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von Heinz Dietrich Wendland |
Da aber die Zeit erfüllet war, sandte Gott Das ist die Qual, die den Menschen peinigt, seitdem er sich zum Menschen erhob und Geist wurde: Der Widerspruch seiner Berufung zu dem Gesetze der Zeit. Alles natürliche Leben geht dahin, wie es muß. Der Mensch erhebt sich gegen dieses Muß. Seine Arbeit, sein Werk, die Kultur, die er schafft, sind ein einziger Aufschrei gegen das unheimliche Gesetz der Zeit. Nichts Höheres weiß er von den Großen seines Geschlechtes zu sagen als: sie haben ewige Werke geschaffen, „es kann die Spur von ihren Erdentagen nicht in Äonen untergehen”. Ein Haß gegen die Vergänglichkeit, ein Leiden unter der Zeit trägt alles menschliche Tun bis in den Tod. In der letzten Stunde klammern sich alle Sinne an das schwindende Leben; das Sterben noch ist ein Kampf gegen diesen Dämon der Zeit, der uns alle unsere Güter nimmt, vor dem nichts Bestand hat, der uns hinausstößt in das Nichts. In ihm ist keine Zeit mehr. Aber mit der Zeit sind wir selbst mit all dem Unserm dahin. Die tiefen Religionen gerade sind es, die das Leben als Geschichte sehen und den Menschen als Knecht der Zeit. Unser Leben währt siebzig Jahre . . . . Alle Religion ist Aufschrei wider die Vergänglichkeit, Kampf mit dem Dämon Zeit, Ringen um Überwindung des Bannes der Endlichkeit. Als Paulus die ehernen Worte schrieb, in denen eine neue Epoche im Kampfe der Menschheit gegen die Zeit sich erhebt, fragten die Menschen nach dem Heilmittel zur Unvergänglichkeit und suchten in den Mysterien den Bann der Endlichkeit zu lösen, wovon ergreifende Sehnsuchtslaute auf Gräbern jener Zeit uns zeugen. Aber die Mystik des ersten wie die Mystik des zwanzigsten Jahrhunderts ist machtlos gegen den Dämon Zeit. Sie will den Augenblick mit der Ewigkeit füllen, und sie vermöchte es, wenn der Augenblick allein wäre. aber die Zeit ist nicht nur Gegenwart. Ihre Schlachtordnung wider das Leben ist dreifach gegliedert. Vergangenheit und Zukunft verschlingen und bedrohen die Gegenwart; sie zerren den Augenblick, der sich erheben möchte, hinein in den Strom der Zeit. Er wird Vergangenheit, die unabänderlich ist, die stille steht. Aber ihr Stillestehen ist eine Drohung gegen uns; sie lastet auf unserer Seele, sie verkettet uns mit allem, was war, unrettbar. Wir sind, was wir waren. Aber nicht nur hinter uns steht die Zeit, auch vor uns. Zeit ist Zukunft, ist das Dunkle, war heranfährt, sich enthüllt und erstarrt. Zukunft ist Nichtwissen für den Menschen, ist Verhüllung seines Lebenszieles, ist die gähnende Leere, die sich jeden Morgen vor uns öffnet. Nein: nicht nur eine kleine Auferstehung ist jeder Morgen, sondern auch ein kleiner Tod. Die Zukunft öffnet sich; sie verschlingt uns. Sie überwältigt alles Planen und Vorausdenken. So erscheint uns im Gesetze der Zeit am tiefsten die Qual unseres Lebens, seine Zwiespältigkeit. Wir Menschen der Großstadt wissen darum, die wir dem Dämon Zeit in jedem Augenblicke verfallen sind. Doppelt ist diese Not: Die Zeit ist unendlich,. Sie reißt die Menschheit in unendliche Fernen mit sich. Endlos scheint diese Geschichte und scheinen ihre Kämpfe zu sein. Die Zeit ist für den Menschen unendlich; denn er ist ihrer nicht Herr, er ist unter die Zeit gebeugt ein endliches Wesen. Wie aber die Zeit selbst unendlich ist, so alles in i h r , u n t e r ihr endlich. Die unendliche Zeit macht alles endlich. Das ist das Doppelantlitz, das Rätsel, die „Antinomie” der Zeit. Sie macht unser Leben sinn- und ziellos. „Es schwinden, es fallen die leidenden Menschen blindlings von einer Stunde zur andern, wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen, jahrelang ins Ungewisse hinab.” Gibt es keine Voll-Endlichkeit, keine Voll-Endung? Gibt es Erfüllung der Zeit, die doch zugleich ihre Überwindung sein müßte? Nur das wäre ja eine Erlösung, die den Zeitbann sprengte, die den Tod eröffnete und die Endlichkeit aufhöbe. Das wußten die Menschen des neuen Testaments . Darum redeten sie vom Todesgesetze dieser Welt und vom Todesleide des Menschen. Darum war ihr Weltbild nicht ein Kreisen oder Schweben in einem Mittelpunkte gehalten, sondern ein Vorwärtsschreiten von einer Tat zur andern Tat (Taten Gottes freilich), ein Drängen aus einem Akt des Dramas in einen anderen, ein Vorwärtsschreiten - aber nicht mehr in die U n endlichkeit, die uns endliche Geschöpfe sterben heißt, sondern in die V o l l endung hinein, die sie das „ewige Leben” nannten. Sollten wir das wieder erfahren lernen, so würden wir sehen, welcher tiefe Grund in dem oft so leeren und starren Reden von den „Heilstatsachen” liegt. Heils-Tatsache ist eine Tat Gottes, die in die Zeit hineingriff, in sie einging und Tatsache wurde, wie alles zur Vergangenheit Erstarrte Tat-sache ist: erstarrte Tat, die unumstößlich ist. Und nun gibt es eine Tat, die Vergangenheit ist und doch alle Vergangenheit überwindet, aus deren Grabe sie täglich ersteht, ja, die immer neue Zukunft ist: zum Heile, das heißt zum Leben, zum Leben, das heißt zur Erlösung von der Zeit. Warum heißt doch unsere „Zeitrechnung” „nach Christi Geburt”? Hat ein Verrückter es erfunden, daß man doch einmal von vorn anfangen könnte, den unendlichen Fluß der Zeit abzuzählen im allzu menschlichen Rechnen? Oder ist eine Marke gesetzt im Flusse der Jahre? Gibt es wirklich eine Zeitwende? Glaube ist das Bekenntnis zu diesem Hier und Einmal, zu dieser Durchbrechung der Zeit. In ihr beginnt Gott das Geheimnis der Zeit, das uns alle quält, zu enthüllen. In ihr ist der Zeit eine Grenze, ein Ende gesetzt, von dem, der ihrer mächtig ist. Aber nicht eine Grenze, die wie aller Tod es ohne Glauben uns ist, sinnloser Abbruch, blindes Fallen, Sturz in das Nichts wäre -, sondern Voll-Endung. Und das will sagen: ein Ende kommt, das dem sinnlosen Ablauf unserer Tage Sinn gibt, das dem Leben Fülle gibt aus göttlicher Voll-kommenheit. Das Abrollen der Zeitkette ist zur G e s c h i c h t e , zum Geschehen von etwas geworden: Christus, die Zeitwende! An ihr scheiden sich die Epochen und die Alter der Menschheit. Zu Christus hin und von Christus her führt Geschichte. Es ist das Wesen der Prophetie, das Geheimnis der Zeit zu ahnen. Sie „weissagt” Christus. Das ist das Alte Testament. Es ist das Wesen des Zeugentums und der Kindschaft, die Offenbarung dieses Geheimnisses zu wissen. Es ist die Erfüllung, das Neue Testament. „Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist geoffenbaret im Fleisch.” Fleisch, das heißt Menschsein. Menschsein, das heißt unter dem Gesetze der Zeit stehen. Daß das geschehen konnte, leidet nur die eine Erklärung: Gott hat die Welt geliebt, so daß er seinen Sohn beugte unter das Todesschicksal der Zeit. Damit beginnt ein neues Geschehen in einem neuen Sinn! Die dunklen Worte des Paulus von Christus als dem zweiten Adam enthüllen sich uns nun. Die Erfüllung der Zeit bringt eine neue Zeit und eine neue Menschheit. Ihr Anfänger ist Christus. Ihr Ziel ist bestimmt, wenn die Erfüllung gänzlich zur Vollendung kommt. Das ist unsere c h r i s t l i c h e Zeitrechnung: daß wir zwischen der Erfüllung und Vollendung stehen, da der Bann der Zeit gänzlich aufgehoben wird. Wir schauen zurück: nicht mehr die tote Vergangenheit, Christus hinter uns, der Erfüller der Zeit, ein lebendiges Perfektum. Wir schauen vorwärts; Christus voraus, der Wiederkommende, die Vollendung der Zukunft. Alle Leere und Angst ist gewichen. Die Zeit ist erfüllt. Die menschliche Geschichte durchzittert nun das Lied der Gewißheit und der aufs Ziel gespannten Erwartung. Es ist das Lied der Christen, es ist das Thema der Geschichte des Heils, es ist der Heilruf des Glaubens: Mit uns zieht die neue Zeit. Sie ist die Ewigkeit. Das Gottesjahr 1928, S. 42-46 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-13 |