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Wege zur Arbeit
von Gerhard Langmaack

LeerDer Weg zur Arbeit erfordert mehr Kraft und Liebe, mehr Besinnen und Gedanken, als alle Arbeit selbst. Der Weg zur Arbeit will sicheren Auges, festen Schrittes und freudigen Herzens gegangen sein.

LeerUnsere Arbeitswege sind mannigfaltig wie unsere Werk- und Wohnstätten. Doch so, wie Menschen auch verschiedene Lebenswege gehen und gehen müssen, die letztlich zusammenwirkend immer einen Teilplan der ewigen Ordnung Gottes bilden, so steht auch der letzte tiefe Sinn aller menschlichen Arbeit und aller verschiedenen Arbeitswege auf Erfüllung! Rein noch so geringes Ding ist sinnlos und erst recht nicht die Verschiedenheit oder gar Gegensätzlichkeit der Dinge. Es liegt gerade in den unmittelbaren Widersprüchen der Welt die Wurzel zu unbedingter letzter Einhelligkeit. Vielheit bedeutet Ganzheit. Diese ist nur möglich durch jene. So kann auch nur die ausgesprochene, äußere Andersartigkeit unserer Lebenswege bis hin zur Andersartigkeit unserer geringsten Arbeitswege die Erfüllung bedeuten für den Weg, den Gott als seinen Arbeitsweg den Menschen zeigen will. Wir beklagen so häufig die Schwierigkeiten, die uns auferlegt werden zur Durchführung unserer geringen menschlichen Pläne. Und wir wünschten für alle Menschen gleich leichte Bedingungen zur Vollendung dieser Pläne. Doch begreifen wir so selten die Notwendigkeiten und verstehen nicht ihren Sinn. Solange wir uns im Mittelpunkt wähnen, um den sich alles drehen müßte, solange fehlt uns die letzte Freiheit. Erst wer hinter allem Gegensätzlichen und aller Mannigfaltigkeit die letzte Einheit Gottes weiß, trachtet nach der Erfüllung der Bitte: „Dein Wille geschehe!”

LeerWir kennen zwei Arten von Arbeitswegen, die wir täglich gehen müssen: den äußeren mechanischen und den inneren vorbereitenden. Der äußere Weg muß bei jedem Menschen anders sein. Aber der innere? Wenn er so bunt ist, so tausendfach, wie jener erste, dann haben wir das Bild, das wir kennen: die zerrissene, seelen- und zusammenhangslose Arbeitswelt unserer Zeit. Kann man dann überhaupt noch von einem inneren Arbeitsweg reden, wenn jeder die Arbeit ansieht als notwendiges Übel zum Leben oder als Mittel zur Verschaffung von Reichtümern oder als Quälerei von Menschen an Menschen? Ist das Vorbereitung, innere Einstellung auf unsere Arbeit, wenn wir sie ansehen als ein Mittel, angenehm und zufrieden leben zu können, oder gar als eine Erfindung jener Reichen und Besitzenden, welche die Geringen und Arbeitssklaven drangsalieren, um sich selbst gut zu stehen? Wir brauchen uns nicht zu wundern über die heutige Arbeitswelt mit ihrem vollkommen zusammenhangslosen Geschäftsgebaren und ihrem alles Außermenschliche ertötenden Wirtschaftsgeiste. Wo der Eigenwille und die Eigensucht des Menschen zum Götzen erhoben und angebetet wird, fehlt jegliche Voraussetzung zu einem Weg der Arbeit von innen her.

LeerWenn der Weg zur Arbeit aber geordnet oder vielmehr untergeordnet ist, hinweisend auf den göttlichen Willen, auf Demut und Gehorsam, eingebaut in die Ordnung der Welt, in die Ehrfurcht vor dem Letzten, aufrufend zur Erfüllung der Gebote Gottes, zur Bereitschaft, zum Dienst, dann wird die Arbeit gesegnet sein und gefördert werden.

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LeerIn der Unterordnung unter einen höheren Willen liegt der erste Schritt einer rechten, inneren Vorbereitung auf die Arbeit. Alles Menschenwerk bleibt Stückwerk, und je mehr der Mensch glaubt, nur von sich aus zur Vollkommenheit gelangen zu können, desto lückenhafter und auch sinnloser bleibt all sein Tun und Denken. Je mehr aber die Arbeit als nur Stückwerk erkannt wird, und je demütiger der Mensch an sein geringes Werk herantritt, desto erfüllter und sinnvoller schafft er es zu Ende, zu seinem menschlich gedachten Ende, während ein Höherer diesen seinen Dienst aufnimmt und zu seinem vollen Ende führt, ihn einfügt in die Ordnung aller Dinge, ihn voll-endet. So ist der innere Weg zur Arbeit nicht gleichgültig und jedem überlassen, er steht unter dem Gesetz des Lebens. Wer ihn nicht mitgeht, versündigt sich an seiner Arbeit.

LeerRecht gegangen, ist dieser innere Weg zur Arbeit Gemeinschaftsform. Diese Form braucht nicht geprägt, gestaltet zu werden, sie ist da, bei der rechten Einstellung der Menschen, ohne ausgesprochen oder hingestellt zu werden. Ihre Wurzel liegt in einer gemeinsam getragenen Verantwortung vor Gott. Die Gemeinschaftsform dieses inneren, vorbereitenden Arbeitsweges kann gestaltet werden durch eine Stunde der gemeinsamen Besinnung. Unsere Zeit verlangt nach solcher inneren Sammlung. Je stärker unser  ä u ß e r e r  Weg im Gegensatz zur inneren Einstellung zur Arbeit steht, und je einsamer unsere Arbeit ist, desto tiefer und notwendiger brauchen wir die Besinnung.

LeerAm Anfang der Woche eine Stunde gemeinsamer, innerer Einstellung, auf daß wir nicht „in den Wind” arbeiten, das gibt den Grund für alles persönliche Schaffen. Wohl gibt es noch Berufe, in denen es Sitte ist, sich vor dem Werk zu versammeln und durch Spruch und Gebet sich den Weg zur Arbeit zu deuten. Aber wo diese Sitte noch nicht zur Schablone wurde, da entbehrt sie schon häufig der letzten Einstellung zum Werk, da geht es häufig nur noch um das Heil von Leib und Leben jener Berufsgemeinschaft.

LeerIn Hamburg stand, schon im Mittelalter und bis ins vorige Jahrhundert, am Hafen eine Schiffahrerkapelle. Keine Schiffsbesatzung ging in See, ohne dort sich versammelt zu haben und gebetet zu haben um gesunde und glückliche Heimkehr. Doch erst der Wahlspruch: „Navigare necesse est, vivere non est necesse = Schiffahrt ist not, das Leben ist nicht notwendig”, macht jenen Weg zur Arbeit vollgültig. - Wenn die Belegschaft, bevor sie ins Bergwerk einfährt, sich im Huthaus zusammenfindet, um sich unter Gottes Hut zu begeben, so muß auch darin der Sinn vom Gehorsam und vom Dienst ganz tief hindurchklingen, sonst ist der Weg zum schweren Werk nur halb zurückgelegt.

LeerDer heutige Arbeitsmensch ist aber gerade durch seinen äußeren Weg in eine Unruhe und eine Hast hineingestellt, die alle Besinnung und Vorbereitung schon im Keime ersticken will. Und doch müssen auch wir an dem Anfang unserer Werktage die Form uns erobern, die den gemeinsamen, inneren Weg zur Arbeit aufzeigt. Wir müssen uns wahrhaft besinnen, d. h. den Sinn suchen, der in dem Gebot der Arbeit lebendig ist. Die Welt der Arbeitshetze, der Profitgier und Selbstsucht geht auch über uns hinweg, wenn wir nicht von innen her ihr einen neuen oder vielmehr uralten Sinn wiedergeben. Das kann nur geschehen durch gemeinsame, verantwortungstragende Bejahung dieses unseres Schicksals und durch Beugung im Gehorsam und im Dienst.

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LeerDrei Möglichkeiten tun sich uns heute auf, die uns gemeinsam in Form einer Feierstunde den rechten Weg zur Arbeit bereiten können.

LeerEin beliebiger Kreis Menschen mag sich allwöchentlich zusammenfinden unter dem Gedanken der Arbeit und ihrer Vorbereitung. Kein Feierkreis, der den Abschluß der Woche etwa in einer Andachtsstunde sinnvoll feiern will, keine Sonntagsgemeinde, die sich hineinstellt in die Welt Gottes, um aus ihr Kraft zu gewinnen für diese Erde, oder um aus ihr Deutung zu erbitten für diese Zeit, sondern ein Kreis ernstgestimmter und freudig bewegter Menschen, die in dieser Welt stehen mit all ihren Kräften und Gedanken, die in dieser Welt ihre Arbeit leisten, ihren Beruf wahrhaft erfüllen wollen. Dieser Kreis braucht dann keine mystische Versenkung, keine „religiöse Übung”, sondern nur das Wort Gottes in seiner ernsten Wucht und seiner nüchternen Klarheit, das Wort, das uns unmittelbar hineinweist in unsern täglichen Dienst. Eine kurze Besinnung ist fördersamer als lange Feiern und Gebete. Wer nicht am Montagmorgen nach sinnvoller Sonntagsruhe brennt auf die neue Arbeitswoche, der wird auch nicht durch Trostworte und Bibellektionen die rechte Einstellung erlangen. Wer aber im rechten Zusammenhang der Zeittage schon den Dienst und den Willen zur Arbeit lebendig in sich trägt, gewinnt aus dem gemeinsam betretenen Weg zur Arbeit, aus der gemeinsam getragenen Ehrfurcht vor einem Auftrag von Gott her - auch die geringste Arbeit ist Auftrag Gottes - die innere Vorbereitung, die notwendig ist.

LeerWird diese Art der Feier mehr aus dem Gemeindegedanken unmittelbar kommen, wenn etwa im Stadtteil oder im Dorf sich die Gemeindeglieder versammeln, und wird dann hierbei stets nur der eine große Gedanke von der Arbeit im allgemeinen, von ihrer Notwendigkeit, ihrem Segen und ihrer Kraft hindurchklingen, der alle verschiedenen Menschen verschiedener Berufe gleichermaßen durchströmt, wie ganz anders könnte eine Berufsgemeinschaft, wie ganz anders könnten Menschen, die zu gleichgerichteter Arbeit berufen sind, gemeinsam den inneren Weg zur Arbeit gehen! Jene Schiffahrer wußten etwas von der Verbundenheit gleicher Berufung und innerer Einstellung. Diese Bergleute beugen sich alle vor dem gleichen Schicksal und darin liegt das Tragende, Erhebende ihres Berufes: als  B r u d e r  gemeinsam Dienst zu leisten.

LeerIst es ein so unmöglicher Gedanke, daß die sämtlichen Beamten einer Bank oder die vielen Arbeitskräfte eines Bauernhofes, daß die Angestellten und Leitenden eines riesigen Kaufhauses oder alle Arbeitenden einer Fabrik ihren inneren Arbeitsweg gemeinsam gehen? Dürfen wir wöchentlich alle Handwerker, alle Bauern eines Dorfes oder alle Ärzte und Rechtsanwälte, alle Gastwirte und Verkehrsbeamten einer Stadt zusammenkämen, frühmorgens nur auf wenige Minuten, als wenn alle wohl zur Arbeit gehen, aber ohne die innere Einstellung zu ihr und ohne die rechte Einstellung zum Beruf überhaupt? Hieraus käme nicht allein ein neuer Weg zur Arbeit, sondern auch ein neuer Weg zum Beruf. Die enge Verbundenheit von Werk und Weg wird hier offenbar. So kann auch eine neue Zeit der „Zünfte” heranreifen; aber es werden Zünfte sein, die, wohl getragen durch Berufsehre und Berufsstolz, nicht mehr die Aufgabe des Sichabsonderns und Besserseins haben, sondern die des Sicheinfügens, des Unterordnens und des Dienens.

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LeerUnd noch eine dritte Möglichkeit sehen wir vor uns. Das ist der gemeinsame Arbeitsweg einer Werk-Gemeinschaft. Der innere Weg zur Arbeit, den Menschen gehen oder gehen müßten, die an  e i n e m  Werk arbeiten mit verschiedenen Einzelaufgaben, aus verschiedenen Berufen, aber aus gleichem Anteil und gleichem Geist. Die Herstellung eines Bauwerkes etwa gibt eine Grundlage für solchen Arbeitsweg. Viele Einzelkräfte und Einzelberufe sind vor die Lösung ein und derselben Aufgaben gestellt. Keiner kann sie allein bewältigen, nur in der gemeinschaftlichen Arbeit aller verschiedenen Handwerke - und nicht nur  H a n d werke, auch der Geist, der Verstand soll mitschaffen - kann das Werk erstehen. Gerade hier ist, wie sonst selten, ein gemeinsamer Boden vorhanden, und gerade hier wäre eine besondere Form des inneren Arbeitsweges wertvoll und auch möglich. Die alten „Bauhütten” kannten den Wert eines solchen Weges, sie mühten sich um die rechte Einstellung zu ihrem Schaffen und suchten von „innen her zu gestalten”.

LeerDer gemeinsam beschrittene Arbeitsweg ist erste Pflicht, durch die der Mensch frei wird zur endgültigen Werkleistung. Wir können es nehmen, wie wir wollen, zuletzt steht der Mensch ganz allein, ganz einsam an seiner Arbeit. Mag noch so viel Gleiches da sein, und mögen noch so viele denselben Weg gegangen sein, auch vielleicht dieselbe Arbeit verrichten, immer steht der Mensch  a l l e i n  vor seinem Werk. Denn nur  e r  kann so schaffen, wie  e r  es soll. Hier liegt eine zweite Stufe des Weges. Sie aber kann und darf nur beschritten werden, wenn die erste, der gemeinsame Arbeitsweg, überschritten ist. Nur wer gelernt hat, sich zu beugen unter ein Gesetz, unter dem unsichtbar alle stehen, die arbeiten wollen, nur wer gelernt hat, sich selbst hintanzustellen, wenn er den Weg zur Arbeit geht, ist befähigt, aufrecht und mit aller Kraft seiner Persönlichkeit zu wirken und zu werken.

LeerJe Schwereres von einem Menschen ganz persönlich verlangt wird, desto nötiger hat er die Form gemeinsamen Weges zur Arbeit. Je ernster er diesen Weg nimmt, je reifer ist seine persönliche Tat.

LeerDoch die persönliche ernste Besinnung läßt sich nicht ohne weiteres einbauen in den Gang des Tages. Das Brausen der Arbeit selbst hält uns gefangen, schon bevor wir an sie herangehen. Hier liegt das eigentlich Entscheidende, ob der Weg zu Arbeit, den wir uns gemeinsam freimachen, begangen werden kann oder nicht. Erst wenn wir wieder gelernt haben zu schweigen, d. h. stille zu sein vor dem Werk, das von uns verlangt wird, können wir es recht schaffen. So liegt denn hier zunächst eine andere Aufgabe, die Überwindung der äußeren Unruhe durch innere Sammlung. Das bedeutet nicht ein Sichverkriechen vor dem Tag mit seinem Lärm, sondern heißt, sich stark machen und sich frei machen von der Sklaverei der bestehenden Arbeitswelt, nicht durch Flucht, sondern durch „Hineingehen”. Wenn wir es fertigbringen, unter dem Dröhnen der Hämmer und dem Stampfen der Maschinen  s c h w e i g e n d  unsern Weg zu gehen, sind wir fähig zur rechten Arbeit.

Das Gottesjahr 1926, S. 49-53
© Greifenverlag Rudolstadt (Thür.)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-12
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