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von Anna Schieber |
Was ist beides? Was sind das für Dinge? oder was für Begriffe? was für Wirklichkeiten? Die Menschen erfinden Namen für Unnennbares. Sie sagen: Vergänglichkeit, Zeit, Ewigkeit, Leben, Tod. Und sie wissen nicht, was sie damit nennen. Sie meinen den eigenen kleinen Ausschnitt aus dem Ungeheuren, das winzige Teil, das ihr Ich meint, ihr Selbst, das den von ihnen selbst verliehenen Namen trägt, wenn es die großen Dinge nennt, die nicht mehr Dinge sind. Was ist das: Zeit? Es wird ein Kind gezeugt und schläft und wächst im Leibe der Mutter und trinkt ihr Blut und Wesen und pocht an das Tor des Lebens, und wird geboren. Und war das Zeit, solange es im Dunkel schon atmete und sich ernährte und wuchs? Aber was ist das: Zeit? Es sagte ein alter Mann zu mir, der sich der Grenze näherte, der Grenze, die wir Tod nennen: es wird allmählich Ernst, ich sehe den Ernst sich nähern. Und ich mußte nach einer Schweigeweile sagen: „Und ist es denn nicht immer Ernst gewesen? Beginnt der Ernst erst da, wo das Nichtwissen beginnt, das Noch-nicht-Gewußte?” Er seufzte ein wenig und nickte dazu, denn es war so bei ihm, daß er immer gedacht hatte, „es” habe noch „Zeit”. Es gibt ganze Lehrgebäude über die Frage: Zeit und Ewigkeit. Es gibt theologische Bücher und Dogmen und Streit und Widerstreit über diese Frage. Davon verstehe ich nichts. Es wird wohl ein Müssen sein, eine Anlage im Menschsein, daß viele sich damit quälen müssen, wie diese Begriffe sich zueinander verhalten. Die Kindgewordenen, die Menschen des Jasagens, des großen Vertrauens, müssen das nicht mehr tun. Die Unerlösten müssen es. Es ist wie beim „Kind-Gottes-sein”. Alle sind es, aber wissen's nicht alle. Es ist immer Ewigkeit; wir leben alle darin, aber wir wissen's nicht alle. Es wird ein Stück Sündenfall sein, daß wir Grenzen ziehen mußten zwischen der Ewigkeit und uns, und daß wir die Augen nicht mehr offen haben für ihren Glanz. Daß wir wie Blinde mitten im Licht dunkel gehen müssen. Einmal in einem tiefen Leide schrieb mir eine feine Freundeshand nur die Worte: „Ich glaube an das ewige Leben”. Damals verstand ich die Worte nicht. Ich wußte nicht, ob ich auch dran glaube. Nun ist es längst anders geworden. Nun weiß ich, daß das ewige Leben nicht über dem tiefen Graben liegt, den wir Tod heißen. Nun weiß ich, daß es durch alle unsere Tage rinnt, und immer war, und immer sein wird. W i e es sein wird, weiß ich nicht - ich meine, wie es sein wird für mich oder uns - dann einmal, wenn sie uns hier aus der Liste der Lebendigen gestrichen haben. Wenn die Freunde uns „in der Ewigkeit angelangt” glauben. Das ist eine Sache für sich. Sie ist aber von da an nicht mehr so wichtig, wo man sich schon hier im ewigen Leben weiß. Oder, um bei der Fassung zu bleiben: in der Ewigkeit. Die Zeit, das Stück Leben zwischen dem Eingang in den Menschenleib und dem Ausgang aus ihm - ein Gestaltungsraum, ein in Schale-gefaßt-sein, eine Klasse der Werdeschule für den Einzelnen, aber nicht eine Trennung vom ewigen Sein, nicht ein Herausgefallensein aus der großen Einheit. Immer ist Gegenwart, immer rinnendes Leben, immer Sein. Die Welten ruhen in den ewigen Händen, und ihre Zukunft ist zwar verhüllt den Augen, die in Schleiern gehen, aber sie sind in Sicherheit des großen Planes, den wir nicht kennen, und kindisch ist es, dünkt mich, wenn die im irdischen Beschränktsein Befangenen ein Meinen oder Wissen aufstellen über das Nichtzuwissende. Vielleicht ist es hart, so zu sagen. Vielleicht treibt der Hunger nach dem Erkennen oder auch der Hunger nach einem Schönersein, nach Befreiung aus den Ich-Ketten, dazu, ein ganz anderes auszumalen und es Ewigkeit zu heißen. Aber was ist dann Zeit? Kann einer das sagen? Kann man aus dem Ganzen des Lebens etwas ausschneiden und es „heißen”? Vielleicht kann man sagen, daß Zeit ein Stück Ewigkeit sei, eine Phase von ihr, eine vielleicht von vielen. Was wissen wir? Wichtiger ist, diesen Fragen gegenüber bedingungslos zu werden. Wichtiger ist, ins Dunkel hinein zu sagen, daß es recht sei, wie auch immer es sei. Wichtiger ist, von sich selber frei zu werden. Denn dort liegt, scheint es, die Fessel, die Binde, die Augen und Hände einschnürt. Solange das Ich immer fragen muß: was kommt nachher? und werde ich das finden, was mein Herz ersehnt? und wird meine Sehnsucht gestillt werden durch Erfüllung? - so lange muß es trennen. Denn heut und hier ist ja nicht Erfüllung, ist Verlangen und Brand des Unerlöstseins aus dem selbstischen Begehren. Hier ist Trennung von denen, die vorangingen, ist Absonderung vom Leben des Geistes, vom Rechtseinkönnen. Das alles aber sucht das Ich im Jenseits und heißt es Ewigkeit. Wenn aber dies ist: das Stirb und Werde, das Sich-hingeben-können in das willige Vertrauen hinein, dann ist auch schon Ewigkeit. Wir wissen nicht, was in einer anderen Daseinsform über uns beschlossen sein wird, was für Werderäume und -Zeiten - also Phasen der Ewigkeit - für uns, zu der Vollendung des Seins, in dem großen Plan des Ewig-seienden aufgezeichnet sind. Trotz aller Träume und „Offenbarungen”, wir wissen es nicht. Aber es gibt eine Seligkeit, die darin liegt, es auch nicht wissen zu müssen. Ein Verbundensein mit allem Anfang und Fortgang. Ich will nicht sagen: Ende. Denn Ende, das ist nichts, was ein Irdischer begreifen kann. Er kann denken: Untersinken in ein Größeres, Eingehen in ein Ganzes. Das kann ein Friede sein, der höher ist, als alle Vernunft, denn es ist ein Ungeteiltsein mit dem Leben über allen Leben. Aber er kann nicht denken, daß das Leben selber aufhöre zu sein. Und daß er das nicht kann, das ist ewig an ihm. Das verbindet ihn mit der Ewigkeit des Lebens. Ich habe kein Wort von Gott gesagt. Aber was ist das Gott. Nichts ist, das er nicht sei, Zeit, Ewigkeit, Leben, das sind alles Worte, die unser kindisches Lallen findet, wenn es von dem Unnennbaren stammeln will, in dem wir leben, weben und sind. Ich habe dich nie gesehen,Das Gottesjahr 1928, S. 60-62 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-13 |