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von Wilhelm Stählin |
„Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest, Es ist nicht immer eigene Verzagtheit oder das Eingeständnis eigener Schwäche, was in der Seele den heimlichen Wunsch der Müdigkeit erwachsen läßt: Ach, ich bin des Treibens müde! Einmal nicht mehr kämpfen müssen, nicht mehr in Gefahr und Versuchung stehen, nicht mehr irren, nicht mehr bluten! Es ist viel öfter die Sorge um das Heil eines geliebten Lebens, was dem Leben etwas nehmen möchte von seiner Unerbittlichkeit und seiner Gefahr. Die Mutter bangt davor, wie ihr Kind, das so leicht der lockenden und verlockenden Stimme das unerfahrene Herz öffnet, sich in dem Irrgarten des Lebens zurechtfindet; der sorgende und führende Freund, wie der schwache Wille des ungefestigten Jünglings in dem ernsthaften Kampf mit den dämonischen Mächten sich bewähren soll. Der Wunsch, das noch zarte und unerprobte junge Leben zu behüten und es an sicherem Ort zu bergen vor den Stürmen, wird immer wieder aus der Liebe geboren, und ist doch immer wieder ein Wahn. Christus, der seine Jünger in die Welt sendet, bittet den Vater nicht, sie aus der Welt zu nehmen, und ihnen die Bitternis der Welt zu ersparen; er weiß, daß Kampf und Wunden, Irrweg und Schuld selbst zu der Welt gehören, in die er senden muß, so wie er selbst in sie gesandt ist. Nicht bewahren, sondern stärken ist der rechte Dienst der Liebe. Das Gottesjahr 1926, S. 59-60 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |