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von Christian Geyer |
Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, daß eben in der Zeit, wo sich die Psychologie wieder auf die Seele besinnt und der Gedanke des Fortlebens über das Grab hinaus wieder beginnt ernst genommen zu werden, manche Theologen die Unsterblichkeit aus der Glaubenslehre entfernen und für ein religiös ziemlich belangloses Anliegen der Anthropologie erklären. Es gibt eben nicht nur Kleidermoden, sondern es kann plötzlich einmal außer Brauch kommen, etwas ernst zu nehmen, worüber sich vorausgegangene Geschlechter abgekämpft und zersonnen haben. Ich erinnere mit an ein Gespräch mit einem hochbegabten Külpeschüler, das ich vor reichlich zwanzig Jahren hatte. Ich fragte ihn, was die moderne Psychologie denn über die Seele selbst zu sagen habe. Er antwortete, daß die Frage, ob es eine Seele gebe, außerhalb der Psychologie falle. Diese könne nur konstatieren, daß Seele ein „Grenzbegriff” sei, also eine unbekannte Größe, mathematisch ausgedrückt ein X, das sie in ihre Rechnung einsetze, ohne über sie etwas auszusagen. Die Psychologie behaupte weder, daß es eine Seele gebe, noch daß es sie nicht gebe. Sie bearbeite lediglich die Erscheinungen des Lebens, die wir als seelisch zu benennen gewohnt seien. Ich hatte eigentlich vor, meinen Psychologen nach der Unsterblichkeit der Seele zu fragen. Ich ersparte mir das aber. Denn wenn die Psychologie nicht einmal über die Existenz der Seele etwas sagen kann, so wird sie noch viel weniger etwas über deren Fortleben zu behaupten wagen. Es war nicht lange nach diesem Gespräch, daß ich zum erstenmal Platos „Phädon” las, der den mit Gesprächen über die Unsterblichkeit der Seele ausgefüllten letzten Lebenstag des zum Giftbecher verurteilten Sokrates schildert. O wie glücklich, so dachte ich damals, waren doch diese „Heiden”, die mit leichter Mühe die in ihnen aufsteigenden Zweifel über das Fortleben überwanden und an ihrem sterbenden Meister erlebten, wie frei und groß ein Mensch sterben kann, dem die Unsterblichkeit nicht ein Problem, sondern eine Gewißheit ist. Zu dem ergreifendsten, was ich überhaupt jemals gelesen habe, gehört jene Stelle gegen den Schluß des Dialogs, wo Kriton Sokrates fragt: „Auf welche Weise sollen wir dich bestatten?” Da antwortet der Meister: „Wie ihr wollt, wenn ihr mich nur erhaschen könnt und ich euch nicht entwische!” „Er lächelte dabei mild, sah uns an und sagte: O ihr Männer! den Kriton überzeuge ich nicht davon, daß ich hier Sokrates bin, ich, der ich nun spreche, der ich diese ganze Rede geordnet habe. Er wähnt, daß ich derjenige sei, den er nun bald als Leiche sehen wird, und fragt, wie er mich bestatten soll. Alles, worüber ich nun schon lang geredet habe, daß, sobald ich das Gift werde getrunken haben, ich nicht unter euch verweilen, sondern mich eilend davon machen werde, hin zu den Seligkeiten der Abgeschiedenen, das alles scheine ich ihm umsonst zu sagen, und nur um sowohl mich zu trösten als auch euch. Wollet daher für mich beim Kriton eine Bürgschaft leisten, die das Gegenteil von derjenigen sei, die er bei den Richtern für mich übernahm. Denn er bürgte dafür, daß ich hier bleiben werde. Bürget ihr nun dagegen dafür, daß ich nicht hier bleiben, sondern, sobald ich gestorben bin, eilend davongehen werde, auf daß Kriton meinen Tod leichter ertragen, und wenn er meinen verbrannten oder begrabenen Leib nicht mehr sehen wird, nicht mich beklagen möge, als widerführe mir etwas Schreckliches; auch bei der Bestattung nicht sagen möge: nun stelle er den S o k r a t e s aus, nun lasse er i h n hinaustragen und begraben. Denn wissen müssest du, o bester Kriton, daß so zu reden nicht schön sei, nicht allein, weil es der Sache selbst nicht angemessen ist, sondern auch weil es einen Schaden in der Seele zurückläßt. Vielmehr geziemt es sich, getrost zu sein, zu sagen, daß man meinen Leib bestatte, und dann diesen zu bestatten, wie es dir gefällt und wie der Gebrauch es erfordern mag.” Dann wäre für den Schächer das Heute nach Jahrtausenden noch nicht eingetreten, und Paulus müßte noch lange auf das Sein bei Christus warten. Wahrhaftig, es ist nicht notwendig, jede verrückte Mode mitzumachen, im Theologischen so wenig wie in der Kleider- und Haartracht! Wenn die Christen der Frühzeit die Leichen ihrer Angehörigen in den „Schlafkammern” ihrer Begräbnisplätze beisetzen, dann schrieben sie Worte der Hoffnung darauf, ohne peinlich zwischen Unsterblichkeit und Auferstehung zu unterscheiden; denn ihr Glaube umfaßte beides. Wenn gegen die erstere geltend gemacht wird, daß die Seele nur in Verbindung mit einem Leibe leben könne, so bedeutet dieser Einwand nichts im Blick auf Christen, denen die Existenz von Geistern, als welche sie sich die Engel vorstellten, gewiß war. Die Auferstehung wurde aber von ihnen nicht so verstanden, als ob der Auferstehungsleib mit dem gegenwärtigen Erdenleib identisch sein müsse. Wir wollen nun aber, nachdem wir das Recht des Unsterblichkeitsglaubens betont haben, auf seine Schranke hinweisen. Es ist damit, daß das Fortleben der Seele über den Tod hinüber eine Gewißheit ist, nichts über die Art dieses Lebens gesagt. Man muß leben, um fortleben zu können. Ist aber das gegenwärtige Leben in Wahrheit ein Vegetieren, dann eröffnet sich nur die traurige Aussicht eines Fortvegetierens. Wie der Wunsch des Fortlebendürfens, so hat auch die Angst des Fortlebenmüssens die Jenseitsanschauungen beeinflußt, sie hier gestützt und dort untergraben. Wer einmal in den Schriften Swedenborgs, den Goethe den gewürdigten Seher unserer Zeit nannte, gelesen hat, kennt jenen seltsamen Zug, daß die Geister der Verstorbenen drüben gerade so weiterleben, wie sie es hier gewöhnt waren. Die andere Welt ist so sehr eine Fortsetzung dieser , daß die unerleuchteten Geister nichts davon ahnen, daß sie gestorben seien. Es genügt keineswegs, nur zu sterben, um in den Himmel zu kommen, und weder hier noch dort gibt es einen anderen Weg zur Seligkeit, als den des Gerichts und der Gnade Gottes. Der Unsterblichkeitsgläubige wohnt zunächst nur in einer weiteren Welt, von der diese unsere sinnlich wahrnehmbare eine Provinz ist. Für unser Schicksal ist aber nicht die Welt entscheidend, in der wir uns wissen, sondern ob uns in ihr der Strahl der Sonne erreicht, von der allein ewiges Leben bewirkt wird. Das Gottesjahr 1928, S. 82-84 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-13 |