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von Marie Cauer |
Das Wort „Beruf” ursprünglich nur für die an uns alle ergangene „Berufung zum Heil” gebraucht, ist zur Bezeichnung geworden für unser Arbeitsfeld, für die Leistungen, denen wir unsern Platz innerhalb der Gesamtheit verdanken. Eine Erinnerung an den eigentlichen Wortsinn ist aber doch auch darin wirksam geblieben. Wir denken, wenn uns unser Beruf vor Augen steht, wohl in erster Linie an unsere Obliegenheiten und Aufgaben, aber doch auch daran, daß wir für die Art, wie wir sie erfüllen, nicht nur den irdischen Arbeitgebern, Meistern und Vorgesetzten verantwortlich sind, sondern dem, der sie und uns an unseren Platz und zu unserer Leistung g e r u f e n hat. Die Erzväter, Moses, Samuel antworteten, wenn der Herr sie rief, um seine Aufträge zu erteilen: „hier bin ich” , und damit war wohl nicht nur gemeint „ich höre deinen Auftrag”, sondern auch schon „ich gehorche”. „Hier bin ich mit allem, was ich kann und vermag, mit allen Kräften, die du mir gegeben hast, verfüge über mich”, so ungefähr scheint es aus dem einfachen bedingungslosen Worte zu tönen. Und dann erteilte der Herr seine Befehle, denen gegenüber es kein Markten und keine Zweifel gab. Wohl forderte ihre Ausführung unter Umständen schwerste Opfer, härteste Selbstüberwindung; aber sie waren eindeutig, und das Bewußtsein „es ist Gottes Wille, den ich ausführe”, gab die Kraft. So einfach und klar liegen die Aufgaben, zu denen wir heutigen Menschen berufen sind, nur selten. Schon die Notwendigkeit einer Berufs w a h l - dem ursprünglichen Wortsinne nach ja ein Widerspruch in sich - stellt uns von vornherein auf einen unsicheren Boden. Und dazu kommt meist die weitere Notwendigkeit, diese Wahl nach Gesichtspunkten zu treffen, die außer uns liegen, die mit dem inneren Berufensein, mit der Eignung und Neigung nichts zu tun haben. Denn der Beruf muß ja das tägliche Brot gewähren, in das wir heute wohl noch mehr Dinge einbegreifen müssen, als in der Lutherschen Aufzählung enthalten sind. Von der sozialen Stellung, der Stufe oder Geltung vor der Welt sagt sie z. B. nichts, die doch auch dazu gehören, und abgesehen von immer seltener werdenden Ausnahmen, auch durch den Beruf vermittelt und bestimmt werden. Mag aber auch für die Berufswahl entscheidend gewesen sein was da wolle, harte Notwendigkeiten oder günstige Aussichten, wohlerwogene Gründe oder zufällige Fügungen, so ist es doch niemals nur unser Anteil an den Gütern des Lebens, der durch den Beruf bestimmt wird, sondern zugleich auch Maß und Form unserer Leistungen für die Gesamtheit. Jedem gesunden Menschen ist es wohl ein natürliches Bedürfnis mit seinem Pfunde zu wuchern, etwas auszurichten mit den empfangenen Gaben, Wirkungen in seiner Umwelt hervorzubringen. Und insofern als es sein Beruf ist, der ihm dazu die Wege öffnet, darf er ihn nun doch, und mag die Wahl auch unabhängig von dieser Rücksicht getroffen sein, als einen Auftrag, eine von Gott ihm gestellte Aufgabe, betrachten, über deren Erfüllung er dem Höchsten Rechenschaft schuldet. „Alle Menschen, wenn sie nicht arbeiten wie vor den Augen eines großen Aufsehers, arbeiten falsch und zum Unglück für sich selbst und für andere”, sagt Carlyle. Aber wie viele von uns stehen in Berufen, von denen eine solche Wirkung von vornherein nicht zu erwarten ist. Wie viele empfinden ihre täglichen Pflichten oder die Verhältnisse, in die ihr Beruf sie hineinzwingt, gradezu als ihrem Wesen fremd oder gar feindlich. Das ist eine schwere Lebens- und Werdehemmung, die man ohne ganz zwingende Gründe weder sich noch anderen zumuten sollte. Dennoch wird ein gutwilliger Schüler des Lebens auch diesem harten Boden Früchte abzubringen wissen. Je weniger die tägliche Arbeit der natürlichen Neigung entspricht, um so mehr werden Willenskraft, Pflichtgefühl, Selbstbeherrschung durch ihre treue Ausführung gestählt; je weniger innere Befriedigung auf dem von Berufs wegen angebauten Felde zu ernten ist, um so eifriger werden die freien Stunden ausgenutzt, eine um so fruchtbringendere und edlere Anwendung wird von der Muße gemacht werden. Wer seinem Berufe so gegenübersteht, von dem wird man dann freilich nicht sagen können, daß er „im Berufe aufgeht”. Aber ist das denn überhaupt wünschenswert? Ich meine nein. Obgleich der Ausdruck wohl immer als ein Lob gemeint ist. Weder kann ein Übermaß von Arbeitsleistung noch die Ausschließlichkeit des Interesses, die zu solch lobendem Urteil Anlaß gegeben haben mag, als Ideal angesprochen werden. Die Versuchung zu der ersteren Haltung, also dazu, den Arbeitseifer zu übertreiben, sich mit allem, was man kann und ist, hineinzuwerfen, in die Aufgabe „hineinzuknien”, wie man auch sagt, findet sich vor allem bei berufstätigen F r a u e n . Sie folgen ja nur ihrer weiblichen Natur, wenn sie sich ganz hingeben, geschehe das nun innerhalb der von der Natur ihnen vorgezeichneten Lebenssphäre oder innerhalb einer durch unsere Kulturverhältnisse ihnen aufgezwungenen. Und ein solches Verhalten wird der Frau um so näher liegen, je mehr der von ihr ausgeübte Beruf den weiblichen Anlagen entspricht, je mehr er den Einsatz der spezifisch weiblichen Kräfte verlangt, je mehr mütterliche Fürsorglichkeit darin Verwendung finden kann. Ein solches Verhalten liegt dazu auch noch in unserer gegenwärtigen Zeit besonders nahe, in der soziale Schäden aller Art sich dem Sehenden und Fühlenden Aufdrängen und auf den mannigfachsten Arbeitsfeldern nach verstärkten Leistungen, nach einem freiwilligen Mehr verlangen. Trotzdem aber müssen wir wünschen, daß die weibliche Berufsarbeiterin es lerne, der Versuchung zu widerstehen. Nicht etwa nur, damit sie ihre wertvolle Kraft nicht zu schnell verbrauche, vorzeitig versage und also an Gesamtleistung hinter dem natürlichen Maß zurückbleibe anstatt es zu überschreiten. Sondern auch um ihrer selbst willen. Um ihr Selbst zu behaupten. Wenn der Beruf alle Kräfte frißt, wenn „Leben” und „Arbeiten” gleichbedeutend werden, kann man das nicht. Und an dem Schaden, den das Selbst davon hat, ist schließlich doch auch wieder der Beruf beteiligt. Eine Frau wird nun, wo sie auch stehen mag, immer irgendwie in die Freuden und Leiden, die Hoffnungen und Sorgen, oft genug auch die Beschwerden und Mühen ihrer menschlichen Umgebung mit verflochten sein; und wenn das auch einerseits das Maß oder gar Übermaß der an sie gestellten Anforderungen noch erhöht, so erweitert es doch andrerseits auch ihren Gesichtskreis und wirkt insofern ausgleichend auf die Urteilsweise. Der Mann hingegen muß schon, will er solche heilsame Ergänzung zu seinen beruflichen Erfahrungen sich schaffen, bewußt darauf ausgehen, gleichzeitig auch auf anderen Gebieten heimisch zu sein. Wie mancher Beamte z.B. hat es schon an sich erfahren müssen, wie er an innerer Lebendigkeit einbüßt, selber zu einem Rädchen im Triebwerk des Beamtenapparates herabsinkt, wenn er nicht sich ein Fleckchen bewahrt hat, wo er n i c h t Beamter ist, ein Feld, das er ganz auf eigene Hand bebaut, ein Arbeitsgebiet, auf dem er selber sich die Aufgaben stellt und ganz allein für sich im Stillen die Freude des Erfolges erntet. Und entsprechenden, wenn auch etwas anders gearteten Gefahren ist der Lehrer ausgesetzt, der Arzt, der Anwalt, der Techniker, der Geschäftsmann; alle müssen sie auf der Hut davor sein, allzu einseitig ihrem Berufsinteresse zu leben und darüber ihr Menschentum zu vernachlässigen, alle werden sie gut daran tun, auch außerberuflich sich irgendwie zu betätigen, eine Liebhaberei, einen Sport zu betreiben, eine Kunstfertigkeit, wenn nicht eine Kunst, zu pflegen, oder an gemeinnützigem Tun sich zu beteiligen. Dennoch! Wie ernstlich und wie erfolgreich wir auch bemüht sein mögen, uns eine Erweiterung unseres Erfahrungskreises, ein Gegengewicht gegen die beruflichen Einflüsse zu verschaffen, darüber dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben, daß trotzdem der Beruf uns seinen Stempel aufdrückt, die Gestaltung unseres Ich bestimmt, und das mehr oder weniger auf Kosten ihres Ebenmaßes. Wie bei dem Lastträger sich der Rücken krümmt, wie in der Hand des Karrenschiebers sich Schwielen bilden, so hat auch die Ausübung derjenigen Berufe, die nicht in erster Linie Körperarbeit verlangen, ihre Einwirkung auf die Gestaltung, dann eben nicht unseres sichtbaren sondern unseres unsichtbaren Teiles. Wir alle tragen unsere Schwielen; wenn nicht in den Händen dann im Gemüte. Sie sind in ehrenwerter Arbeit erworben, und wir wollen uns ihrer nicht schämen. Wir wollen uns aber klar darüber sein, daß es nicht Verzierungen sind sondern Entstellungen, nicht Vorzüge sondern Verkümmerungen. Damit aber die Berufsarbeit selbst eine Werdehilfe für unser Menschentum, unsere Persönlichkeit sein könne, müssen wir uns des Zusammenhanges bewußt bleiben, in dem sie mit dem Leben der Gesamtheit steht. Alle Berufsarten, und selbst diejenigen, in denen scheinbar jeder Einzelne nur für den Erwerb tätig ist, wären gar nicht möglich ohne den höheren Zweck, dem sie gleichzeitig dienen, indem sie einen Teil der Leistungen übernehmen, die zum Bestehen der Gesamtheit erforderlich sind. Denn was Schiller vom Kaufmann rühmt „Güter zu suchen geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an”, das gilt doch ähnlich auch von jeder praktischen Tätigkeit, wenn sie im Gedanken an das gemeinsame Gute geübt wird, das sie stiften kann. Es gibt ja gar keinen Beruf, der an sich nicht geeignet wäre, die besten und edelsten Kräfte der menschlichen Natur zur Entwicklung zu bringen, wenn der Berufene von der Einsicht geleitet wird, daß er nicht für sich arbeitet, sondern für den großen Organismus, von dem er ein Glied ist. Diesen Gedanken behandelt in poetischer Form ein Gedicht von Gottfried Keller, „Landwein” überschrieben. Der Dichter zeichnet darin das Bild eines wohlhabenden Bauern, den Schauplatz seines Wirkens, den er mit eigener Kraft sich gestaltet hat, die Mühen des Jahres und die Erntefreuden, und deutet darauf hin, daß der harte Ackergrund, dem sie abgerungen werden, zur Übung, zur Stärkung des Strebens gegeben sei, daß also die eingebrachte Ernte nicht das Endziel, nicht der wichtigste Ertrag der Aufgewandten Kraft sei. Dann aber weist er über diese Erkenntnis noch weit hinaus auf die großen Linien einer Menschheitsentwicklung. In dem räumlich und zeitlich beschränkten Schaffen jedes Einzelnen sieht er davon einen Teil und fordert die Arbeitenden dazu auf, sich mit ihrem Werk willig und verständnisvoll der Reihe des Werdens und Vergehens einzufügen: „Und was wir heute sammeln und gestalten,Das Gottesjahr 1926, S. 53-58 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) [Carlyle in Wikipedia] |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |