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von Karl Bernhard Ritter |
Die Knospe, von inneren Säften geschwellt und bedrängt, bricht auf. Sie sprengt die bergende Hülle und die Blüte öffnet sich der Weite, bereit, sich auszuteilen und zu empfangen. Ihr abgeschlossenes heimliches Werden in eigener Wesenstiefe ist zu Ende. Wenn der Mittag des Lebens den Morgen der Jugendzeit, der Werdezeit ablösen will, dann sammelt sich die Lebenskraft zum entscheidenden Durchbruch. Die Kraft zum Tun und zum Erleiden, die Schaffenskraft und die Kraft der Empfängnis verdichten sich und drängen zur Verwirklichung in der Entscheidung. Das Leben tritt aus der Dämmerung der Träume und schweifenden Wünsche, aus dem Nebel der tausend Möglichkeiten in den vollen Tag ein, in die Welt der Taten und des Schicksals. Die Mitte ist ein Ende und ein Anfang. In dieser Stunde erkennen sich Mann und Frau. Entscheidung und Bestimmung ist die Wahl. Die strömende, wallende, sprießende Welt der Jugend dichtet sich zum Ereignis und zeugt in der Liebe ein neues Leben. Die Zeit der Gestaltung beginnt. Es ist ein Durchbruch, schmerzlich wie alles Durchbrechen und Einbrechen des Lebens in die Welt der Wirklichkeiten. Es ist der Schmerz voller Süße und voll der bedrängenden Not überschwänglicher Kraft, der uns immer da ergreift, wo der Sinn des Lebens sich durch Erschütterungen hindurch sein Recht erzwingt und wir gehorchen müssen. Es ist ein Zeichen unserer Halbheit, ein Zeichen der Unkraft und Untiefe unseres Lebens, und nicht zuletzt ein Beweis für die Sündhaftigkeit dieses Zeitalters, daß unsere Vorstellung von Liebe gemeinhin da endet, wo die Tat der Liebe, die Entscheidung des Lebens gerade beginnt. Unsere Romane beweisen das zur Genüge. Es ist in tausend Abwandlungen immer wieder der Einzelne, der Mann oder die Frau in ihrem gesonderten Lebenswillen, in ihrem Glücksverlangen, um die es da geht. So wird das Thema „Liebe” von einem Ansatzpunkt aus abgehandelt, der den Sinn der Beziehung von Mann und Frau unausbleiblich verfehlen läßt. Am Anfange der wahren Liebe steht gerade die Entscheidung, der Abschied von dem Für-sich-sein, dem Sich-selbst-angehören der Jugend, der Eintritt in die höhere Ordnung des Lebens, die Gemeinschaft heißt. Nun ist freilich die übliche Deutung der Ehe geradezu die Verkehrung dieses Gemeinschaftsgedankens in sein Gegenteil. Man sucht den Sinn der Ehe in der Ergänzung, in der Erfüllung, in der Bereicherung des eigenen Lebens. Man sucht einen Gewinn edelster oder niederster, innerlichster oder äußerlichster Art. Man verlangt nach dem Glück der Selbstbestätigung, nach Befreiung von der Angst und Kälte des Alleinseins, nach menschlicher Nähe, nach Verehrung und Erwiderung der eigenen Empfindungen. Aber man bleibt mit dem allen bei sich selbst. Damit wird alle Ehe unausweichlich zu einem Glücksspiel, einem fragwürdigen Versuch mit unbekannten Größen, zu einem letzten Endes gefährlichen Unternehmen, bei dem nie vorher mit einiger Sicherheit übersehen werden kann, ob der Erfolg den Einsatz rechtfertigt. Gestehen wir es ganz offen: solange und soweit Liebe das Einander-nehmen und -genießen ist, solange der Wert des Lebens in der größtmöglichen Steigerung des Daseins, in der Erhöhung der Persönlichkeit (wenn auch nicht nur der eigenen) gefunden wird, solange man (egoistisch oder altruistisch) den Reichtum des Ich über alles stellt, solange muß die Ehe eines Tages zum Unsinn werden, ihr Treugebot zur lebenswidrigen, furchtbaren Fessel. Dann sind die glücklichen Ehen ein Zufall, der den Anspruchslosen, den Flachen noch am ehesten zuteil wird. Es ist nur zu verständlich, daß von da aus die Ehe als Lebensform reformbedürftig erscheint, daß man nach Erweiterung, Auflösung strebt oder wenigstens nach einer Sicherstellung gegen Enttäuschungen durch eine Probezeit. Das alles ist wahr. Und wir wollen uns ja hüten, Formen des Lebens als solche heilig zu sprechen und die Ehe als Gesetz zu rechtfertigen. Das Gesetz offenbart die Sünde. Das ist es, was es vermag. Und wenn wir in die Ehen, die unter dem Gesetze stehen, hineinschauen, so können wir wahrnehmen, daß dieses Apostelwort eine furchtbare Wahrheit ist. Das Gesetz der Ehe macht erst sichtbar, daß die Liebe, die zwei Menschen zusammenführte, nicht anderes als versteckte Selbstsucht war. Nirgends wird die kalte Einsamkeit, die Gefangenschaft der Menschen in ihrem eigenen Selbst so grausig offenbar, wie unter dem Gesetz der Ehe. Mag es Zeiten gegeben haben und immer noch Menschen geben, die sich der Ehe als einer objektiven Ordnung fraglos, ohne Anspruch des eigenen Lebens, einzufügen vermögen, weil ihr Ich noch nicht voll zu sich selber erwacht ist, als richtunggebend können und dürfen wir solche Haltung nicht mehr anerkennen. Die Frage lautet für uns unabweislich, ob die Ordnung der Ehe lebendig aus eigenster Wesensbestimmung der Liebe heraus bejaht und erfüllt werden muß. Das alles ist wahr: Liebe ist Schicksal. Aber daß wir das ganz ernst nehmen, das gerade wird von uns gefordert. Das Wort Schicksal weist auf den, der es sendet. Liebe ist nicht Zufall, sondern Erwählung, Entscheidung geboren aus der zwingenden, bestimmenden Lebenstiefe, wo unser Leben in Gott wurzelt. Damit wird das Schicksal der Liebe zu einem An-spruch, zu einer Berufung von oben her, die Gehorsam fordert. Im Schicksal der Liebe bricht in uns der ewige tragende Lebensgrund auf, bricht in unser Dasein das Leben ein, das uns unbedingt angeht, vor dem es kein Ausweichen gibt. Diese Berufung will unseren Gehorsam und unsere Treue. So wird in der natürlichen Liebe und durch sie hindurch der ewige Geist der Liebe offenbar, der die Natur über sich hinausweisen läßt, ihr zugleich ihren tiefsten Sinn gibt und ihr doch den Anspruch auf Selbstbehauptung nimmt. Nun ist die natürliche Liebe nicht mehr selbst ein Letztes, das ein Recht hätte. Das hat sie nur als Offenbarungsträger eines höheren Lebens. Die Ehe aber ist das Bekenntnis zu diesem Geiste der Liebe, zu dem Leben, das eben dort Ereignis wird, wo wir in der Liebe unser Schicksal erkennen und anerkennen. Ihre Treue ist Ehrfurcht vor dem, was mehr ist als alle Süße und Fülle, aller Reichtum u n s e r e s Daseins. Ihre Treue ist Ehrfurcht vor dem heiligen Anspruch, der im Schicksal „Liebe” an uns ergeht, ist Treue gegen den göttlichen Sinn dieses Schicksals und darum Dienst an dem Leben, das sich durch unsere Liebe hindurch uns offenbart, sich uns erschließt. An der Decke der Sixtina hat Michelangelo die Erschaffung Adams gemalt. Gefangen, schwer vom Wunder, das ihn gebiert, löst Adam den tastenden Arm der Wolke Gottes entgegen. Seine Augen aber schauen Eva, die eingehüllt in die Mantelfalten des Vaters ihm in schmerzlichem Staunen entgegenschaut. Der sprühende Geist verklärt den irdenen Adamsleib und Eva erbebt. Mann und Frau erkennen einander in Gott. Ehe aber ist die Treue gegen dieses Schicksal der Liebe. Darum wird die Ehe immer wieder zur Er-innerung der Stunden greifen, in denen uns die Liebe zur Offenbarung des Lebens geworden ist. Echte Ehe lebt vom Gebet, und das heißt von dem Ringen darum, daß wir einander vor Gott begegnen, einander zum Symbol werden. Diese Ehrfurcht, mit der wir einander achten als Träger einer Botschaft Gottes an unser Herz, diese Ehrfurcht vor dem Engel, der sich im Liebsten verhüllt, diese Achtung und Scheu vor dem Geheimnis des Du, die ist in unseren Willen gegeben. Darin sind wir frei vom Zufall der Natur und ihren Launen, von ihrer Zweideutigkeit. Ehe ist Gehorsam gegen die Offenbarung des Lebens in der Liebe, Gehorsam gegen den, der uns im Schicksal der Liebe beruft, ist Erinnerung an die Stunde der Erkenntnis. Die eheliche Liebe trägt Glauben und Hoffnung in sich. Das Du ist nicht Träger der Offenbarung um seiner Vollkommenheit willen. Nicht die sympathische Persönlichkeit, die schöne Gestalt, der kultivierte Mensch wird mir zum Schicksal. Das alles geht mich nicht unbedingt an. Das alles bestimmt mich nicht. Das alles erklärt nicht im mindesten, warum gerade hier das Herz redet mit seinem zwingenden: Du mußt. In dem allen ist die Ehe nicht gerechtfertigt. (Hier hat die so viel bemerkte „Unberechenbarkeit” der Liebe ihren wahren Grund.) Sondern darin ist die Ehe gerechtfertigt, daß durch den anderen hindurch etwas auf mich zukommt, was mich im Innersten ergreift. Das Erlebnis, daß ich gemeint bin, daß ich antworten und entscheiden muß, das Erlebnis der Unausweichlichkeit einer Begegnung ist das Geheimnis, das der gläubige Gehorsam mit einem Ja aufnimmt und festhält. Man kann es erleben schon in der Stunde der Erkenntnis, daß sich die Persönlichkeit des Geliebten nicht mit dem Auftrage deckt, den er für mich hat. Man kann darunter in den höchsten Augenblicken liebender Ergriffenheit leiden, ohne daß der Ernst, die zwingende Macht, die mich bestimmt und mein unbedingtes Ja fordert, im mindesten abgeschwächt wird. (Wenn dem nicht so wäre, so beruhte alle Erfahrung der Liebe zuletzt doch auf einer holden Selbsttäuschung, auf den Träumen eitler Wohlgefälligkeit, die an dem Tage unweigerlich bestraft wird, wo die Träume zerfließen und die nüchterne Wirklichkeit vor uns steht. Dann wäre das Wunder der Liebe eine optische Täuschung, ein allzu gefährlicher Untergrund für den dauernden Bund der Ehe.) Menschliche Treue ist zuletzt ein Wahn. Treue ist nur möglich in Gott, weil er allein Treue hält und nie enttäuscht. Der Glaube der Liebe bewahrt die Stunden, da wir einander in Gott erkannten und immer aufs neue erkennen, wie es die Gnade gewährt. Dieser Glaube allein wandelt die Liebe in Treue. In der Treue tritt der Ewigkeitsgehalt der Liebe in die Zeit ein. Sie lebt von der Erfahrung des Glaubens und stärkt sich durch die erinnernde Vergegenwärtigung solcher Erfahrung. Auch die Ehe ist nur ein Weg, ein Weg, auf dem Er auf uns zukommen will. Wo das vergessen wird, wo man die Ehe als ein Ziel sieht, wird ihr Sinn verfehlt. Auch sie will gesegnet sein mit dem Zeichen des Kreuzes. Nur wenn sie nicht bei sich festhält, bewahrt sie ihre Tiefe. Sie ist was sie sein kann nicht aus sich selbst, sie ist es durch den Glauben, der auch in ihr nach der Gnade greift. Immer wartet sie, daß der Geist seinen Wein in ihren Becher ausgießt. Sie ist nicht d e r Weg. Jedes Schicksal will als Bote Gottes empfangen sein. Gottes Liebe, sein Erlösungswille ist nicht gebunden, sein Christus geht durch alle Türen ein, die Gefangenen freizumachen. Weil die Ehe Weg ist, lebt ihre Liebe in Hoffnung. Sie streckt sich dem entgegen, das da kommen soll. Sie wartet auf die Vollendung der Offenbarung, auf die Erfüllung des Schicksals. Ihre Hoffnung ist die Zuversicht, daß ihre Erkenntnis der Wahrheit begegnet, daß in ihrer Liebe der in alle Ewigkeit tragende Grund aufgebrochen ist. Sie hofft, daß der Anfang den Keim der Vollendung in sich trägt, daß leibhaftig und wahrhaft wirklich werde, was jetzt nur ein Anheben, ein Hindurchgehen durch unzulängliche und vergängliche Gestalten ist. So besiegt sie die Enttäuschung, an der so viele Ehen sterben, daß das Geschlechtserlebnis nicht das Wunder ist, das erlöst und befreit, wie falsche Propheten es verkünden. Auch das Geschlecht ist, wie alle Schöpfung, „der Eitelkeit unterworfen”. Auch in ihm hört die Sehnsucht nicht auf nach der „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes”. - Wohl „will alle Luft Ewigkeit”, und doch ist die irdische Leibwerdung unserer Liebe ein immer neues Opfer an die von uns fortschreitende Zeit. Die Früchte unserer Liebe entwachsen uns, und wir selbst werden müde und alt. Die Hoffnung der Liebe aber wartet auf „die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben”. Sie wartet auf „die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben”. Sie wartet dem Tage entgegen, da Gott der Kreatur zu Hilfe kommt und ihrem Wesen in einer neuen Schöpfung Erfüllung spendet, die ihr hier versagt bleibt. Der Glaube weiß um den Anfang. Die Hoffnung weiß um die Vollendung. Die Liebe aber ist das ewige Wort des Lebens. Das Gottesjahr 1926, S. 76-81 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |