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von Wilhelm Stählin |
Zum zwölften Mal darf das Gottesjahr hinausgehen und den Gruß des Herausgebers und seiner Mitarbeiter zu all den bekannten und unbekannten Freunden tragen. Was sind zwölf Jahre in dem langsamen Schritt der Geschichte! Eine kurze Frist, kaum lang genug, um ein Werk recht zu beginnen und um in regelmäßiger Wiederkehr Sitte zu bauen und ein Band fest zu knüpfen. Und doch scheinen uns zwölf Jahre eine unendlich lange Zeit in der rasenden Eile unseres Lebens, da wir von Jahr zu Jahr, ja fast von Tag zu Tag gejagt werden durch neue Gedanken und neue Aufgaben und da wir weniger als je von einem Jahr zum andern wissen, was sein wird und was wir sein werden. Wir kennen das Fieber, das uns in der schwülen Gewitter-Atmosphäre dieser Jahre immer wieder befallen möchte. Wir spüren erzitternd die Not der Leiber und der Seelen, leiden mit unter der lähmenden Freudlosigkeit und Hoffnungslosigkeit und wir wissen, wie armselig und ohnmächtig all unser Wort und all unser Tun dieser Riesennot gegenüber ist. Etwas Außerordentliches müßte geschehen, ein ganz neuer Anfang müßte gemacht werden, der Sturmwind und Feuerbrand einer neuen Geistesausgießung müßte über uns kommen. Aber solchen neuen Anfang zu machen steht nicht in unserer Hand. Der Rausch, der eine unerhörte Zeitenwende sich und anderen vortäuscht, weil er sie ersehnt, kann, wenn wir wieder nüchtern werden, nur umso grausamer uns in unsere Ohnmacht und Schwäche beugen. Was uns zukommt, ist die Stärke unseres Werkes und die Treue in unserem bescheidenen Dienst. Es ist ein Geschenk, für das wir nicht dankbar genug sein können, wenn wir durch die Reihe der Jahre an einem Werke stehen dürfen, wenn wir auf einem Wege weitergehen und an einem und demselben Bau Stein zu Stein fügen dürfen. Wir bändigen die Ungeduld und Unrast, die nach neuen Plänen schielt. Wir zwingen uns selbst zur Treue und mahnen unsere Freunde zur Treue und z» stetiger Geduld. Es ist gewiß nichts Großes, sondern ein sehr bescheidener Dienst, daß ein Kreis von Freunden Jahr um Jahr dies unser Jahrbuch gestaltet. Was an Hilfe und Segen daraus erwächst, steht keines Menschen Auge und wir dürfen nicht darnach fragen. Aber wir sind dankbar, daß diese Arbeit uns durch die Jahre begleitet, und wir möchten sie nicht mehr entbehren. Und wie diese Aufgabe regelmäßig wieder zu bestimmter Zeit den Herausgeber und seine Mitarbeiter an die Arbeit ruft und wie das „Gottesjahr” in kaum veränderter Gestalt, mit den gleichen Namen und im wesentlichen immer den gleichen Anliegen zu den Lesern kommt, das möge uns allen ein liebes Sinnbild sein für die Stärke des Werkes und die unverdrossene Treue, die hundertmal besser und stärker ist als die nervöse Unruhe, die immer nach Neuem giert. Wir alle gehen mit schweren Sorgen und ungelösten Fragen für uns und für unser armes Volk in das neue Jahr. Aber wir sind nicht ohne Licht und nicht ohne Weisung. Es ist an uns, daß wir das Licht in den Raum unseres Lebens tragen und daß wir treu sind auf dem Weg, auf den wir gewiesen sind. Wir grüßen einander wie in allen diesen Jahren mit dem einen Wunsch, daß uns das Jahr 1932 ein Gottesjahr werde. Aber der Wunsch ist zugleich die Mahnung, daß wir es für uns werden lassen, was es gewiß nach Gottes Willen, wie alle seine Jahre, ist, ein Jahr des Heils. Alljährlich, wenn wir die Leitworte für dir einzelnen Sonntage und ihre Wochen zusammenstellen, sehen wir uns wieder einer Schwierigkeit gegenüber, von der in diesen Jahrbüchern schon mehr als einmal die Rede war. Es mangelt uns an einer durchgreifenden Ordnung des Kirchenjahrs, die dem einzelnen Sonntag seinen festen Sinn und Ort in dem Rhythmus des ganzen Jahreskreises anweist. An verschiedenen Stellen in der liturgischen Bewegung wird heute daran gearbeitet, diese Frage zu klären und einer besseren und gründlicheren Ordnung des Kirchenjahres den Weg zu bereiten. Aber die Dinge sind noch ganz im Fluß und es kann heute noch nichts Endgültiges darüber gesagt werden, welche Vorschläge aus dieser Arbeit erwachsen werden. Nur zweierlei hat sich im Lauf dieser Jahre uns und nicht uns allein aufgedrängt. Bei aller Ehrfurcht vor den alten Sonntagsnamen werden die Sonntage kaum jemals wieder unter diesen unverständlichen lateinischen Namen Estomihi, Okuli, Miserikordias Domini und Exaudi und unter der gänzlich farblosen Bezifferung der Trinitatissonntage unserem deutschen Kirchenvolk lebendig und vertraut werden. Wir suchen nach kurzen, verständlichen, bildhaften Bezeichnung der Sonntage, wie der „Sonntag des guten Hirten” oder der „Sonntag des barmherzigen Samariters”. Dabei werden wir freilich nicht bei dem Jahrweiser der Deutschkirche in die Schule gehen dürfen und etwa von dem Sonntag Seidelbast und Haselreis, dem Sonntag Regentrude und Altweibersommer reden, sondern wir werden die Sonntagsnamen aus dem Sprach- und Bilderschatz der Bibel und der kirchlichen Sitte schöpfen und dadurch nicht nur den Zusammenhang mit dem Ganzen der Kirche wahren, sondern auch manches dieser traditionsverstaubten Worte ganz neu beleben. Es sind überhaupt nur noch die Sonntage Septuagesimae, Okuli und Judika, bei denen aus bestimmten Gründen eine solche Beziehung nicht möglich schien. An den Sonntagen Quasimodogeniti, 6., 7., 17. und 23. nach Trinitatis ist der Wochenspruch mit der Epistel, an allen anderen Sonntagen, soweit sie nicht durch besondere Festtage wie Michaelis, Erntefest, Reformationsfest einen anderweitigen Charakter bekommen, mit dem Evangelium innerlich verwandt und darauf bezogen, vielleicht ist es manchen unserer Leser kaum begreiflich, warum der Kalendermann und mit ihm Pfarrer Spieker-Hamburg darauf so viel Nachdenken und Mühe verwendet haben; andere werden es uns danken und werden sich mit uns freuen, wenn auch hier neue sinnvolle Ordnung mit alter kirchlicher Sitte sich lebensvoll verknüpft. Das im vorigen Gottesjahr angekündigte Buch, das zu täglicher Andacht für den Einzelnen und für den Familienkreis Anleitung und Hilfe geben soll, ist noch nicht erschienen, und wir müssen vielleicht noch für mehr als ein Jahr um Geduld bitten. Die Aufgabe ist uns so brennend wie nur je. Aber die äußeren und inneren Schwierigkeiten fordern gründlichste Überlegung, damit wir wirklich nur Ausgereiftes und Erprobtes in die Hände legen, die sich nach einer solchen Hilfe ausstrecken. - Umso mehr verweise ich auch in diesem Jahrbuch auf die von der Berneuchener Konferenz herausgegebene und in deren Auftrag von Pfarrer Spieker-Hamburg bearbeitete Bibellese. Sie erscheint vom Beginn des Kirchenjahres 1931/32 an im Rahmen der „Jahresbriefe” des Berneuchener Kreises. Diese Jahresbriefe sollen sechsmal im Jahr zu Beginn der einzelnen Abschnitte des Kirchenjahres erscheinen unter Schriftleitung von Pfarrer Lic. Wilhelm Thomas, der den Lesern des Gottesjahres wohlbekannt ist. Diese Jahresbriefe sollen eine Hilfe zum sinnvollen Erleben und Gestalten der Kirchenjahreszeiten, Hilfe auch zu eindringendem Verständnis der Bibel bieten und zugleich die ganze Arbeit des Berneuchener Kreises in das Gesamtgeschehen der Zeit hineinstellen und ein klärendes und richtunggebendes Wort zu den uns bewegenden Fragen der Kirche und des öffentlichen Lebens sagen. Wir hoffen, daß diese Jahresbriefe mehr als das sehr bescheidene Mitteilungsblatt alle diejenigen verbinden werden, die durch die Arbeit der Berneuchener irgendwie angeregt gerne diese Verbindung weiter pflegen und enger gestalten möchten. Man bestellt die Jahresbriefe, die für das ganze Jahr einschließlich Porto Mk. 4.- kosten sollen, durch die Buchhandlungen oder direkt beim Bärenreiter-Verlaq in Kassel. Sondern er will dazu aufrufen und dazu anleiten, an jedem Tag eines Menschen, eines Ereignisses besonders zu gedenken und sich darüber zu besinnen, wie hier das eine Licht der göttlichen Wahrheit in einer besonderen Farbe widerstrahlt. Es steht nun wohl kaum mehr ein Name an einem der 366 Tage, der nicht in seiner besonderen Weise dazu helfen könnte, die Fülle der Offenbarung, die Wege Gottes mit den Menschen, die Früchte des Christusgeistes in menschlichem Leben und menschlichem Werk vor unserer Seele lebendig zu machen. Vielleicht hat gerade die Vielzahl der Namen bisher manchen abgehalten, die einzelnen Namen wirklich zu beachten. Daß wir sparsamer geworden sind mit Nennung von Namen möchte jedem einzelnen Namen ein größeres Gewicht geben, und es wird niemand ohne Segen sich die Mühe machen, diese Namen und das, woran sie erinnern, aufmerksam zu beachten und vielleicht auch im Familienkreise davon zu erzählen. Der „lebendige Kalender”, den unser verstorbener Freund Christian Geyer für die Leser des Gottesjahres herausgegeben hat, ist auch heute eine gute erste Hilfe für solche, denen einzelne Namen, vielleicht auch viele Namen, fremd sind. Das Gottesjahr ist das Jahrbuch des Berneuchener Kreises. So darf denn hier schließlich auch ein Wort gesagt werben über den Sinn dieser unserer Berneuchener Bewegung überhaupt. Wir wollen in entschiedener Liebe zur Kirche mitarbeiten an der Gestalt einer wahrhaft evangelischen Kirche. Wir sind keine theologische Schule. Teilzuhaben an dem Leben der Kirche und selbst in unserem Kreis Kirche zu sein, ist uns wichtiger als theologische Debatten, von denen unsere nichttheologischen Freunde sich so oft belastet fühlen. Jedermann, dem diese Arbeit zum Beispiel durch das Gottesjahr lieb geworden ist, jedermann, der das Vertrauen gefaßt hat, daß hier ernsthaft Kirche gesucht und Kirche gebaut wird, ist herzlich eingeladen, sich diesem Kreis als Mitglied anzuschließen. Die Mitglieder zahlen einen Jahresbeitrag von Mk. 10.- und erhalten dafür portofrei zugesandt die Jahresbriefe und das Gottesjahr. Sie erhalten außerdem einen billigeren Preis bei den von dem Berneuchener Kreis veranstalteten Tagungen und Freizeiten. Es wäre uns nicht nur eine Freude, sondern auch eine fühlbare äußere .Hilfe, wenn möglichst viele der alten und neuen Freunde des Gottesjahrs sich diesem Kreise anschließen würden. Man meldet sIch bei Pfarrer Dr. Ritter-Marburg oder bei dem Herausgeber des Gottesjahrs. Das Gottesjahr 1932, S. 17-22 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-11-27 |