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von Karl Bernhard Ritter |
Der Fürst dieser Welt ist der Tod. Er sitzt an allen Tischen als schweigender Gast, er steht hinter allen Thronen irdischer Macht und Herrlichkeit und wandert durch die Säle menschlicher Weisheit und Kunst. Wenn er die Hand hebt, steht alles Leben still und es wird zu Staub, was aus dem Staube stammt. Hinter ihm aber schleicht, was schlimmer ist als der Tod, das Grauen. Sein Atem verzehrt den Mut der Männer, und die Liebe der Frauen erfriert unter seinen Blicken. In seinem Schatten regt sich der Wurm und bohrt sich nagend in den Kern des Lebens ein. Unsere Welt ist angefressen vom Wurme des Zweifels. Die große Frage nach dem Sinn, nach der Wahrheit, nach irgendeinem Werte erhebt sich und treibt in einer sinnleeren, zerfallenden Welt zur Verzweiflung. Hinter allen Dingen droht der Abgrund. Er verschlingt alle Namen und alle Werke. Aus ihm tauchen die Dämonen der Versuchung auf. Aber es ist ihnen keine Macht gegeben. Denn in der Tiefe des Abgrundes ruht der Grund, und in der Erschütterung aller Zeiten, in dem Gerichte über alle Gestalten und Namen erscheint Gottes Ewigkeit. In der Tiefe erwartet uns der Augenblick der Entscheidung. Wenn die Verzweiflung zu Grunde geht, findet sie Gott, der Anfang, Mitte und Ende ist. In der Erschütterung dieser Zeit kommt Er auf uns zu, der da anhebt, wo wir zu Ende sind, und das Wort von der Auferstehung der Toten trifft unser Herz. Unter diesem Worte sammelt sich die Gemeinde. Sie ist die neue Schöpfung, die unter dem lebenschaffenden Wort aufbricht, das uns umwendet und aus der Tiefe aufsteigen läßt, wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung. Von Jerusalem wandern zwei Männer mit erschrockener Seele und zerschlagenem Gemüte hinab nach Emmaus. Was sie dachten und hofften, was ihnen Sinn und Wahrheit ihres Lebens war, ist zerbrochen. Sie kommen von Golgatha und sind am Ende. Doch ist ein Dritter, ein Unbekannter bei ihnen und redet mit ihnen. Über seinen Worten entbrennt ihr Herz. Da er ihnen entschwindet, erkennen sie Ihn und sind seine Gemeinde. Das Leben des Auferstandenen ist das Leben der Gemeinde. Mit einem wunderbaren Worte nennt die Schrift die Gemeinde den Leib des auferstandenen Christus. Damit bezeichnet sie den Grund und die Art ihres Lebens und Wachstums. Wie der Same von oben her in das Erdreich fällt und stirbt, und in seinem Sterben das neue Leben aufkeimt und wieder nach oben drängt und sich erschließt und den dunklen Stoff der Erde wandelt zur blühenden Blume, die ihren Kelch dem Himmelslichte öffnet, so ist das Wort der Offenbarung. Verschieden ist der Boden. Verschieden sind die Menschen. Zeiten und Völker wandeln sich. Und der Same der Offenbarung fällt in den Acker der Zeit. Aber immer gibt ihm sein Tod die Keimkraft des Lebens. Wie viele Gestalten warten auf ihre Auferstehung in ungeborenen Geschlechtern! Aber sie alle sind die eine Schöpfung. Ein Ruf erweckt sie. Einer ist ihr Meister. Wir sind alle Glieder an einem Leibe. Heimlich und unsichtbar ist die Gemeinde, weil sie unter keinem Gesetze steht und keine Ordnung ihr Grenzen setzt. Was sie zusammenführt, ist ja kein Werk und kein Recht. Kein Bau von Menschenhand gemacht umschließt sie. Das Heiligtum, in dem sie anbetet, ist für alle da, und seine Tore stehen Tag und Nacht geöffnet. Sie trägt in ihrem Munde und auf ihrer Stirne das Wort von der freien Gnade Gottes, die auch im Zorne, der mit Verzweiflung schlägt, und im Gerichte des Todes auf uns zukommt und uns begehrt mit unendlicher Liebe. Gott schafft die Gemeinde. Darum ist sie nicht da, wo Menschen am Werke sind. Darum ist sie da, wo Menschen ihren Dienst unter Gottes Gericht stellen und also über sich hinausweisen auf Den, der allein Leben gibt. Alles Menschenwerk ist klein und eng. Alles Menschenwerk will das Gesetz, trennt und sondert, richtet Schranken auf und baut Kirchen für die, die sich zu diesem Werk bekennen. Aber die Kirche Gottes ist da, wo eine Kirche von der Wahrheit redet, die als gegenwärtiges und ewiges Leben nie eingefangen wird von unseren Formen, und doch allezeit zur Gestaltung drängt; wo sie den Grund findet im Abgrunde aller Dinge; wo sie in der Zeit den Dom baut, der die Ewigkeit meint. So ist die Gemeinde selbst das lebendige Haus, aus Zeugen der Gnade aufgebaut auf Dem, der die Offenbarung vollendete, da er sich ans Kreuz gab. Darum ist die Gemeinde befreit zum Dienste in der Liebe. Da sie nicht das ihre sucht, kann sie lieben, ohne Rückhalt und ohne selbstisches Ziel; mit der Kraft eines Lebens, das seinen Ursprung in der Tiefe hat, die alles Lebendige gebiert und es hinaufträgt zu Dem, der jedes Leben mit Heil und Vollendung segnen will. Daß wir lieben dürfen ohne Hinterhalt und Arg, mit echtem Vertrauen, mit reiner Hingabe, macht uns getrost und voll Zuversicht. In der Gemeinschaft der Liebe werden uns die beglückenden Erfahrungen des wahren Lebens geschenkt. Das Leben ist erschienen und erscheint immer neu in dieser Gemeinschaft. So ist die Gemeinde der sichtbare, offenbare Leib Christi. Wie könnten wir erfahren, was Gnade ist, wie könnte uns die tragende Kraft, die schaffende Güte Gottes mehr sein als ein Wort, ein leerer Gedanke, mehr als ein Traum unserer Sehnsucht, wenn das alles nicht wirklich da wäre und uns ergriffe in dem Zeugnis gläubiger Herzen, in denen Sein Leben Gestalt gewonnen hat? Alle echte Gewißheit wird geboren in der Erfahrung einer Gemeinsamkeit des Lebens, in der wir bestätigt, und doch zugleich ganz aus der Enge und Gebundenheit gelöst, eintauchen in den Strom, der in das ewige Leben fließt. Das ist eine rechte Taufe, die selig macht. Gott schafft die Gemeinde und schafft damit alles, was wir brauchen. Wir aber dürfen Türen sein, durch die ihr Leben eingeht in die Welt. Wann wird unsere Kirche nichts anderes mehr sein wollen als eine Tür? Wann wird sie Dienst sein, nichts als Dienst, damit die Gemeinde Gottes Zugang habe in die Welt, ihr den Frieden zu bringen? Das Gottesjahr 1926, S. 91-93 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |