titel

Startseite
Jahrgänge
1926
Autoren
Stichworte
Neue Seiten

Die Sendung
von Wilhelm Stählin

Gleich wie du mich gesandt hast in die
Welt, so sende ich sie auch in die Welt.
(Joh. 17, 18.)

LeerWenn wir aus der Einsamkeit unter die Menschen treten und uns von Ruhe und Feier wieder zur Arbeit wenden, so gehen wir eben den Weg, der uns bestimmt ist, den Weg der Wirklichkeit; denn die Welt, in die wir gesandt sind und immer von neuem gesandt werden, ist eine Welt rastloser Tätigkeit und unendlicher Arbeit; nichts wird in ihr geschenkt ohne Mühe, nichts in ihr geerntet ohne Last und Plage. Es ist eine Welt des Kämpfens und des Irrens; alles was edel und wertvoll ist, muß „er-rungen” werden, und erst im Irrtum reift Erfahrung und Weisheit. Es ist eine Welt des Wachsens und Reifens; „blühen dürfen ist Gunst”, aber reif werden in dem Beruf des Mannes, in der Bestimmung der Frau, das erst ist Erfüllung. Es ist eine Welt unendlicher Weiten; um jeden Kreis des Lebens kann ein neuer und weiterer Kreis gelegt werden, und erst in den wachsenden Ringen des Lebens ergreifen wir die „Welt”. Es ist eine Welt des Leidens, und alles, was lebt, ist immer wieder auf den Kreuzweg geführt; wer das Leid, das um ihn ist, nicht sehen und das Leid, das auf ihn selber wartet, fliehen will, ist nicht „welt”-offen, sondern vertauscht die Wirklichkeit mit einem Traum. Es ist eine Welt, die immer wieder ans Ende muß, in der immer wieder ein Ende auf einen neuen Beginn warten läßt.

LeerIn diese Welt sind wir gesandt. Sie ist nicht unsere wahre und letzte Heimat, und wenn wir auch noch so lebendig und ernsthaft in ihr stehen mögen, es bleibt doch und muß bleiben ein Gefühl der Fremde, das Bewußtsein eines Anders-Seins, und die Erwartung, daß es nach dem Tagwerk einen Feierabend, nach der Reife durch dieses Land eine Heimkehr gibt. Darum bleibt ein letzter Abstand von allen Dingen, die unsere Tage füllen, und eine letzte Einsamkeit unter den Menschen, die unsere Tage begleiten. Nichts kann uns verwundern, nichts fassungslos erschrecken, nichts ganz bitterlich enttäuschen; die Welt, in die wir gesandt sind, das sind nicht wir selbst; wir sind nur in sie gesandt.

Leer Aber wir sind in sie gesandt. Wir sind nicht in sie verbannt wie in ein fremdes, unwohnliches Land, nicht in sie gefangen wie in einen finsteren Kerker, sondern wir sind in sie gesandt, um in dieser Welt ein Werk zu tun; aber ebenso, damit diese Welt an uns ein Werk tue und an uns eine Frucht reifen lasse. Beides aber ist zusammengefaßt in das eine: der Sinn unserer Sendung ist die Ehre des Vaters; durch uns und an uns soll offenbar werden der Verborgene, der uns gesandt hat: der Vater. Der Vater sendet den Sohn, daß er seinen Namen kundmachen soll in der Welt. Und wie der Vater den Sohn, so sendet der Sohn seine Jünger.

LeerDarum ist der Montagmorgen, da wir wieder unter die Menschen gehen und an unser Werk, die Stunde des Gebets: hier bin ich, Herr, sende mich! Sende mich hinein in die Welt der kalten und toten Dinge, daß ich sie mit meinem Werk und meiner Seele adle; sende mich unter die Menschen, daß ich zu deiner Ehre lerne sie zu lieben; sende mich in Dampf und Leid, damit an meiner Kraft deine Kraft offenbar werde! Der Sohn aber, der gesandt ist in die Welt, ist nur darum wahrhaft gehorsam, weil er mit seinem Herzen und mit seiner Liebe hineingeht in die Welt. Und in seiner Liebe bewährt er, daß er wirklich von dem Vater gesandt ist. Darum ist der Tag der Sendung der Tag der Bereitschaft zur Liebe.

Das Gottesjahr 1926, S. 47-49
© Greifenverlag Rudolstadt (Thür.)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-12
TOP

Impressum
Haftungsausschluss