gegen das Schwergewicht äußeren Geschehens in der Natur um uns her. Diese Denkweise ist in doppeltem Sinn gefährlich. Auf der einen Seite wird damit das Leben der frommen Seele etwas in sich Verschlossenes. Es haftet ihm etwas Blasses und Unwirkliches an und in der harten Welt irdischen Geschehens bleibt diese Religion der Innerlichkeit etwas Bedeutungsloses und Unkräftiges. Auf der anderen Seite wird in dieser Denkweise die ganze Welt der Natur von ihrem göttlichen Hintergrund abgelöst. Nichts wird in ihr gesehen als die erbarmungslose Stofflichkeit und nichts regiert in ihr als das kalte und starre Gesetz. Dieser Natur gegenüber weiß und wagt der Glaube nichts zu sagen. Sie mag schön, herrlich, gewaltig sein, aber ihre Majestät ist doch im Grunde die des toten Steines und des Eises, in dem alles Leben erfroren ist. Schon das Leben des eigenen Körpers ist dann eine unverstandene Außenwelt und der Rückzug auf die Innenwelt des Glaubens ist eine Flucht vor der sinnlosen Wirklichkeit. Es wird in der Sache nichts gebessert, sondern vielmehr verdorben, wenn wir statt dessen uns einer sentimentalen Naturschwärmerei hingeben. In drei Formen begegnet uns diese schwärmerisch unwahre Naturbetrachtung. Für viele Menschen ist die „Natur” vor allem der Ort, an dem man Stimmungen erlebt und sich dem Zauber solcher Stimmungen genießerisch hingibt. Die verständigsten Leute können in Weichheit und Rührung verfallen, wenn sie in der Wirklichkeit, aber vielleicht noch besser in Bildern rosarote Abendwölkchen oder ein Reh auf der Waldwiese oder das friedliche Dorf im Wiesental betrachten. Ach nein, sie betrachten ja gar nicht solche Erscheinungen der Natur, sondern sie betrachten bau Gefühl, das „man” angesichts einer so stimmungsvollen Szenerie hat oder zu haben meint. Was dieser sentimentalen und gefühlsseligen Naturbetrachtung (aber die Natur wird ja gar nicht betrachtet!) gänzlich fehlt, ist der Eindruck von dem überwältigenden Ernst, der strengen Größe und herben Unzulänglichkeit der wirklichen Natur. Hier ist die Natur nur ein Genußmittel, und die seelische Genußsucht holt sich das „Schöne”, „Liebliche”, „Romantische” heraus, an dem sie sich berauschen kann. Die Unwahrheit dieser Naturbetrachtung wird dadurch nicht gemindert, wenn sie sich in einem religiösen Gewand verbirgt. Als ich einmal in einem Vortrag in ähnlichem Sinn, wie es in diesem Jahrbuch geschieht, von den in der Natur auch vorhandenen Symbolen des Dämonischen gesprochen hatte, beklagte sich hernach einer meiner Hörer aufs bitterste, daß ich die Schönheit und Lieblichkeit der Natur so undankbar verkannt hätte; an einem Frühlingstag unter blühenden Obstbäumen könnten wir doch überwältigt werden von der Schönheit der Welt und von der überfließenden Gütigkeit Gottes. Ich fragte den Mann, ob er jemals einen von Raupen völlig kahlgefressenen Obstbaum gesehen habe. Die Erwähnung der Raupen warf sein ganzes romantisches Naturbild über den Haufen. Ja die Raupen! Daran habe er noch nicht gedacht. Wahrhaftig, hier ist viel, sehr viel mit staunender Ehrfurcht zu sehen; aber wer nur das sieht, hat das wahre Gesicht der Natur noch nicht gesehen. - und diese Befrachtung weiß ebensowenig, daß die Natur keineswegs nur den Lebensbedürfnissen des Menschen zweckmäßig und willfährig zu Diensten steht, sondern daß sie mit brutaler Gleichgültigkeit den Menschen und sein Werk zerstampft. Ganz naiv hat der Mensch sich zum Maß aller Dinge gemacht und hofft, die Restbestände ungebändigter Natur bis hin zu Ebbe und Flut, bis hin zu den Wassern des Hochgebirges und zu den Kräften der Sonne noch vollends seinen Zwecken zu unterwerfen. Er sieht nicht und will nicht sehen, daß ihm in der Natur zugleich die Grenze seiner Macht gesetzt ist, eine brutale Urgegebenheit, die nach ihm, seinen Freuden und Leiden, seinem Lebenshunger und seiner Todesangst nicht fragt. Eine dritte Form der Schwärmerei haben wir vielleicht als Jugend zum erstenmal gierig in uns eingesogen, als wir Schillers „Spaziergang” auf einsamen Gängen deklamierten. „O so öffnet euch, Mauern, und gebt den Gefangenen ledig,Andere unter uns hat später die gleiche Sehnsucht nach der mütterlich-heilenden Natur in der Zeit der Jugendbewegung ergriffen. Hier war die Natur die große wundersame Welt unverbrüchlicher Ordnung und ursprünglichen Lebens. Ahnend empfand die von eigenem Kampf zerrissene Seele, was Kierkegaard in seinen Beichtreden über das Geheimnis der Natur enthüllt: ihre Schönheit ist ihr Gehorsam. Sie ist ganz, was sie sein muß, kein Eigenwille und kein Dünkel stört ihre heilige Notwendigkeit, und nichts Größeres ersehnt der Mensch, als daß er gänzlich eintauchen darf in dieses naturhafte Leben, selbst blühen, wachsen und reifen wie Pflanze, Baum und Frucht. Das untrügliche Kennzeichen für die Unwirklichkeit aller solchen schwärmerischen Naturbetrachtung ist es, daß auf ihrem Boden gar nicht mehr verstanden werden kann, was die Bibel von der Natur sagt. Sie singt wohl auch, wie in dem herrlichen 104. Psalm, das Lob Gottes aus der Schönheit, Lieblichkeit und Lebensfülle der Natur, aus den Urgeheimnissen des Lichtes, aus Blitz und Donner und aus den gar nicht zweckmäßigen, sondern nur unheimlichen Ungetümen und Ungeheuern der Meerestiefe. Aber niemals verdeckt sie den Riß, der durch die Natur hindurchgeht, und sie sieht, das ist ihr letztes - oder doch ihr vorletztes? - Wort über die Natur, daß auch die Natur eine gefallene Natur ist. Sie hört das Seufzen der Kreatur, die sich mit uns Menschen einer künftigen Erlösung entgegensehnt. Niemals könnte die Bibel beten „um Erlösung von Natur”; denn sie verkündet ja vielmehr das Evangelium einer Hoffnung, die - das erst ist wirklich ihr letztes Wort - auch die Erlösung der Natur einschließt. Es muß an anderem Ort davon geredet werden, wie diese Naturbetrachtung sich in den biblischen Wunderberichten spiegelt. Wie weit entfernen wir uns von aller plump materialistischen Naturbetrachtung, aber auch von aller unwahren und sentimentalen Verfälschung der Naturwirklichkeit, wenn wir die biblische Botschaft vernehmen, daß alles, alles! durch Christus geschaffen ist, alles Christus unterworfen ist und daß Christus der Herr auch der Naturmächte ist und in erfülltem Sinn sein wird. Der Kampf um das Recht dieser biblischen Naturbetrachtung ist freilich lange Zeit auf einem unrichtigen Boden geführt worden. Wir Älteren entsinnen uns aus unserer Jugend der Versuche, gegen die Tyrannei einer jeden Glauben bedrohenden Naturwissenschaft die Bibel in einer Art christlicher Naturwissenschaft zu verteidigen. Man stritt heftig um „Entwicklung” und Weltentstehungstheorien. Man versuchte zum Beispiel durch Umdeutung der biblischen Schöpfungsgeschichte zu erweisen, daß die dort vorgetragene Anschauung über die Entstehung der Weltkörper und des irdischen Lebens keineswegs durch die moderne Naturwissenschaft widerlegt werden könne. Oder die Apologetik begab sich selbst auf das Gebiet der Naturforschung und versuchte auf deren eigenem Feld eine mit dem christlichen Glauben besser verträgliche Betrachtungsweise wissenschaftlich zu begründen. Das Wesentliche, was die Bibel und mit ihr der christliche Glaube schlechthin über die Natur zu sagen hat, trägt die Form des Gleichnisses. Für den Glauben wird die Natur zum Gleichnis, und nur in der Form des Gleichnisses kann von dein Geheimnis der Natur geredet werden, um das der Glaube weiß. Man muß freilich auch das Wort „Gleichnis” und dieses erst recht vor Mißverständnissen schützen. Die Gewohnheit des rationalen Denkens hat uns auch das Gleichnis seines eigentlichen Sinngehaltes entleert und hat daraus entweder einen rein begrifflichen Akt der Vergleichung oder aber das zufällige Spiel rhetorischer Schmuckformen gemacht. Ich darf ein paar Sätze hier wiederholen, die ich in meinem Büchlein über den Sinn des Leibes geschrieben habe. „Die Vergleichung ist ein Akt des menschlichen Denkens, in dem zwei an sich verschiedenartige Erscheinungen um gewisser Ähnlichkeiten willen zu einander in Beziehung gesetzt werden; eine solche gedankliche Vergleichung ermöglicht den Vergleich als eine beliebte rhetorische Figur, die das Eine, Fremde und Unanschauliche, schwer zu Sagende und kaum zu Beschreibende durch das Naheliegende, Vertraute, sinnlich Gegenwärtige dem Verständnis, ebenso der Anschauung wie dem Gefühl näherbringt.” Die ganze religiöse Sprache ist voll solcher bildlicher Redeweise; und umgekehrt ist die Natur eine unerschöpfliche Fundgrube verdeutlichender oder schmückender Bilder für die Bereiche des geistlichen, sittlichen oder religiösen Lebens. „Mit Gleichnis aber meinen wir etwas anderes und sehr viel Wichtigeres. Wir bezeichnen mit Gleichnis ein Stück der sinnlich-irdischen Erfahrungswelt, sofern darin ein Jenseitiges und Göttliches „erscheint”. Das, was vor Augen ist, sinnlich, sichtbar, hörbar, greifbar, gewinnt einen Bedeutungsgehalt, einen „Sinn” jenseits dieser seiner „sinnlichen” Erscheinung; es weist über sich selbst hinaus, aber nicht auf irgend ein anderes Element sinnlicher Erscheinung, sondern auf das, was jenseits aller irdischen Wirklichkeit ist; es wird zum Gefäß und Träger eines unbedingten und umfassenden Lebenssinns; es wird zum Ort, wo ein Jenseitiges und Ewiges sich offenbaren und Gestalt gewinnen will.” Gewiß finden sich unter den Gleichnissen des Neuen Testaments auch bloße Bilderreden, reine Vergleichungen, die mit einer gewissen Willkür gewählt sind und auch durch andere Beispiele oder Vergleichungen ersetzt werden können. Aber damit wird das entscheidende Anliegen des biblischen Gleichnisses nicht getroffen. Hier handelt es sich vielmehr darum, daß ganz bestimmte Elemente der irdischen Wirklichkeit durchscheinend werden für das Geheimnis des Gottesreiches. Sie sind nicht willkürlich herzugetragen, sondern sie sind selbst in einer geheimnisvollen und jeder Willkür entrückten Ordnung dazu bestimmt und berufen, daß das Göttliche und Ewige sich in ihnen bezeuge. Das ganze Jahrbuch, in das diese Zeilen einführen sollen, ist eine Ausführung dieses einen Gedankens. Um dieses Wort „Gleichnis” ist mancher Streit entbrannt. Es ist darum nicht überflüssig, noch einmal diesen Gedanken gegen ein dreifaches Mißverständnis abzugrenzen. Es handelt sich nicht um eine allegorische Deutung der Natur. Es ist das Kennzeichen der allegorischen Rede, daß sie das, was sie „eigentlich” meint, in einer Hülle des „Uneigentlichen” verbirgt. Sie redet in einer mehr oder minder leicht zu durchschauenden Geheimsprache, aber wir merken, daß wir das, was unsere Augen sehen oder unsere Ohren hören, „nur symbolisch” verstehen und unsere Aufmerksamkeit gerade auf das andere, das wir nicht unmittelbar sehen und hören, richten sollen. Wenn die Natur allegorisch, „nur symbolisch” verstanden wird, dann wird ihr unmittelbares Sein, ihre Gestaltenfülle, ihre Lebensvorgänge „entmächtigt”. Sie soll gerade das nicht sein, was sie zunächst ist; sie wird nicht ernstgenommen in ihrem naturhaften Dasein. Die Neigung dazu kennen wir sehr wohl aus ungezählten Beispielen geistlicher Naturdeutung. Wem einmal das Auge geöffnet ist für die geistigen Hintergründe der naturhaften Welt, der ist nur allzu schnell bereit, in tausend Einfällen geistiger und geistlicher Beziehungen zu schwelgen; alles und jedes, Blumen und Tiere, Sterne und Wolken werden zu Verkörperung von Ideen. Aber der Blick ist nicht auf diese Verkörperung, sondern durch sie hindurch auf solche Ideen gerichtet. Die „Erscheinung” wird zum bloßen Schein, unwesentlich und unwirklich. Dem gegenüber ist es ganz ernst gemeint, wenn Jesus uns mahnt: schauet die Lilien an, schauet die Vögel an. Die Gleichnishaftigkeit der Dinge enthüllt sich nicht dadurch, daß wir uns bei ihnen etwas denken, sondern daß wir sie anschauen und sie ernst nehmen in dem, was sie sind. Es ist kein Zufall, daß wir heute gerade an Naturphotographien diesen gleichnishaften Tiefensinn der sinnlichen Wirklichkeit „anschauen” lernen. Die Photographie zwingt uns mit schärfster Genauigkeit zu sehen und zu erkennen, was in diesen Blumen, in einer Tiergestalt, in einem Sternennebel wirklich gegeben ist. Das Licht des Glaubens verwandelt die Natur nicht in ein durchsichtiges Glas, das unseren Blick möglichst ungehemmt durch sie hindurch leitet, sondern eher in eine farbige Scheibe gleich den alten Kirchenfenstern, die, wenn die Sonne durch sie hindurchbricht, erst in ihrer geheimnisvollen Pracht aufleuchten. Zum anderen: Dieser Sinngehalt ist nicht etwa eine neue Schicht von Eigenschaften, die wir wie andere Eigenschaften an den Elementen und Gebilden der Natur erfahrungsgemäß feststellen und aufweisen können. Er ist nicht selbst wieder ein gegenständlicher Bereich. Die Anthroposophie scheint uns von dem geistigen Wesen der Pflanze oder von den Sternenmächten bisweilen zu reden, als ob das eine Naturwissenschaft höherer Ordnung wäre und als ob wir nur die rechten Erkenntnisorgane in uns ausbilden und (sozusagen wie auf einer anderen Ebene das Mikroskop) nur das Mittel solcher Geistesschau anwenden müßten, um diese tieferen Schichten der Natur zu erkennen. Dagegen möchten wir uns sehr deutlich abgrenzen. Es ist nur der Glaube, der solche Bilder schaut und sich von Gleichnissen umgeben weiß. Nur weil wir von Gott reden, reden wir von Schöpfung. Nur weil wir um Christus wissen, finden wir die Spuren seines Wesens auch in der Schöpfungswelt. Es ist eine große Gefahr, wenn wir meinen, das Wissen um das Gleichnis wie irgendwelche anderen Kenntnisse in uns tragen zu können, die uns doch im tiefsten nicht berühren. Das Gleichnis redet vielmehr von einer Bedeutsamkeit, die, wie jede Verkündigung, uns im innersten trifft, uns richtet und erschüttert, tröstet und erhebt. Immer betrifft das Gleichnis unsere eigene Existenz, unser Schicksal, unser Heil und Unheil, Leben und Tod. Es ist eine rein religiöse Kategorie, in der wir hier „schauen” und erfahren. Die evangelische Lehre, daß Brot und Wein des Sakraments nicht zur Betrachtung, sondern zum Essen und Trinken da sind, meint an einem bestimmten, ganz entscheidenden Punkt eben diesen Unterschied. Endlich: Ist das, was hier gemeint und mit stammelnden Worten angedeutet wird, „Pansymbolismus”? Das wird so oft gegen diese Betrachtung eingewendet, hier werde die ganze Natur auf eine Ebene symbolischer Bedeutung gerückt und es werde dadurch, wie durch jede Form des Pantheismus, eigentlich gerade die Freiheit des überweltlichen Gottes und die Wirklichkeit seiner Offenbarung in eine allgemeine Tiefenschau aufgelöst. Aber das ist ja gerade nicht gemeint, wo vom Gleichnis die Rede ist. Die Natur ist keineswegs in allen ihren Bereichen und Erscheinungen im gleichen Maß durchscheinend, sondern sie wird zum Wort des lebendigen Gottes an ganz bestimmtem Ort. Die Gleichnisse Jesu lassen sich nicht willkürlich mit anderen Bildern aus der Natur vertauschen. Nicht alles wird zum „Symbol”. Ja es geht ein Riß der tiefen Zwiespältigkeit auch durch die gleichnishafte Natur hindurch. Vieles wird uns viel eher zum Gleichnis des Dämonisch-Widergöttlichen, als zum Zeichen des göttlichen Heils. Nicht nur, daß uns in der welkenden Blume und dem herbstlichen Vergehen das Todesschicksal der Kreatur erschüttert oder in einem Tierauge das furchtbare Leiden der Kreatur voll Angst und Traurigkeit anblickt; nicht nur, daß die Unendlichkeit des Weltenraumes, statt die Sehnsucht nach einer jenseitigen Heimat in uns zu stärken, uns mit dem abgründigen Grauen unendlicher Leere und einer letzten kosmischen Angst erschrecken kann ; es gibt auch echte Symbole des Dämonischen in der Natur. Diese Zwiespältigkeit des Natursymbole wird uns am Feuer besonders eindringlich. Wir wüßten wahrhaftig wenig Eindrücke aus der Natur zu nennen, die uns so sehr im Innersten aufwühlen und erschüttern, wie die gewaltig zum Himmel emporzuckende Flamme; aber es ist kein Zufall, daß im Umkreis des christlichen Glaubens das Feuer niemals wirklich zum Symbol des Göttlichen geworden ist, es sei denn in der gebändigten und gereinigten Form der still leuchtenden Flamme. Darum ist auch das ergreifende Sinnbild, das die katholische Kirche in früher Morgenstunde des Ostersamstag übt, wenn sie aus dein Stein das Feuer schlägt und aus der so erweckten Flamme die Osterkerze entzündet, ein wundervoller Hinweis darauf, wie hier das naturhafte Geschehen, indem es in den Raum der Kirche hineingetragen wird, gereinigt und entsühnt und zu einem Gleichnis des göttlichen Lichtes geweiht wird. Es hat nicht den Ehrgeiz und nicht die Pflicht, einen Gedanken umfassend und systematisch zu entfalten. Es kann nur an Beispielen gezeigt werden, was mit solcher gläubigen Naturbetrachtung gemeint ist. Von vielem anderen müßte auch geredet werden, von vielem anderen hätten wir gerne geredet, wenn Raum und Kraft dazu nicht mangelten. Hier steht nun nichts von dem überschwenglichen Lob Gottes aus der Natur - freilich kein heutiges Wort könnte den Zusammenhang dieses Gotteslobes mit dem Glauben tiefer aussprechen als das eine Lutherwort, das wir eingefügt haben; hier steht nichts von dem Geheimnis des Windes und des Atems, in dem sich unser Wort formt, nichts von dem Wald, in dessen Rauschen unsere Vorväter die Stimme der Gottheit vernommen haben, nichts von Kristall und Edelstein und Gold, die in der Symbolsprache der Kirche so bedeutsam gewesen sind. Niemand weiß schmerzlicher um diese Lücken als der Herausgeber. Es können nur Beispiele sein, die gegeben werden. Aus diesen Beispielen, durch die Verschiedenheit ihres Gegenstandes, auch durch die Verschiedenheit der Sprache, des Temperaments, der Vorsicht oder Kühnheit der Verfasser hindurch mag der willige Leser doch immer das eine spüren, was uns, die wir in gemeinsamer Arbeit verbunden sind, am Herzen liegt: daß die ganze Natur in einem neuen Sinn und einer neuen Bedeutungsfülle sich vor uns breitet, wenn uns an einem Punkt das Geheimnis des Gleichnisses aufleuchtet: © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-11-27 |