|
von Christian Geyer |
Wer hätte nicht schon, etwa am Grab eines allgemein beliebten Menschen, den Lobspruch gehört: Er hat keinen Feind gehabt! Aber wer hätte dabei nicht auch irgendwie gefühlt, daß das ein sehr zweifelhaftes Lob sein kann. Es gibt ja freilich sehr anpassungsfähige Menschen, die Gegensätze vermeiden, Kanten abschleifen und sich nicht leicht zu einer Wahrheit bekennen, die nicht gerne gehört wird. Aber zu den starken Menschen gehören sie nicht und der Volksmund hat sicher nicht ganz unrecht, der von der Gutmütigkeit sagt, sie sei zur Hälfte Liederlichkeit. Man frage sich nur, zu welcher Zahl das Heer der großen und führenden Geister zusammenschmelzen müßte, wenn wir darin nur die dulden wollten, die keinen Feind gehabt haben. Weder Luther noch Bismarck, weder Paulus noch Jesus selbst könnten bestehen und sogar den Apostel der Liebe, Johannes, müßten wir streichen, denn er floh aus dem Bade, als er hörte, daß sich auch der Irrlehrer Corinth darin befinde. Es ist schon sehr viel und eine freundliche Fügung, wenn jemand wie Aloys Henhöfer sagen kann, daß Gott auch seine Feinde mit ihm zufrieden gemacht habe. Aber sind Feinde, auch wenn sie uns trotz aller Gegnerschaft ehren und wie einstmals die Ritter im Turnier die Lanze vor uns senken, keine Feinde mehr? Der Feind ist ursprünglich, wie uns nicht nur das lateinische Wort hostis beweist, der Fremde, der Andere. Hegel hat in seiner Phänomenologie glänzend geschildert, wie der zum Selbstbewußtsein durchgedrungene Mensch erfährt, daß ein anderer gleichfalls den Anspruch erhebt, ein Ich zu sein, und wie es zu jenem Kampf auf Leben und Tod kommt, aus dem der Sieger als Herr, der Unterlegene als Knecht hervorgeht. Wir können diese tiefe und traurige Wahrheit von einer ganz anderen Seite ebenfalls erfassen. Unsere Erde ist räumlich begrenzt. Es ist einfach nicht wahr, daß sie für alle Raum habe. Immer nehme ich den Platz an der Sonne, den ich behaupte, einem anderen weg, und was ich esse, kann nicht zugleich auch den anderen nähren. Darum ist das Erdenleben niemals ohne Kampf vorzustellen und der natürliche Pazifismus ein Widerspruch in sich selbst. Frieden kann es nur werden, wenn das Unmögliche gleichwohl möglich wird, wenn sich der, der siegen könnte besiegen läßt, wer essen könnte, fastet, und wer leben könnte, sich aufopfert. Immerhin, die gegen einander ankämpfenden Menschen gehorchen, unwissend, zugleich einem höheren Befehl, und während jeder in seiner Richtung tätig ist, kommt es zu unserer Ueberraschung zum Vorschein, daß sie doch an e i n e m Werk gearbeitet haben, wie die Tunnelarbeiter, die von Süden und Norden her den Berg angreifen und irgendwo in der Mitte zusammentreffen. Am deutlichsten wird uns das bei der geistigen Arbeit ersichtlich, wo im Laufe der Zeit alle möglichen Wege versucht werden müssen und wo es von Gewinn ist, wenn jemand auch nur den Nachweis erbringt, daß die großen Fragen mit der von ihm empfohlenen Methode nicht gelöst werden können. Wer hat sich nicht schon angeekelt gefühlt, wenn Männer der Wissenschaft den, der anderer Meinung ist, wie einen schlechten Kerl behandeln, und wen hat es nicht erhoben, wenn ein Richard Rothe keine Gegner, sondern nur Mitarbeiter anerkennen wollte? So läßt Sophokles seinen Ajas sagen: Nicht weiter soll man hassen seinen Feind,Wen das innerlich einmal aufgegangen ist, daß Gott die einander widerstrebenden Volksgeister in seinen Dienst nimmt, jetzt dieses und dann jenes Volk gebraucht, das eine im Siegestaumel verkommen und das andere in der Not sich ertüchtigen läßt, der hütet sich nach dem augenblicklichen äußeren Erfolg zu urteilen und fängt an, unbeschadet seiner Verbundenheit mit einem einzelnen Volkstum, übernational - was aber immer etwas anderes ist als international - zu fühlen und zu denken. Das heißt, er wird nicht ohne weiteres die Politik seines eigenen Staatswesens als Forderung des Reiches Gottes verherrlichen und in den feindlichen Staatsmännern nicht gleich inkarnierte Teufel am Werke sehen. Er wird nicht aufhören zu kämpfen, ja er wird erst jetzt willig sein, sich Gott ganz zur Verfügung zu stellen, aber er wird ohne Haß kämpfen. Es ist nicht leicht, einen Feind oder viele zu haben. In den Tagen erregter religiöser Auseinandersetzungen spürte ich oft den gegen mich gerichteten Haß fast wie man eine Veränderung in der Atmosphäre wahrnimmt. Da liegt alles daran, daß wir zwar tapfer, aber ohne Haß weiterkämpfen. Ob wir wirklich, wie der biedere Christoph Fürchtegott Gellert meinte, einen kleinen Feind durch Geduld ermüden oder, wie es sich der fromme Johann Heermann täglich erbeten hat, einen großen durch Sanftmut überwinden, will ich nicht entscheiden. Es ist schon etwas, wenn wir uns nur durch den Haß zum Hassen reizen lassen. Das ist die erste Stufe, die zu dem Tempel emporführt, dessen Inschrift lautet: Liebet eure Feinde! Das ist auch eine von den Unmöglichkeiten, die dennoch möglich sind. Es gibt ein vortreffliches Mittel, mit einem Feind oder wenigstens mit einem Freund, mit dem wir uns entzweit haben, wieder zurecht zu kommen. Man spreche sich nicht aus, geschweige daß man lange Briefe schreibt. Da ist die Wahrscheinlichkeit, daß man nur weiter auseinander kommt, größer als die des Gegenteils. Aber man denke intensiv und mit größtem persönlichen Wohlwollen an den achtungswerten Feind oder ehemaligen Freund. Wenn unsere Liebe echt ist, wird er etwas davon auch auf weite räumliche Entfernung spüren und eines Tages wird, was uns trennte, verweht sein, wie Nebel vor der Sonne zergehen. Gertrud Pellwitz hat mir dieses Mittel empfohlen und ich gebe es weiter, nachdem ich es selbst als gut erprobt habe. Gedanken sind Kräfte, ich könnte sagen Wirklichkeiten, wenn anders das so heißen darf, was etwas bewirkt. Es ist damit auch gegeben, daß wir uns des Falles eines Feindes nicht freuen und unser Herz über sein Unglück nicht froh wird. Immer stellt es sich heraus, daß mein Feind nicht nur und nicht immer mein Unglück sein muß, sondern daß er ein Stück meines Schicksals ist, das wie alles Schicksal so ist, wie wir es grüßen. Der eigentliche Feind, der es ganz ernsthaft übel mit uns meint, ist nicht draußen, sondern drinnen; er ißt mit uns aus einer Schüssel und schläft mit uns im gleichen Bett. Je unnachsichtlicher wir mit diesem unserem Feinde umgehen, desto gelassener werden wir gegen den anderen und es kann wohl sein, daß das Wörtchen „mein” bei jenem immer schwärzer wird, bei diesem sich aber aufhellt und wie eine lichte Gloriole etwas von Hause aus so Unerfreuliches umgibt, wie es „der” Feind war, „mein” Feind aber jetzt nicht mehr ist. Das Gottesjahr 1926, S. 68-70 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |