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Gottesjahr 1932
von Wilhelm Stählin

LeerZum zwölften Mal darf das Gottesjahr hinausgehen und den Gruß des Herausgebers und seiner Mitarbeiter zu all den bekannten und unbekannten Freunden tragen. Was sind zwölf Jahre in dem langsamen Schritt der Geschichte! Eine kurze Frist, kaum lang genug, um ein Werk recht zu beginnen und um in regelmäßiger Wiederkehr Sitte zu bauen und ein Band fest zu knüpfen. Und doch scheinen uns zwölf Jahre eine unendlich lange Zeit in der rasenden Eile unseres Lebens, da wir von Jahr zu Jahr, ja fast von Tag zu Tag gejagt werden durch neue Gedanken und neue Aufgaben und da wir weniger als je von einem Jahr zum andern wissen, was sein wird und was wir sein werden. Wir kennen das Fieber, das uns in der schwülen Gewitter-Atmosphäre dieser Jahre immer wieder befallen möchte. Wir spüren erzitternd die Not der Leiber und der Seelen, leiden mit unter der lähmenden Freudlosigkeit und Hoffnungslosigkeit und wir wissen, wie armselig und ohnmächtig all unser Wort und all unser Tun dieser Riesennot gegenüber ist. Etwas Außerordentliches müßte geschehen, ein ganz neuer Anfang müßte gemacht werden, der Sturmwind und Feuerbrand einer neuen Geistesausgießung müßte über uns kommen.

LeerAber solchen neuen Anfang zu machen steht nicht in unserer Hand. Der Rausch, der eine unerhörte Zeitenwende sich und anderen vortäuscht, weil er sie ersehnt, kann, wenn wir wieder nüchtern werden, nur umso grausamer uns in unsere Ohnmacht und Schwäche beugen. Was uns zukommt, ist die Stärke unseres Werkes und die Treue in unserem bescheidenen Dienst. Es ist ein Geschenk, für das wir nicht dankbar genug sein können, wenn wir durch die Reihe der Jahre an einem Werke stehen dürfen, wenn wir auf einem Wege weitergehen und an einem und demselben Bau Stein zu Stein fügen dürfen. Wir bändigen die Ungeduld und Unrast, die nach neuen Plänen schielt. Wir zwingen uns selbst zur Treue und mahnen unsere Freunde zur Treue und z» stetiger Geduld. Es ist gewiß nichts Großes, sondern ein sehr bescheidener Dienst, daß ein Kreis von Freunden Jahr um Jahr dies unser Jahrbuch gestaltet. Was an Hilfe und Segen daraus erwächst, steht keines Menschen Auge und wir dürfen nicht darnach fragen. Aber wir sind dankbar, daß diese Arbeit uns durch die Jahre begleitet, und wir möchten sie nicht mehr entbehren. Und wie diese Aufgabe regelmäßig wieder zu bestimmter Zeit den Herausgeber und seine Mitarbeiter an die Arbeit ruft und wie das „Gottesjahr” in kaum veränderter Gestalt, mit den gleichen Namen und im wesentlichen immer den gleichen Anliegen zu den Lesern kommt, das möge uns allen ein liebes Sinnbild sein für die Stärke des Werkes und die unverdrossene Treue, die hundertmal besser und stärker ist als die nervöse Unruhe, die immer nach Neuem giert.

LeerWir alle gehen mit schweren Sorgen und ungelösten Fragen für uns und für unser armes Volk in das neue Jahr. Aber wir sind nicht ohne Licht und nicht ohne Weisung. Es ist an uns, daß wir das Licht in den Raum unseres Lebens tragen und daß wir treu sind auf dem Weg, auf den wir gewiesen sind. Wir grüßen einander wie in allen diesen Jahren mit dem einen Wunsch, daß uns das Jahr 1932 ein Gottesjahr werde. Aber der Wunsch ist zugleich die Mahnung, daß wir es für uns werden lassen, was es gewiß nach Gottes Willen, wie alle seine Jahre, ist, ein Jahr des Heils.

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LeerUnser Monatswerk kehrt kaum merklich verändert wieder. Der Herausgeber ist dankbar für all die Grüße bekannter und unbekannter Leser, die sich zu dem Wert dieses Monatswerks, der Wochensprüche und der Gedenktage bekennen. - Es ist im vorigen Jahr begründet worden, warum wir nicht den Ehrgeiz haben, in jedem Jahr eine neue Auswahl von Wochensprüchen zu bieten. Die meisten Wochensprüche sind die gleichen geblieben wie im „Gottesjahr 1931”. Einige wenige sind durch andere Worte ersetzt worden, die, wie wir meinen, noch treffender, noch eindringlicher und vor allem noch bildhafter das sagen, was sie uns sagen wollen. Wir möchten wohl gerne, daß wir im Lauf der Jahre zu einer Reihe bewährter Worte kommen, an der nichts mehr oder doch kaum mehr etwas geändert werden muß. Das wird freilich denen leid sein, die sich immer nur zu neuen Gedanken anregen lassen wollen und deren flüchtiger Blick nur von dem Fremden und Überraschenden noch gefesselt wird. Aber es wird allen denen lieb sein, die um den Segen langsamer, bedächtiger und besinnlicher Betrachtung wissen. Wann wären wir jemals „fertig” mit einem solchen Wort wie dem Christuswort: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen” oder dem Wort von dem ängstlichen Harren der Kreatur oder von den Engeln, die ausgesandt sind zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeif? Wir müssen uns nur um der Schwachheit unseres Fleisches willen immer wieder mahnen lassen treu zu sein in der täglichen Versenkung in den Wochenspruch. und wir müssen uns üben in diesem besinnlichen, „meditativen” Denken, das uns erst richtig Tiefe und Geheimnis dieser Worte erschließt.

LeerAlljährlich, wenn wir die Leitworte für dir einzelnen Sonntage und ihre Wochen zusammenstellen, sehen wir uns wieder einer Schwierigkeit gegenüber, von der in diesen Jahrbüchern schon mehr als einmal die Rede war. Es mangelt uns an einer durchgreifenden Ordnung des Kirchenjahrs, die dem einzelnen Sonntag seinen festen Sinn und Ort in dem Rhythmus des ganzen Jahreskreises anweist. An verschiedenen Stellen in der liturgischen Bewegung wird heute daran gearbeitet, diese Frage zu klären und einer besseren und gründlicheren Ordnung des Kirchenjahres den Weg zu bereiten. Aber die Dinge sind noch ganz im Fluß und es kann heute noch nichts Endgültiges darüber gesagt werden, welche Vorschläge aus dieser Arbeit erwachsen werden. Nur zweierlei hat sich im Lauf dieser Jahre uns und nicht uns allein aufgedrängt. Bei aller Ehrfurcht vor den alten Sonntagsnamen werden die Sonntage kaum jemals wieder unter diesen unverständlichen lateinischen Namen Estomihi, Okuli, Miserikordias Domini und Exaudi und unter der gänzlich farblosen Bezifferung der Trinitatissonntage unserem deutschen Kirchenvolk lebendig und vertraut werden. Wir suchen nach kurzen, verständlichen, bildhaften Bezeichnung der Sonntage, wie der „Sonntag des guten Hirten” oder der „Sonntag des barmherzigen Samariters”.

LeerDabei werden wir freilich nicht bei dem Jahrweiser der Deutschkirche in die Schule gehen dürfen und etwa von dem Sonntag Seidelbast und Haselreis, dem Sonntag Regentrude und Altweibersommer reden, sondern wir werden die Sonntagsnamen aus dem Sprach- und Bilderschatz der Bibel und der kirchlichen Sitte schöpfen und dadurch nicht nur den Zusammenhang mit dem Ganzen der Kirche wahren, sondern auch manches dieser traditionsverstaubten Worte ganz neu beleben.

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LeerEbenso aber haben wir von Jahr zu Jahr mehr das Bedürfnis empfunden, in einer neuen Ordnung des Kirchenjahres uns so eng als möglich an die alten Perikopen, die vom frühen Mittelalter her für die einzelnen Sonntage kirchlich verordneten Evangelien und Episteln, anzuschließen. Vielen Kreisen unserer Kirche sind diese alten Perikopen lieb und vertraut und wo man mit ihnen verwachsen ist - sie stehen ja auch in jedem Gesangbuch verzeichnet - da knüpfen sie zugleich ein Band mit einem sehr großen Teil der ganzen Christenheit. Wir haben uns für das neue Gottesjahr ganz besonders bemüht diesen alten und ehrwürdigen Lesestücken, insbesondere den Sonntagsevangelien Rechnung zu tragen, und es besteht jetzt im Gottesjahr 1932, ohne daß wir die Ordnung des Kirchenjahres, wie wir sie im Gottesjahr 1928 entwickelt haben, grundsätzlich preisgegeben hätten, bei weitaus den meisten Sonntagen eine enge und deutliche Beziehung zwischen dem Wochenspruch und dem alten Sonntagsevangelium.

LeerEs sind überhaupt nur noch die Sonntage Septuagesimae, Okuli und Judika, bei denen aus bestimmten Gründen eine solche Beziehung nicht möglich schien. An den Sonntagen Quasimodogeniti, 6., 7., 17. und 23. nach Trinitatis ist der Wochenspruch mit der Epistel, an allen anderen Sonntagen, soweit sie nicht durch besondere Festtage wie Michaelis, Erntefest, Reformationsfest einen anderweitigen Charakter bekommen, mit dem Evangelium innerlich verwandt und darauf bezogen, vielleicht ist es manchen unserer Leser kaum begreiflich, warum der Kalendermann und mit ihm Pfarrer Spieker-Hamburg darauf so viel Nachdenken und Mühe verwendet haben; andere werden es uns danken und werden sich mit uns freuen, wenn auch hier neue sinnvolle Ordnung mit alter kirchlicher Sitte sich lebensvoll verknüpft.

LeerDas im vorigen Gottesjahr angekündigte Buch, das zu täglicher Andacht für den Einzelnen und für den Familienkreis Anleitung und Hilfe geben soll, ist noch nicht erschienen, und wir müssen vielleicht noch für mehr als ein Jahr um Geduld bitten. Die Aufgabe ist uns so brennend wie nur je. Aber die äußeren und inneren Schwierigkeiten fordern gründlichste Überlegung, damit wir wirklich nur Ausgereiftes und Erprobtes in die Hände legen, die sich nach einer solchen Hilfe ausstrecken. - Umso mehr verweise ich auch in diesem Jahrbuch auf die von der Berneuchener Konferenz herausgegebene und in deren Auftrag von Pfarrer Spieker-Hamburg bearbeitete Bibellese. Sie erscheint vom Beginn des Kirchenjahres 1931/32 an im Rahmen der „Jahresbriefe” des Berneuchener Kreises. Diese Jahresbriefe sollen sechsmal im Jahr zu Beginn der einzelnen Abschnitte des Kirchenjahres erscheinen unter Schriftleitung von Pfarrer Lic. Wilhelm Thomas, der den Lesern des Gottesjahres wohlbekannt ist. Diese Jahresbriefe sollen eine Hilfe zum sinnvollen Erleben und Gestalten der Kirchenjahreszeiten, Hilfe auch zu eindringendem Verständnis der Bibel bieten und zugleich die ganze Arbeit des Berneuchener Kreises in das Gesamtgeschehen der Zeit hineinstellen und ein klärendes und richtunggebendes Wort zu den uns bewegenden Fragen der Kirche und des öffentlichen Lebens sagen. Wir hoffen, daß diese Jahresbriefe mehr als das sehr bescheidene Mitteilungsblatt alle diejenigen verbinden werden, die durch die Arbeit der Berneuchener irgendwie angeregt gerne diese Verbindung weiter pflegen und enger gestalten möchten. Man bestellt die Jahresbriefe, die für das ganze Jahr einschließlich Porto Mk. 4.- kosten sollen, durch die Buchhandlungen oder direkt beim Bärenreiter-Verlaq in Kassel.

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LeerEine kleine Änderung im Monatswerk bedarf einer kurzen Begründung. Aufmerksame Leser entdecken wohl, daß die Zahl der Gedenktage vermindert ist und daß mit ganz wenigen Ausnahmen für jeden Tag nur mehr ein Name sich der Erinnerung darbietet. Es waren bisher nicht wenige Männer doppelt verzeichnet, an ihrem Geburtstag und an ihrem Todestag, ohne daß es sich rechtfertigen ließe, warum gerade diese Namen in solcher Weise ausgezeichnet wurden. Diese Doppelbenennungen sind mit ganz wenigen Ausnahmen beseitigt. Ebenso sind eine Reihe von Namen gestrichen, die mehr der allgemeinen Kulturgeschichte als der Geschichte des Christentums angehören und deren Aufnahme in diesen Kalender darum manchen Anstoß bereitet hat. Damit soll gewiß nicht der Gesichtskreis verengt und die tiefe Verflochtenheit der Kirchengeschichte mit der Geschichte des abendländischen Geistes auch in seiner naturwissenschaftlichen oder in seiner politischen Ausprägung verwischt werden. Aber es soll der Sinn dieses Monatswerkes mit seinen Gedenktagen deutlicher hervortreten. Es ist nicht die Aufgabe dieses Kalenders, möglichst viele Gedächtnistage hervorzuheben. Dafür gibt es genug Hilfsmittel.

LeerSondern er will dazu aufrufen und dazu anleiten, an jedem Tag eines Menschen, eines Ereignisses besonders zu gedenken und sich darüber zu besinnen, wie hier das eine Licht der göttlichen Wahrheit in einer besonderen Farbe widerstrahlt. Es steht nun wohl kaum mehr ein Name an einem der 366 Tage, der nicht in seiner besonderen Weise dazu helfen könnte, die Fülle der Offenbarung, die Wege Gottes mit den Menschen, die Früchte des Christusgeistes in menschlichem Leben und menschlichem Werk vor unserer Seele lebendig zu machen. Vielleicht hat gerade die Vielzahl der Namen bisher manchen abgehalten, die einzelnen Namen wirklich zu beachten. Daß wir sparsamer geworden sind mit Nennung von Namen möchte jedem einzelnen Namen ein größeres Gewicht geben, und es wird niemand ohne Segen sich die Mühe machen, diese Namen und das, woran sie erinnern, aufmerksam zu beachten und vielleicht auch im Familienkreise davon zu erzählen. Der „lebendige Kalender”, den unser verstorbener Freund Christian Geyer für die Leser des Gottesjahres herausgegeben hat, ist auch heute eine gute erste Hilfe für solche, denen einzelne Namen, vielleicht auch viele Namen, fremd sind.

LeerDas Gottesjahr ist das Jahrbuch des Berneuchener Kreises. So darf denn hier schließlich auch ein Wort gesagt werben über den Sinn dieser unserer Berneuchener Bewegung überhaupt. Wir wollen in entschiedener Liebe zur Kirche mitarbeiten an der Gestalt einer wahrhaft evangelischen Kirche. Wir sind keine theologische Schule. Teilzuhaben an dem Leben der Kirche und selbst in unserem Kreis Kirche zu sein, ist uns wichtiger als theologische Debatten, von denen unsere nichttheologischen Freunde sich so oft belastet fühlen. Jedermann, dem diese Arbeit zum Beispiel durch das Gottesjahr lieb geworden ist, jedermann, der das Vertrauen gefaßt hat, daß hier ernsthaft Kirche gesucht und Kirche gebaut wird, ist herzlich eingeladen, sich diesem Kreis als Mitglied anzuschließen. Die Mitglieder zahlen einen Jahresbeitrag von Mk. 10.- und erhalten dafür portofrei zugesandt die Jahresbriefe und das Gottesjahr. Sie erhalten außerdem einen billigeren Preis bei den von dem Berneuchener Kreis veranstalteten Tagungen und Freizeiten. Es wäre uns nicht nur eine Freude, sondern auch eine fühlbare äußere .Hilfe, wenn möglichst viele der alten und neuen Freunde des Gottesjahrs sich diesem Kreise anschließen würden. Man meldet sIch bei Pfarrer Dr. Ritter-Marburg oder bei dem Herausgeber des Gottesjahrs.

Das Gottesjahr 1932, S. 17-22
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-27
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